Ohne Frage muss man bei dem musikalischen Überangebot immer danach suchen, wo sich noch Highlights finden, bei denen sich die Abstattung eines Besuchs wirklich lohnt. Ich habs für euch getan - and here are the results:
Die Fans des Flamenco haben bei Ana Sojor allemal den richtigen Riecher. Im Laufe nur weniger Stunden verwandelt sie in genialer Weise jedes Cafe in eine spanische Bodega. Und selten war die Faszination dessen, was auf die Bühne kommt, derart groß. Woran liegt das? Pünktlich und entschlossen betreten Juan Rodriguez und Gilberto Torres (Gitarre) mit Robert Müller (Percussion) die berühmten Bretter, um mit dem Tempo und Esprit südspanische Volkslieder , sprich Flamencos, in ihrer ursprünglichen Form die Zuhörer in einem wahren Freudentaumel zu stürzen. Dazu Antonio "Ela Rabia", der die Würde der hochgeschätzen Flamencosänger-Tradition bravourös hochhält. Diese Musik für Ohren wird gekrönt von getanzter Musik für die Augen . Ana Sojor ist einfach ein Erlebnis. Was diese Frau tanzt, ist Flamenco-Energie bis in die Fuß- und Fingerspitzen. Charismatisch ist ihr Auftritt, ob in traditionell rot-schwarzem Flamencokleid, im sommerlich Bunten mit Fächer oder schwarzem Outfit. Was ihre Band spielt, drückt sie mit ihrem Körper aus. Jede Drehung, jeder Schritt, jede Bewegung ihrer Finger strahlt Bedeutung aus und lässt die Augen der Zuschauer an ihr kleben. Ana Sojor definiert den Flamenco als Ausdruckstanz komplett neu. Lyrisch schreitet sie über die Bühne, um im nächsten Moment wie entfesselt die ekstatische Freude temperamentvoll in Szene zu setzen. Dabei verbindet sie gleichermaßen Grazie, Anmut, Können und eine an Magie grenzende Körperarbeit, bei der selbst die Füße mitreißende Percussion exerzieren.. Mit diesem Rhythmus pulsiert das Leben, das der Flamenco beschwört, und der nimmt mit auf den Höhenflug in eine spanische Bodega, in der Sonne, Tanz und Rioja das Leben lebenswert erscheinen lassen. Einfach beeindruckend mit welcher professionellen Leichtigkeit sich Ana Sojor Y Compania Flamenco in diese Musik hineinbegeben. Das alles hat etwas feuriges, erotisches, aber zeitweise auch diabolisches. Aber auf alle Fälle ist es teuflisch gut. Lieder des Jiddischen Theaters haben ihre Wurzeln in der Begeisterung osteuropäischer Völker. In ungebändigter Fröhlichkeit schwingt Lebensfreude und hin und wieder auch eine Spur melancholischer Trauer mit. Diese Theaterlieder in ihrer konzertanten Form präsentieren Erdmute Schlusnus und Barry Cohen. Beide sehen sich eng verbunden mit der Tradition des Jiddischen, mit seiner frommen und ausgelassene Heiterkeit, seiner Lebensphilosophie und auch dem jüdischen tiefgründigen Humor. Beide Künstler wissen darum, dass ihre Zuhörer sich in ihre Vorträge einfinden müssen. Sie integrieren sie, überwinden die Barriere zwischen Kunst und Auditorium, zwischen Sprache und Kunst durch einfühlsame und erklärende Moderationen und machen so die Lieder nachvollziehbar. Barry Cohen erweist sich dabei als exzellenter Gitarrist und jiddischer Humorist, der die Anekdoten aus seiner Familie und der jüdischen Tradition so erzählt, dass sie Leichtigkeit gewinnen. Erdmute Schlusnus ist die Sängerin, die fraglos gesanglich ebenso versiert ist wie in der dramatischen Interpretation der Liedinhalte.
Sich mit Musik in Jazztrance versetzen zu lassen, ist kein absonderliches Anliegen. Mit dem genialen Trompeter Benny Bailey gelingt das der Formation "we love you Louis!" und fünf weitere gestandene Jazzer wie Reggie Jahnson (Bass) oder Douglas Sides (drums) gehen auf die Bühne, um das Auditorium mitzureißen in den Turbodrive jazziger Kreativität und dabei selbst in der Spielweise an die Trompeterlegende "Satchmo" Armstrong zu erinnern, der im Juli 2000 100 Jahre alt geworden wäre. Supercharge, verstärkt durch den Powersax-Akrobaten Albie Donelly, startet mit Rhythm- and Blues den Generalangriff auf Körper und Seele. Ob Boogie, Blues oder Swing - Frontmann Donelly gibt alles, und die riesige Menschentraube vor der Bühne verfällt seinem musikalischen Charisma. "Gangster of love" scheint sogar seine Maxime zu sein. Bei "Hey Barberina" wird lauthals mitgesungen und sein "Got a boogie with me" bahnt sich den Weg durch die Menschen. Ein Highlight des Jazz ist Deborah Woodson, die "Queen of blues". Vokalartisitik at it´s best bei "Route 66" oder "Georgia on my mind". Mit einem faszinierenden Stimmvolumen und riesigem Tonumfang setzt sie dann "Summertime" um, hinterlässt allerdings den Eindruck, dass dieses Wiegenlied irgendwie nicht zum Indenschlafsingen gedacht sein kann.
Mouron, diese Frau ist nicht irgendeine unter den vielen Diseusen. Mouron ist Maßstab für die anderen, ist derzeit der Olymp des Chansons, den vor ihr wenige, unter ihnen die Piaf, erklommen haben. Sie verwandelt jede Bühne in ein Cabaret a la Folies Bergeres . "Bleu, noire, rouge" heißt ihr aktuelles Programm, in dem sie die genannten Farben stimmlich in all ihren Schattierungen in Herz und Hirn der Zuhörer malt. Mit ihrem Gesang holt die Mouron Brel , Montand, Barbara und Moustaki auf die Bühne und lässt Edith Piaf, der sie schon 1992 für eine TV - Produktion ihre Stimme lieh, auferstehen. Kein Pathos, keine Kostümschlacht, keine Requisiten. Das würde nur ablenken von der Schönheit und Wandelbarkeit dieser Stimme. Mouron reicht das Mikrofon, um die gesungenen Worte zum Glänzen zu bringen, um aus Noten klarleuchtende und wertvolle Edelsteine zu formen, um Gefühle auszudrücken, ohne in Gefühlsduselei zu verfallen, um Texte und Töne zueinander zu bringen und lebendig werden zu lassen. Im breitgestreiften oder Nadelstreifen-Hosenanzug tritt die kleine Französin vor Menschen, die ihr und ihrer Stimme gerne verfallen, es genießen, wenn die traurig-schönen Chanson d ´amour sanft die Seele streicheln und kalte Schauer die Lieder spürbar machen - wie etwa bei Brels "Marieke". Das Clowneske beherrscht Mouron auch, dazu die Ironie. "Ich sehe nicht aus wie eine Diva" sagt sie. Sie hat recht. Und dennoch ist sie eine, ist die "Diva des Chansons", die Sängerin, die sich auch international nur noch selber toppen kann. Terry Truck am Flügel scheint darum zu wissen, ist ihr Entdecker, Promoter und Begleiter, der nicht unscheinbar im Hintergrund wirkt, sondern souverän und locker die Superleistung der Mouron möglich macht.
Was sich bei den Werken des Wiener Komponisten Oscar Straus schon bei der Uraufführung von "Die lustigen Nibelungen" 1904 ankündigte, in Operetten wie "Ein Walzertraum" oder "Eine Frau, die weiß, was sie will" fortsetzte und in seiner musikalischen Leitung des Kabaretts "Überbrettl" gipfelte, ist seine Tendenz zu hintersinnigem Humor und tiefgründiger Satire. Das alles zu toppen und fürs Publikum mit einer Mischung aus Tradition und Moderne , versetzt mit Lokalkolorit, mit Comedy a la carte zu bestücken, gelingt einem Ensemble, das großartig schauspielerisch und gesanglich vorbereitet auf der Bühne und im Zuschauerraum agierte. "Die lustigen Nibelungen". Ob es nun die Texte von Rideamus und die Musik von Oscar Straus waren, spielt letztendlich keine Rolle. Anthony Taylor (Regie) und Karsten Hutschke (Arrangement) fabrizieren aus den Vorlagen ohnehin ihr eigenes Ding. Und das ohnegleichen. Siegfried, Brün- und Kriemhilde, Onkel Hagen und auch König Gunter haben samt ihrer Familie Magen auf einem Campingplatz nahe Koblenz Quartier bezogen. Und dort ereignet sich Geschichte im wahrsten Sinne des Wortes. Dort wollen sie ihren Urlaub ver- und später auch den Siegfried umbringen. Nur im Spiel - versteht sich, aber im humorvollen Spiel. Und darin entwickelt sich die Nibelungen-Sage zu einer außergewöhnlichen Persiflage. Was Wagner allen Ernstes und mit größter Bayreuthwilligkeit musikalisch in Szene setzte, wird ins Diesseits transportiert, ins Hier und Heute. Allein dadurch wird Mystik und Tarnkappenmentalität schon zum humorvollen Martyrium. Hier wie dort geht es um die Liebe. König Gunter liebt Brünhilde, Brünhilde liebt ihre Freier und tötet sie. Siegfried besiegt Brunhildes Gegenwehr gegenüber Gunter und wird mit Kriemhilde belohnt. Und alle wollen das Rheingold, das nicht auf der Sandbank, sondern der Rhein-Bank gewinnbringend angelegt wurde. Dieses Gold gefährdet das Leben Siegfrieds und rettet es ihm, weil die Goldkurse der Bank gesunken sind. Es ist unmöglich, die Vielzahl der niveauvollen Gags dieser Aufführung wahrzunehmen geschweige denn hier wiederzugeben. Lukas Battis mimt den kleinen ängstlichen und desolaten König Burgund mit Inbrunst und verlässt diese ihm auf den Leib geschriebene Rolle selbst bei den Schlussvorhängen nicht. Hilfe in der Not findet er bei Mama (Marita Heuse), Papa ( Heinz Dörper-Henn) und seinen Geschwistern (Heinz Gerwig und Gabriele Bungart) . Schwester Judith Heinen durchwirkt die Kriemhilde mit Naivität und Minnemädelmentalität und Cynthia Grose findet sich auf großartige Weise in den Gegenpart der Powerfrau Brünhilde hinein, die vor der Hochzeitsnacht mit Gunther ringkämpfen will, um in Fahrt zu kommen. André Schann als Siegfried wuselt zwischen den beiden Frauen hin und her, umworben und am Ende schwesterlich geteilt von beiden. Als Onkel Hagen zelebriert Kammersänger Erhard Weis nicht nur die Auseinandersetzung mit philosophischen Fragen nach Leben, Tod und Geld. Schließlich ist er es, der die verwundbare Stelle Siegfrieds kennt ("von vorne, da ist er ganz aus Horne"). Das alles hatte Leichtigkeit, hatte Klasse, hatte Kreativität. Das war und ist weiterhin Bühnenarbeit auf allerhöchstem Niveau.
Weills Musik strahlt eine aufs Höchstmaß gesteigerte Aktivität aus. Sein Engagement in Musik , Textauswahl und gesellschaftlichen Dingen, seine kreative Eigenart als Melodieerfinder ist und sein glücklicher Versuch, die musikalisch wie politisch aufklärerische Verbindung von "ernster" und "leichter" Musik zu realisieren- all das verlangt von den Interpreten Weills enorme Anstrengung als Denkarbeit und künstlerische Vorbereitung. Weill zu interpretieren ist an sich Aufgabe genug. Christiane Müller gelingt es aber, mit der ausgereiften Darbietung seiner bekannten und unbekannten Songs, Chansons und Lieder in französischer, englischer und deutscher Sprache zugleich auch einen repräsentativen Querschnitt aus dem Lebenswerk des Komponisten auf die Bühne zu bringen und die Werke in überaus charmanter Weise in den Kontext mit Lebensdaten und -umständen des Juden Weill etwa im Dritten Reich zu stellen. Kongenial einfach ihre Umsetzung von "Nanas Lied" , dem "Lied von den braunen Inseln" oder dem Chanson "Am Grunde der Seine". Dabei passt sie nicht die Musik an sich an, sondern markiert und unterstreicht die Grundideen mit faszinierender Emphase. Die verruchte und wütende "Seeräuber-Jenny" , der "Surabaya Johnny" und die Venus in "I´m a stranger here myself" auferstehen in voller epischer Theatralik. Brecht und Weills Allianz erleben eine beeindruckende Wiedergeburt. Was Michael Berger aus dem Klavier zaubert, ist die ganze kompositorische Eigenart Weills, ist sein Erfindergeist. Dabei spürt Berger den Komponisten neu auf und macht ihn spürbar. Seine Begleitung ist exzellent und seine solistische Umsetzung des "Mackie Messer" etwa ist das erneute Heraufbeschwören des Bösen in der Unterwelt, in der die Figuren der Dreigroschenoper ihre Heimat haben.
Das sind meine Tips. Viel Spaß damit.
Euer Bernhard Wibben