Kleinkunst  Straßentheater  Kabarett  Variete  Circus
        Agenturen  Wettbewerbe  Comedy  Galas  Festivals

 
 
 
Suche im Trottoir

Kategorien Alle Jahrgänge

Ausschreibung,Wettbewerbe

Artikel - gewählte Ausgabe
Meist gelesen
Statistik
  • Kategorien: 66
  • Artikel: 3588
  • Szenen Regionen :: Baden

    [zurück]

    Heimische Gewächse und der Rest der Welt

    Mit „Nett war gestern!“ startete Frederic Hormuth ein neues Programm in der Mannheimer Klapsmühl (7. bis 11.09.). Jeden ersten Montag im Monat wird der Kabarettist als Programmfixpunkt dort Schluss mit den Nettigkeiten machen, aber nicht Schluss mit lustig. In unserer überdrehten Zeit dreht selbst Hormuth, eigentlich eher der nette Junge von nebenan, total auf. Er wandert scheltend durch den Saal, geht bösartig aufs Publikum los, bevor er sich auf der Bühne vollkommen hysterisiert ins Programm hechelt. Vom Zeitgeist zum persönlichen Karma mit Abwegen in die Politik spannt er den Bogen. Von Zeit zu Zeit malt er Pianosongs ins Programm, die sein Talent als Texter, Pianist und Sänger aufblitzen lassen. Geiz ist geil, aber diesen Dauerständer bekommt man nicht weg, wenn man nie was kauft. Der Zustand der Nation fordert überall seinen Tribut. Selbst die Flucht aufs Land bescherte dem entrüsteten Hormuth keine Linderung. Irgendwo zu wohnen, wo weder Al Kaida, noch Aldi, noch Ikea hinkommen, entpuppte sich als Illusion. Jetzt lebt er in der hessischen Provinz und wird schon sentimental, wenn er an der Autobahnbrücke liest „Gisela, ich liebe dich!“ Kommt mit der Bundestagswahl tatsächlich der Machtwechsel, dann rollen bei Seeräuber Angie Köpfe. Hormuth entwirft ein Szenario nach der Schicksalswahl, wirft die Frage auf, ob eine Welt ohne Kapitalismus undenkbar ist. Dabei führt er unser zeitgenössisches Politvokabular ad absurdum. Es geht nicht mehr um Gut und Böse, es geht um Aufgabe und Lösung. Deutschland braucht mehr Pragmatismus und der Rohstoff ist die Unfreundlichkeit. Hat man die, kann man getrost aufs Land ziehen. Deshalb rät der Kabarettist am Ende seiner Show zum Trainingsprogramm „die sieben Arschigkeiten“. Aber wer sich mit einem Liedchen über das „Honigbrot“ aus dem Programm verabschiedet, wird wohl auch nach „Nett war gestern“ noch mit dem persönlichen Fluch der Nettigkeit zu kämpfen haben. Das Mannheimer Publikum jedenfalls belohnte Hormuths Selbsttherapieversuch mit stehenden Ovationen.

    Ab Oktober rollten zwar zunächst keine Köpfe, aber es gab allerorts Superlative auf den großen Bühnen zu sehen: Mundstuhl im Mannheimer Capitol (16.10) und Karl Dall & Ingo Insterburg (25.10.) und Georg Ringsgwandl mit „Alte Reisser & Frisches Gwachs“ (6.11.). Im Rosengarten wusste man mit „101 Jahre Otto!“ (5.10.)  aufzutrumpfen und in der Heidelberger Stadthalle ergab sich Gerd Dudenhöfer (5.10.) erfolgreich in „Wiederspruch“. Nur Helge Schneider las aus seinem jüngsten Buch „Globus Dei“ ganz klitzeklein bei Buch Kober und sprengte damit den Laden. Und nur zwei heimischen Gewächsen gelang eine große Gegenoffensive: Christian „Chacko“ Habekost und Bülent Ceylan.

    Chako setzte dem Verdrängungswettbewerb durch die Kleinkunstimporte hardcore mundartmäßig den(auch im Mannheimer Capitol „Lokalpatri(di)ot“ 6.10.) entgegen. Schon im April war er damit erfolgreich gestartet, aber diesmal bringt Chacko entschärften Pfälzer Dialekt zum Einsatz, der auch ihm für den Weg auf die Bühnen der Republik scharf machen soll. Sein und Bewusstsein, Dialektik und Dialekt, Weinberg und Metropole – Chacko schafft es mal wieder mit seinen philosophisch aufmüpfigen Wortkaskaden die Heimat zur Spielwiese der großen Themen zu machen. Karibisch prall groovt er was das Zeug hält, wenn er sich die Leitkultur, Schwaben-Integration, den Kopftuchstreit oder die Alcopop-Steuer zu Herzen nimmt. Mit seinem Hang zum Wort Groove hat er sich übrigens an der Seite von Xavier Naidoo im Rahmen der „2 Mann & Xavier Naidoo“ Tour mit dem „Bappe-Räp“ schon knallscharf an die vorderste Popfront gerappt.

    „Halbgetürkt“ legte das Mannheimer Comedy Berufschamäleon Bülent Ceylan vor. Nach seinen gefeierten Programmen „Produzier mich nicht“ und „Döner for One“ wagte Bülent Ceylan zur Premiere seines dritten Bühnenprogramms in seiner Heimatstadt gleich den großen Wurf im großen Haus (8.10.) – und legte damit einen astreinen Hatrick vor. Schon Wochen vorher war der Musensaal des Mannheimer Rosengartens ausverkauft und am Premierenabend gaben über 1400 Menschen Bülent sogar den Vorzug vor dem Länderspiel Deutschland Türkei. Eine kluge Wahl, denn wer zum „Türken“ ging bekam von Bülents altbewährten Mannheimer Inkarnationen reichlich aufgetischt - vom schüchternen Harald, der sich diesmal mit dem Eyeliner an die Beckham’sche Metrosexualität heranarbeitete und vom listigen Gemüsehändler Aslan, der über Fundamentalisten sinnierte, und vom Proleten Hassan, dem knackigsten Popo der Stadt, der Paranüsse knacken kann und noch immer auf die Kokosnuss aus dem Publikum wartet. Drei neue Figuren, den finnischen DJ lasse Hopsen, der zu Beginn der Show zum aufwärmen im Pelzmantel einheizte, die Geld-Adelige Anneliese, die Nerz II Harz IV vorzieht und den noch etwas blassen Häuptling der Arschpatschen ließ Bülent aus seiner Chamäleonhaut platzen. Bülents österreichische Gräfin hatte es ja schon in den früheren Programmen angedeutet – er kann längst überregional. Seine Mannheimer Charaktere feierten in der ganzen Republik Erfolge und im Rosengarten erntete „Halb getürkt“ stehende Ovationen. Bülents neueste Charaktere entspringen nicht nur dem Soziotop Mannheim. Und so darf man gespannt sein, wie weit ihn „Halb getürkt“ nach Gastspiel Wochen im Berliner „Quatsch Comedy Club“ und bei der Lach und Schießgesellschaft in München noch in den Comedy Olymp hinaustragen mag.

    Hineingetragen, nämlich weg vom Zirkuszelt auf der Wiese am Neckarstrand hinein in die Räume des Heidelberger Kulturfensters hatten die Erfahrungen mit dem schlechten Wetter das 9. Kindertheater Festival Heidelberg. Man wollte es nicht riskieren, dass der Fluss wie beim 8. Festival mitten durch ein Bühnenstück strömt. Dafür strömte bald der Flair einer Vorausscheidungsrunde des bundesweiten Kleinkunstfestivals „Dicker Hund“ ins Haus, die am 28.10. in der Sparte Chanson erstmals auf der Kleinkunstbühne Corner im Kulturfenster in Heidelberg ausgetragen wurde. Vier Bewerber stellten sich beim jährlich auf wechselnden Bühnen stattfindenden Wettbewerb dem Heidelberger Publikum als Jury: das Streich-und-Zupf-Duo, die Gosh-Brothers, der Chansonnier Klaus-André Eickhoff und das Comedy Duo Leopold&Wadowski. Die Gosh-Brothers haben das Halbfinale des Kleinkunstpreises gewonnen und stehen somit am 10.11 beim Chansonabend des drei Tage dauernden "Dicker Hund" Finales im Kurtheater Badenweiler auf den Brettern.

    Das Travestie Duett Markus Beisel alias Celine Bouvier und Frank Walrab alias Dominic Dupont verdoppeln ihre jeweilige Biestigkeit seit Jahren als Cabarett Deluxe. Wenn Celine sich als singende Oase ein Kamel auf den Rücken schnallt und zwei Palmen auf ihrem Schwanenhals balanciert, dann wird es offenbar: Die Travestie von Cabarett Deluxe ist mehr als im schönen Fummel bezaubernd zu tanzen und grandios zu singen. Kaum ein Programm der beiden geschulten Musicaldarsteller, das sich nicht geschmeidig auf irgendeinem aktuellen Parkett bewegt. Feine Selbstironie, wenn man sich selbst dabei den Maulkorb übertut, weil man als Tunte ja gefälligst unpolitisch zu sein hat und dann doch die volle Breitseite gibt. Als Aktivisten an vorderster Front sind die beiden mit ihrer Christopher Street Day Gala im Oststadt Theater und den fulminanten Auftritten bei der Mannheimer Straßenparade längst legendär für ihr spottbereites Mundwerk und heißgeliebt für ihre sagenhaften Kostüme. Vor der Schicksalswahl jedenfalls war sich das Damendoppel nicht zu schade, sogar mit ihrem Rollenmodell zu brechen und als Edmund Stoiber und Angela Merkel für Furore zu sorgen. Im Mannheimer Oststadt Theater gab es am 30. und 31.10. nun endlich mit „Damals wie Heute“ eine Best of Premiere.

    Redaktion: Sibylle Zerr

    Bernd Lafrenz 

    Ausblicke

    Mannheim:

    bis 8.01.2006 Traumtheater Salome, Rosengarten, Musensaal

    Klapsmühl’:

    04.-08.01. Hans Günther Butzko, „Voll im Soll“
    18.-20.01 Faltsch Wagoni, „Nicht ganz Dichtung“
    26.-29.01. Werner Koczwara, „Am achten Tag schuf Gott den Rechtsanwalt“
    15.-19.02. Robert Kreis, „Jubilée – 25 Jahre Nostalgie“

    Schatzkistl:

    13.-15.01. Spitzklicker: "Das 22. Programm"
    19.-20.01. Spitz & Stumpf: "Cuvée 2006"
    26.01. The Forgetables

    Karlstorbahnhof - Carambolage Kleinkunstfestival:

    vom 19.01.-04.02 mit u.a. Georg Ringsgwandl, NightWash on tour,
    Georg Schramm, Rolf Miller, Olaf Schubert & seine Freunde, Vince Ebert, Marco Tschirpke, Heinrich Pachl und einem Varieté - Programm von Karl-Heinz Helmschrot 

    AdNr:1012


    2005-12-15 | Nr. 49 | Weitere Artikel von: Sibylle Zerr





    Copyright © 2008 Quibo e.K.
    Alle hier erwähnten Produkt- und Firmennamen sind Marken der jeweiligen Eigentümer. Trottoir-online ist ein Online-Magazin für Kleinkunst - redaktionell aufbereitete Themenbereiche: Variete, Kabarett, Circus, Comedy, Straßentheater mit Agentur-News und Terminen von Festivals, Premieren, Wettbewerben und Ausschreibungen, Workshops und Weiterbildung.