Mit Seemanns-Chor und Samba-Gruppe, Gratis-Schampus und Konfetti-Schauer eröffneten Corny Littmann und Prof. Norbert Aust am 8.8. um 8.08 Uhr ihr neu erstandenes Schmidt-Theater in Hamburg auf St. Pauli, gleich neben der Reeperbahn: ein außen klar und modern wirkender Glaskasten mit Lamellen in sündigem Rot, in dem innen erstaunlicherweise – und Ausstatter Johannes Wienand sei Dank – eine ähnlich wunderbar plüschige Atmosphäre herrscht wie im Vorgängerbau, der vor zwei Jahren wohl wegen Altersschwäche abgerissen worden war. Bei der in jeder Hinsicht feucht-fröhlichen Einstandsgala amüsierten sich Society- und Szene-People, darunter Kiez-König Willy Bartels (90), Eigentümer der zweiten Säule des Littmann-Aust-Imperiums, des benachbarten Schmidts Tivoli.
Auf der Bühne des mit 400 Plätzen nun doppelt so großen Saales gaben Schmidt-Weggefährten wie Kay Ray („Tunten werden nicht älter. Die werden nur gehässiger.“), Emmi & Herr Willnowsky, Stefan Gwildis und Georgette Dee in einem stimmungsvollen, teilweise virtuosen Programm einen Vorgeschmack auf die kommenden, berühmt-berüchtigten Text- und Tongenüsse. Dabei sparten sie – wie üblich – allerdings auch nicht an Flachsinn und Schweinkram, ganz nach dem von Frau Emmi dem Kritiker Alfred Kerr in die Feder gelegten Motto: „Lieber unter Niveau amüsiert als über Niveau gelangweilt“. Der inzwischen erfolgreiche Newcomer Michael Krebs war musikalischer Gast auf der Eröffnungsgala.
Auf die Minute genau am gleichen Tag des Jahres 1988 hatte Littmanns „Familie Schmidt“ im alten Bau, dem ehemaligen „Kaiserhof“, nach langen Lehr- und Wanderjahren die erste feste Bleibe gefunden. Die avancierte mit Eigenproduktionen und Gastspielen schnell zur ersten Adresse für schräges Theater, wurde bundesweit bekannt durch die Fernsehübertragung der „Schmidt Show“. Star-Karrieren wurden hier geboren, wie die von Lilo Wanders und Marlene Jaschke, Helge Schneider und Tim Fischer. In dem neuen Haus ließ die Bauherrin, die städtische Sprinkenhof AG, jetzt vom Architekturbüro Hohaus, Hinz & Seifert für acht Millionen Euro ein veritables „Entertainment-Center“ erstellen. 1,5 Millionen Euro kostete außerdem die Inneneinrichtung des Theaters – davon steuerte die Kulturbehörde 350.000 Euro bei, den Rest muss das unsubventionierte Schmidt, das pro Monat 19.000 Euro Miete zahlt, aus eigener Kraft erwirtschaften. Ein wenig hilft dabei der Verkauf der Theatersitze an „Sesselpaten“ – gut 250 sollen es bereits sein.
Findet man heute im Souterrain Künstlergarderoben von Format, so gibt es in den drei oberen Etagen des Gebäudes – zum reduzierten Mietpreis – Büros für junge Unternehmen aus der Unterhaltungsbranche. Das Theater selbst beherbergt einiges an Gastronomie, so im ersten Stock mit seiner Terrasse das „Dips ‚n’ Stix“, möglicherweise Deutschlands erstes Fingerfood-Restaurant. Man kann die Schmidt-Location auch buchen, ein eigener Veranstaltungsservice hilft bei der Ausrichtung von Events.
Wieder einmal signalisiert also das Duo Littmann und Aust, dass es nicht nur künstlerisch, sondern auch kaufmännisch weiß, wo es lang will. Gespannt sein darf man auf die erste neue Hausproduktion in diesem Herbst – Martin Lingnau und Heiko Wohlgemuth schrieben das Musical „Villa Sonnenschein“ mit Menschen und Puppen über Liebe im Altersheim, Thomas Matschoß inszeniert es und Corny Littmann spielt darin einen garstigen Senior im Rollstuhl.
Kabarett-, Zelt- oder Ducksteinfestival, die etablierten Veranstaltungsreihen der Hamburger Schönwetter-Periode, lassen wir jetzt einmal unberücksichtigt. Auch Unikate des Sommers 2005 wie „Zehn Jahre Bo Doerek („Engel von St. Pauli“)“ im Tivoli und LaLeLus „1. A-cappella-Nacht“ im Stadtpark bekommen von uns nicht die gebührende Aufmerksamkeit: Dafür gehen wir aus gegebenem Anlass in den Nordosten der Hansestadt und erleben dort, wie ganz und gar unhippe, jedoch mit Lust und Liebe von Laien ausgeübte Traditions-Kleinkunst immer wieder engagiert auf ihre Daseinsberechtigung pocht, was von ihren Anhängern, die womöglich nie den Weg ins Schmidt finden, begeistert honoriert wird.
Mit ihren an die gute alte Schule des politischen Nachkriegs-Kabaretts angelehnten Programmen erreichen sie nämlich seit nunmehr 25 Jahren ein relativ großes Publikum: die elf Damen und Herren zwischen Mitte 30 und Mitte 60 der „antenne“. Aus dem Kulturbetrieb der feinen Walddörfer, aber auch von Veranstaltungsorten wie dem Wedeler Theaterschiff „Batavia“, sind sie daher kaum mehr wegzudenken: „Inzwischen ist das eine Fangemeinde, die wir haben“, sagt Andreas Gross (64), Gründer und Leiter des Ensembles, dem Zahnarzthelferinnen und EDV-Kaufleute, Anwälte und Richter angehören.
Wer beim Gastspiel mit dem Jubiläumsprogramm „Zur Kasse bitte!“ im Stadtteil-Kulturzentrum Sasel-Haus dabei war, erlebte, wie der Funke übersprang: Immer wieder gab es vom gesetzt wirkenden Publikum Szenenapplaus für die schwungvolle Truppe, die mit viel Talent und gutem Timing ihre selbst geschriebenen, oft musikalischen, zeitkritischen Sketche vortrug. „Ob Bitter- oder Elberfeld – verdammt, uns fehlt das Geld“ hieß es gemäß dem aktuellen Titel, und die Lösung wurde auch gleich mitgeliefert: Import von Topmanagern aus Polen oder Tschechien, denn das spart Kosten. Obgleich manche Pointe Klischee oder Zote nicht vermied, nahm die „antenne“ mit ihren Verbalattacken für sich ein – ganz gleich, ob die sich gegen hirnlose Talkshows oder Gen-manipulierende Landwirtschaft, aufreibende Mann-Frau-Beziehungen oder den „Berliner Dilettanten-Stadel“ richteten.
Redaktion: Ulrike Cordes
14.–19.11. Alma Hoppes Lustspielhaus
„Hamburger Gesichter“, u. a. mit Sebastian Schnoy, Bodo Wartke, Alfons, Männergestalten.
21.–26.11. Alma Hoppes Lustspielhaus
Martin Buchholz, Premiere: „Freiheit für Angela“,
26.–29.1. Stadtteilkulturzentren
4. Hamburger Comedy-Pokal