Es hat sich herumgesprochen, dass es hier inzwischen blauen Himmel gibt. Manchmal auch rosa Wölkchen. Aber so richtig rosig ist es trotzdem nicht. Angeregt durch Eigenheimzulage und Pendlerpauschale verzeichnen die Randgebiete dieses Städtekonglomerats regen Zuwachs, während die Innen-Städte und die Innenstädte leerer werden. In Mülheim soll im März mit dem Projekt „Leer Stand“ verwaisten Ladenlokalen zeitlich begrenzt kulturelles Leben eingehaucht werden. Man hofft auf geselliges abendliches Treiben statt wachsender Verödung. Neben einer Ausstellung wird es die „Leer Stand Revue“ geben, bei welcher der Mülheimer Kabarettist Wolf Dieter Zimmermann als „Kulturdezernent“ durch das Programm führt; Gäste sind u. a. HP Lengkeit und Thomas Gsella („Titanic“). An weiteren Abenden spielen Jochen Malmsheimer, Frank Goosen (selbstverständlich nicht gemeinsam!) und Die Golden Flamingos. Dazu gibt es Abende mit Mülheimer Bands. Initiator dieser Reihe ist Gert Rudolph (auch bekannt durch das Festival Art Obscura).
Einen Leerstand hatte auch das ehemalige Satiricon Theater in Essen zu beklagen, das nach dem Auszug des Satiricon e. V. nur noch ein leeres Theater war. Die neuen Betreiber sind seit Ende letzten Jahres Tacettin Binici (Betreiber der Spindel, Mönchengladbach) und Kazim Calisgan. Sie haben renoviert, den Namen Katakomben an den Eingang gedübelt und ein neues Programm auf die Bühne gebracht. Neben einem abwechslungsreichen Mix aus Kabarett und Comedy legen sie weitere Schwerpunkte auf die schon im Satiricon angestammte Jazzreihe und interkulturelle Theater- und Musikabende. Damit gibt es in Essen endlich wieder einen Veranstaltungsort, der mit seiner 150er-Bestuhlung die Lücke zwischen räumlich zu klein (Kneipe) und sehr groß (Zeche Carl) füllt. Programm unter: www.katakomben-theater.de
Das Theater Trifolie aus Hagen ist mit neuem Material auf den Bühnen unterwegs. Schon im ersten Programm „Bazurrr!“ präsentierten sich Axel Vandenabeele, Sven Stutzenberger und Rolf Neuendorf wie in einem lebenden Comicstrip, bei dem die Geschichten meist irgendwann ins Absurde kippten, sehr zur Freude des Publikums.
Jetzt endlich gibt es das zweite Programm „Avanti! Avanti!“, das im vergangenen Dezember im Wuppertaler Rex Premiere feierte. Darin widmen sie sich der Welt des Sports und ziehen alle Register der Bewegungscomedy: Zickige Sprinter, großkotzige Fußballer, irrwitzige Bobfahrer und andere skurrile Sportfiguren.
Noch mal Bewegungscomedy: Das Duo Diagonal aus Bochum macht im neuen Programm einen auf „Unwiderstehlich“ – bewegte Komik zwischen Glamour und Desaster. Deana Koszey und Holger Ehrich haben im wahrsten Sinne des Wortes „Funny Bones“. Wenn sie als „Roger“ und „Chantal“ den Weg zum Bühnenruhm suchen und sich dabei erfolgreich gegenseitig im Weg stehen, dann bleibt kein Auge trocken. Sie träumt von Glamour, er von Groupies. Als eines der wenigen gemischten Bühnenpaare haben die Diagonals viele sehr eigene Geschichten zu erzählen.
Das Essener Duo Weber/Beckmann ist seit Januar ebenfalls mit einem neuen Programm zu sehen: „Ausversehnsucht“. Die Lieder beweisen eine stetige Weiterentwicklung ihres Text- und Kompositionstalents. Nicht nur musikalisch, sondern auch inhaltlich schaffen sie so immer öfter die Punktlandung. Nicht umsonst wurden Christiane Weber und Timm Beckmann damit einer der Abräumer bei der Freiburger Kleinkunstbörse. Das Duo ist hervorragend aufeinander eingespielt, sowohl in als auch zwischen den Liedern. Von tragisch bis komisch fährt die Gefühlsachterbahn auf und ab, von hysterisch bis spöttisch ist die Darbietungsweise. Weber/Beckmann sind ehrlich und direkt und manchmal ein bisschen sentimental. Und immer sehr unterhaltsam.
In Duisburg gibt es eine neue musikalische Familie, quasi die polnischen Kellys, die Popolskis. Oder kurz: The Pops. Sie haben eine Mission, nämlich die Ehre von Opa Popolski wiederherzustellen, dem Erfinder aller Popmusik. In ihrem Programm spielen die Pops bekannte Lieder in unbekannten Versionen und zeigen dazu Familiendias. Mastermind und Erfinder Achim Hagemann erzählt mit sauberem polnischen Akzent die jeweilige Geschichte, wie das Stück entwendet und von skrupellosen Bands wie Modern Talking als eigene Komposition ausgegeben wurde. Der Rest ist Party. Die Pops wurden mit ihrer Darbietung für den diesjährigen Prix Pantheon nominiert und treten dort u. a. gegen Ludger K. (ebenfalls aus Duisburg) an.
Was die Ausbildung zum Kleinkünstler angeht, ist Deutschland ein Entwicklungsland. Schon das Wort verunglimpft diese Bühnenkunst als niedere Tätigkeit, die den hehren anderen Künsten (Oper, Theater, Ballett) nicht das Wasser reichen kann. Wer in diesem Metier anfängt, steht zunächst ziemlich allein da. Sogar die Köln Comedy Schule musste nach ein paar erfolgreichen Jahren wegen fehlender Sponsoren wieder aufgeben. Die Kabarettistin Kordula Völker aus Dinslaken hat vor einiger Zeit eine Kleinkunstakademie eröffnet, an der sie Seminare für Profis und Neulinge anbietet. Der Untertitel „Wir machen Sie fit für die Bühne“ klingt zwar etwas steif, aber die Idee schließt auf jeden Fall eine große Lücke im Ausbildungssystem für Bühnen-klein-künstler. Infos unter: www.kleinkunstakademie.de.
Wer sich nach so einem Seminar dann fit für die Bühne fühlt, kann sich in Herne in einer neuen Mixshow ausprobieren: „Schnittcom im Friseursalon“. Initiator und Moderator Helmut Sanftenschneider (Gitarrist von Johann Köhnich) lädt jeden Monat Künstlerkollegen zwischen die Waschbecken und Trockenhauben ein, und auch den Postboten des jeweiligen Lieblings-Stadtteils. Sind in Herne ja nicht so viele.
Redaktion: Wiebke Doktor
2005-03-15 | Nr. 46 | Weitere Artikel von: Wiebke Doktor