Das Piccolo-Theater schließt
Von KLAUS WITZELING
Hamburg - Nun ist endgültig Schluss mit dem Piccolo-Theater. Nach 15 Jahren gibt Gerd D. Samariter aus gesundheitlichen Gründen die "Kleinste Bühne der Welt" auf. Bereits vor einem Jahr hatte er nach Auslaufen des Mietvertrages für die Räume in der Elbchaussee die Absicht aufzuhören, fand dann aber Unterschlupf beim Galeristen Stefan Höger im "Atrium" an der Bernstorffstraße und noch dazu einen Privatsponsor. Dort hat Samariter drei Produktionen herausgebracht: Horst Vincons köstlichen Monolog "Der Goethe muss weg" mit Ortrud Spahlinger, einen Cocteau-Abend und "Fast Faust", wo er noch den Mephisto spielte. Im Herbst erlitt der 58 Jahre alte Schauspieler und Regisseur leichte Gehirnschläge. "Es waren eigentlich gröbere Durchblutungsstörungen, aber ich leide an den Folgen, habe Konzentrationsprobleme und kann das Theater, das ich doch ganz auf meinen Schultern getragen habe, nicht mehr weiterführen." Im Herbst 1985 hatte Samariter die Minibühne im Schanzenviertel von Hans Joachim Runtzler übernommen und startete mit einem Brecht-Abend über die Liebe. "Das Jahrmarktsfest zu Plundersweilern" von Peter Hacks wurde dann zum Durchbruch für den neuen "Wirtendanten" in der Juliusstraße. Hacks gehörte zu den Dramatikern, die er in seinem Programm mit "literarischem und zeitgenössischem Theater" pflegte. Aber auch der eindringliche "Käfig-Woyzeck" mit Circe, dessen Solo "Geschichte eines Schweins" oder der "Beauvoir-Abend" von Angela Röder gehörten wie Christine Brückners "Ungehaltene Reden ungehaltener Frauen" zu den Piccolo-Rennern. Regelmäßig veranstaltete Samariter zusätzlich Lesungen, ein "Kabarett am Samstag" sowie musikalische und literarische Frühschoppen. Immer wieder versuchte er mit neuen Ideen und kleinen dramatischen Entdeckungen wie Hacks' "Die Musen", Wim Wells lesbische Beziehungskomödie "Gertrude Stein und eine Begleitperson" oder Daniel Haws "Waldo und Schmerl" etwas Neues zu bieten, auf seine Weise zur Farbigkeit und Vielfalt der Hamburger Theaterszene beizutragen. Als Regisseur war und ist Samariter kein Freund der formalen oder künstlerischen Experimente, vertraut lieber auf solides Bühnenhandwerk und psychologisch fundierte Darstellung. In den Rollen gerissener, selbstironischer und verschmitzter (Über)Lebenskünstler kommt sein Komödiantentum am besten über die Rampe. Es speist sich wohl aus seiner unermüdlichen Passion für die Bühne. Esther Vilars "Amerikanische Päpstin" eröffnete im Februar 1995 nach dem Umzug an die Elbchaussee die neue Studiobühne in Ottensen. Dort konnte von der "Kleinsten Bühne der Welt" eigentlich schon nicht mehr die Rede sein. Die Platzkapazität stieg regelmäßig mit jedem "Neuanfang": Bot das Original-Piccolo knapp 35 Leuten Platz, waren es in der Elbchaussee-Studiobühne 45 und im "Atrium" weit über 50 Sitze. Leider entwickelte sich der Publikumszuspruch gegenläufig. Doch Samariter wusste immer wieder ein paar Freunde für sein Piccolo zu gewinnen. Bei allem Schätzen von Högers Gastfreundschaft im "Atrium" war die Situation für das Piccolo durch das wechselnde Veranstaltungsprogramm schwierig. "Von allen drei Spielstätten war es die ungünstigste", urteilt Samariter im Rückblick. "Durch die vielen anderen Aktivitäten mussten wir ständig die Bühne ab- und wieder aufbauen. Auf Dauer hätten wir da eine Lösung finden müssen." Doch auch Felicitas Hanack, Samariters Partnerin auf der Bühne und im Leben, wollte die mit 40 000 Mark jährlich von der Kulturbehörde unterstützte Minibühne nicht weiterführen. "Seit zwei Jahren arbeitet sie in ihrem eigentlichen Beruf als Tänzerin und trainiert das Lüneburger Ballett." Zunächst muss Samariter zur Kur, danach hat er aber schon Pläne für die nächste Spielzeit. "Wenn sich mein Gehirn wieder einigermaßen erholt hat, werde ich wieder als freier Schauspieler und Regisseur arbeiten."
2000-06-15 | Nr. 27 |