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    Wühlarbeiten im Untergrund: Stunk 2010 und Pink Punk Pantheon



    Die Stunksitzung im E-Werk Köln-Mülheim sowie
    Pink Punk Pantheon, die kabarettistische Karnevalsrevue im Souterrain am Bonner Bundeskanzlerplatz, sind die Großereignisse des alternativen Sitzungskarnevals in der Region Köln/Bonn.

    Kontor für Kunst und KulturIn Köln bot die Stunksitzung auch in ihrem 27. Jahr mit einem komplett weiblich besetzten Elferrat unter dem Vorsitz des Kölschen Vulkans Biggi Wanninger ein Feuerwerk aus bundes- und kommunalpolitischem Spott und rasanten Musiknummern. Die Band Köbes Underground brachte im ausverkauften E-Werk zuverlässig den Saal zum Kochen und das Publikum mal zum Schunkeln, mal zum Tanzen auf die Tische.

    Das „Tanzmarie-Mobile“ war ein optisches und artistisches Highlight der Stunksitzung, ebenso die kölsche Ausgabe von „Woodstock“. Denn die Geschichte der großen Festivals begann schon ein Jahr vor Woodstock – natürlich in Köln mit dem Summer of Alaaf.

    Das Personal der Regierungskoalition und die Unterhaltungsindustrie lieferten denn auch den „Stunkern karnevalistische Munition. Ein schneidiger Verteidigungsminister zu Guttenberg (Christian Rzepka) fliegt am Truppenstützpunkt Kundus mit zwei Fliegern ein („einer für seine Klamotten und sein Haargel“), weil die Gala dort Fotos von ihm machen will, und verteilt Autogrammkarten an den Offiziersstab, der sich die Zeit mit World-of-Warcraft vertreibt. Ein erbitterter SPD-Redner schleudert die Uhr von August Bebel und Willy Brandts Knieschoner aus Warschau ins untreu gewordene Wahlvolk. In der Olli-Geißen-Chart-Show „Die geilsten Grundgesetzartikel von Deutschland“ talken Adolf Hitler, Bushido und Claudia Roth. An einer Bushaltestelle im Himmel steht Trude Herr (Biggi Wanninger) mit Engelsflügeln und einem weißen Koffer in der Hand. Sie will „fott vun hier bovve, sickdem datt schwazze Hüppemützje, dat Rippejestell hier bovve is’“. Im Tanzduell mit Michael Jackson zeigt sie, wer immer noch die wahre „Queen of Heaven“ ist. Ozan Akhan verzückt das Publikum als Karnevalsprinz Ozan I. mit orientalischem Hüftschwung als „Türkisch Prinz in Cologne“, und im Finale lässt das Stunk-Ensemble den „Summer of Alaaf“ 1967 aufleben, der auf einer Knollebuure-Wiese in Köln-Zollstock stattfand und ein Jahr später auf einer Farm im Bundesstaat New York nachgeahmt wurde. Bei aller musikalischen Verve und Farbenfreude, die die Stunksitzung auch dieses Jahr verbreitete: Der Höhepunkt der Sitzung war sehr still. In der Nummer „Stadtarchiv“ räumten drei Trümmerfrauen den Schutt des historischen Archivs auf, bei dessen Einsturz im März 2009 zwei Menschen starben und Zeugnisse aus 2.000 Jahren Stadtgeschichte verloren gingen. Es wurde dunkel im Saal. Die Künstler traten an eine mit einer schwarzen Emulsion bedeckte und von unten beleuchtete Platte, deren Bild an die Bühnenrückwand projiziert wurde. Mit den Händen malten sie zu den Klängen alter Willi-Ostermann-Lieder naive Bilder aus Jahrhunderten der Stadtgeschichte ins Schwarz: den Dom, ein Liebespaar an der Deutzer Brücke, ein großes Herz am Himmel, marschierende Soldaten, einen Panzer, Bomben. Am Schluss verschlang sich unter den Klängen von „Nothing else matters“ (Metallica) alles zu zwei Rosen und dem Schriftzug „Ende“. Da war im Saal des E-Werks kein Atemzug mehr zu hören, bis sich das Publikum schweigend zu Standing Ovations erhob. Wenn Köbes Underground in diesem Moment nicht mit geballtem Big-Band-Sound losgelegt hätte, wären die Tränen der Zuschauer nicht mehr zu halten gewesen. Jener Artikel des ‚Kölschen Grundgesetzes‘, der besagt: „Et hätt noch immer joot jejange“, gelte nicht mehr, hatte die Sitzungspräsidentin am Anfang erklärt. Die Freude der jecken Zeit hatte in Köln und in Bonn eine Einfärbung von Sorge, manchmal von Sarkasmus. Auch in Köln hatte George Isherwood Regie geführt. Zum Ensemble gehörten außer den bereits Genannten Anne Rixmann, Bruno Schmitz, Didi Jünemann, Doris Dietzold, Doro Engelhaaf, Günter Ottemeier, Martina Bajohr, Martina Klinke und Tom Simon.

     

    Pink Punk Pantheon

    hat sich als intellektuelle, bösartige und manchmal nostalgische Revue etabliert. Das Publikum sitzt gepflegt an Kabarett-Tischen, das Präsidium der jährlichen Sitzung des 1. Freien Kritischen Karnevalsvereins Bonn n. V. Heimatverein Rhenania 1983 wird auch in der 27. Session minimalistisch von den beiden ewigen Vereinsvorsitzenden Fritz Litzmann (Rainer Pause) und Hermann Schwaderlappen (Norbert Alich) – fast möchte man sagen: symbolisiert.

    Bonn geht es schlecht. Der Hauptstadtstatus ist futsch, ebenso die von Fritz Litzmann pathetisch verehrte ehemalige Oberbürgermeisterin (OB) Bärbel Dieckmann. Was OB Dieckmann, die 2008 als Nachfolgerin von Ingeborg Schäuble zur ehrenamtlichen Präsidentin der Welthungerhilfe gewählt wurde, für den Standort Bonn geleistet hat, ist beachtlich und anerkannt. Bittererweise aber hat die Ära Dieckmann der Stadt auch einen veritablen Bauskandal beschert: das World Conference Center Bonn (WCCB), ein Bauprojekt im ehemaligen Regierungsviertel. Ein großer koreanischer Investor erwies sich zu spät als zu windig, tauchte ab und ließ die Stadt auf der Bauruine und einer Investitionslücke in mehrstelliger Millionenhöhe sitzen. Schilda am Rhein. Pink Punk Pantheon begann mit einer Video-Ansprache des Bundespräsidenten Horst Köhler zur Woche der Welthungerhilfe, deren Text den Bonner Verhältnissen angepasst worden war. „Rettet Bonn“ lautet der Weckruf, damit die Bewohner der ehemaligen Bundeshauptstadt nicht demnächst, koreanischer Sitte folgend, ihre eigenen Hunde essen müssen. Auch nicht die rechtsrheinisch wohnenden. „Bonn“, flehte Litzmann, „darf nicht Biafra werden“. Mag die Schutzheilige der Bonner Nachkriegs-Baugeschichte nun Frau Schürmann oder die Heilige Barbara heißen, diese Geschichte ist eine von Bausünden und Korruption. Aber davon lässt sich der Heimatverein Rhenania zuletzt den Spaß verderben. Zum Karnevalsschlager „Es ist noch Suppe da“ zieht das Ensemble in den Saal. Die PPP-Band spielte diese Session als „Les Fontaines oder Sarahs Wagenknechte“ auf. Unter der Regie von George Isherwood sangen, tanzten, parodierten und persiflierten Beate Bohr, Gabi Busch, Axel Cruse, Tunc Denizer, Richard Herten, Manni Hollaender, Sia Korthaus, Sangit W. Plyn, Massimo Tuveri, Gerhard Vieluf, Gernot Voltz und Maryam Yazdtschi. Gernot Voltz alias „Herr Heuser vom Finanzamt“, der wie jedes Jahr Seit an Seit mit Litzmann und Schwaderlappen den Rechenschaftsbericht transparent gestaltete, gab dem Affen Zucker mit einer Cover-Version des Schlagers „Zigeunerjunge“ der 1969 tragisch verunglückten Sängerin Alexandra (Nefedov). Herr Heuser, dessen Stimmlage erstaunlich der von Alexandra ähnelt, schmetterte melodramatisch und mit viel Seele: „Finanzbeamter, Finanzbeamter, wo bist du, wo machst du die Steuer?“. Weitere musikalische und tänzerische Höhepunkte waren die Michael-Jackson-Parodie der Granate vom Dienst, Tunc Denizer, und Alich/Pauses Schweinegrippe-Medley („Mein kleiner grüner Auswurf liegt draußen am Balkon“). Denizer, eher klein gewachsen und mit einem BMI über 20, ist ein begnadeter Tänzer in der Nachfolge John Travoltas und des King of Pop. In einer der Anfangsnummern schießt er auf die Bühne, kommt keuchend an der Präsidiumsempore zum Stehen und zündet eine Tanz- und Gesangs-Parodie auf Jacksons „Thriller“ mit dem Text: „Ich war im Keller – wollte nach der Zapfanlage schau’n / Es gibt kein Bier mehr (…)“. Das choreografisch eingebundene Schnapsleichen-Ballett (ein Zitat aus dem „Thriller“-Video) brachte das Publikum zum ersten Mal an diesem Abend zum Johlen. Massimo Tuveri und Maryam Yazdtschi glänzten mit einer respektlosen Berlusconi-Nummer. Der Cavaliere, im geschmacklosen Zweireiher, mit vom Lifting noch blutigen Pflaster im Gesicht, fragte den Rhenania-Vorstand, wie es ihm gelungen sei, lebenslange Immunität zu erlangen, und bandelte unter eindeutigen Gesten mit blonden Damen im Publikum an, während Yazdtschi als Cicciolina-Verschnitt seine Anspielungen in politisch korrekte Floskeln übersetzte. Running Gag war diese Session ein mannigfaltig getarnter Günter Wallraff (Gabi Busch), der mal als „Neger“, mal als verschleierte Muslima Aufnahme in die Rhenania begehrte, von Litzmann aber mit den Worten: „Das ist doch pervers – ein Enthüllungsjournalist mit einer Burka!“ kurzerhand diskriminiert und in seine „Villa in Unkel“ (Weinstädtchen am Rhein südlich von Bonn) zurückgeschickt wurde. Die Bühnendekoration bestand aus einer mit einer senfgelben, ornamental geprägten Velours-Tapete bespannten Rückwand, mit zweiflügeliger Schwingtür und einer fahrbaren Präsidententribüne, die von 45 in ihrem hölzernen Leib verborgenen Sklaven betrieben wurde. Bonn muss sparen, und dem Klimaschutz dient es auch. Die Deko stammte nicht etwa aus der alten Bonner Beethovenhalle (die einem neuen Festspielhaus – und hoffentlich nicht dem nächsten Bauskandal – weichen soll), vielmehr handelte es sich um Fritz Litzmanns ausrangiertes Wohnzimmer. Vor dieser senfgelben Tapete ließen sich die beiden Sitzungspräsidenten mit Kölsch und Korn volllaufen, Schwaderlappen beklagte den drohenden Verlust der Beethovenhalle als Standort für die Erotikmesse und Litzmann baggerte wie jedes Jahr die weiblichen Servicekräfte an. Denizer und Tuveri als Leibwächter von Merkel und Westerwelle (im Einsatz gegen „linksterroristische Ex-Stasi-Anti-Anti-Umweltterroristen“ auf Kölner Schaumparties) bereiteten dem Publikum ebenso einen Heidenspaß wie Hermine und Fritzi (Beate Bohr, Gabi Busch), zwei angejahrte Adoptivtöchter von Brangelina, die im Rheinland ihre leiblichen Väter suchen und finden: „Volkshochschule Haltern vor 35 Jahren, Karnevalsnachhilfekurs für Westfalen“, erinnert sich Schwaderlappen zerknirscht.

    Kabarettakademie_2010 

    Premieren-Termine

    Atelier-Theater, Köln

    9.4. „Bestatten, Weininger!“, Bestattungskabarett – Volker Weininger

    23.4. „Liebling, wir müssen reden“, Swing-Kabarett – Silvia Brécko

    5.6. „Ich bin nur noch hier, weil du auf mir liegst“, Comedy – Käthe Lachmann

     

    Comedia, Köln

    15.04. „Deep Schrott“, vier Bass-Saxophone a capella – Wollie Kaiser, Andreas Kaling, Jan Klare, Dirk Raulf

     

    Oper Bonn

    10.4. „Endlich Freizeit – Was für’n Stress!“, Reihe „Quatsch keine Oper“ – Paul Panzer

    20.6. „Ich gebe Ihnen mein Ehrenwort – Eine Weltgeschichte der Lüge“, Reihe „Quatsch keine Oper“ – Dieter Hildebrandt & Roger Willemsen

     

    Pantheon, Bonn

    31.3. „Falten und Kleben“, cholerische Comedy aus Unterfranken – Matthias Egersdörfer

    7.4. „You & I for Haiti“, Benefizkonzert – Bonn-Africa, Sò Sucesso, Michel and Friends

    26.–28.4. Prix Pantheon 2010, Kabarett-Olympiade

     

    Haus der Springmaus, Bonn

    24.4. Köbes Underground, live in Concert

    AdNr:1047k  AdNr:1066

    2010-03-15 | Nr. 66 |





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