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    Die Pointenzüchter oder „Ein Rock geht durch Deutschland“

    Pe Werner, der Star der 80er, ging wieder auf Tour durch den deutschen Süden und landete auch in Herrenberg.

    Andreas KlaueEine Ausnahme-Sängerin, in allen Gesangsstilen perfekt, sei es Schlager, Blues, Jazz oder Opernparodie. Und in den Zwischenansagen eine gute Kabarettistin, was sie ja schon vor zwei Jahrzehnten im Duo bewiesen hat. Freche Kommentare zu Tabuthemen, die den einen oder anderen biederen Schwaben dazu veranlassten, unter Protest den Saal zu verlassen. Was will eine Kabarettistin mehr. Doch: Sie will fast alles. Jetzt steht sie mit der weltbesten Big Band im Studio, der WDR Big Band. Wir können gespannt sein, was da herauskommt. „Mr. Grand Prix“ Cicero kann sich für 2008 auf jeden Fall schon mal warm anziehen.

    Ja! Oldies sind Goldies! Nach knapp 30 Jahren treten sie wieder gemeinsam auf, entern die Bühne wie Piraten! Old Friends: Der Käpt’n-Blaubär-Autor Bernhard Lassahn, Thommie Bayer, vom Liedermacker zum Topschriftsteller für TV und Bestsellerlisten mutiert, und der bekannte Kabarettist und Wortakrobat Tom C. Breuer. Ihr Programm: „Kennedy starb vor Winnetou“.

    Bei den Galgenstricken in Esslingen und in der Stuttgarter Rosenau gaben sie ihr Déjà-vu-Debüt. Lassahn mit Geschichten von „Zuckerhut und Flitzebogen“, ironische Erinnerungen an seine verschwundene Kinderzeit, mit „Ich wollte treu sein, sobald ich konnte“ aus „Liebe in den großen Städten“ und seinem Hit „Die Rehe in der Abenddämmerung“, begleitet auf dem Mini-Pling-Plong, zeitlose Perlen aus drei Jahrzehnten.

    Thommie Bayer liest Rotwein schlürfend aus seinen bekannten Romanen wie „Das Herz ist eine miese Gegend“ und greift, wenn die beiden anderen drängeln, auch mal wieder zur Gitarre. Wunderbar witzige und emotionale Lieder, davon hätte man gern mehr gehört. Und dann, praktisch als satirischer Moderator, die Rampensau Tom C. Breuer! Ständig schreibt er neue Texte, immer wieder aktualisiert er seine besten, hat eine enorme Bühnenpräsens und eine gute Stimme. Köstlich seine Dylanparodie, ohne ein Wort von Dylan.

    Im Laboratorium, einst das Mekka der Stuttgarter Kleinkunstszene, sind Kleinkunst-Auftritte selten geworden. Im April gastierten Klaus Birk mit seinem Schwabenkabarett und Ingo Börchers mit „Wissen auf Rädern“: Wie bringt man Wissen und Bildung in einer Pisa-geschädigten Nation wirkungsvoll an den pädagogischen Kunden?

    Im Renitenz traten die üblichen Verdächtigen auf, die immer wieder bei Kleinkunstpreisen dabei sind. Ich war gespannt auf H. G. Butzko mit „Voll im Soll – Mit Laune am Limit“. Er schlittert vom Irak zur Todesstrafe, von Massenvernichtungsmitteln zu Britney Spears, von Kabarettprostitution auf dem Gedankenstrich bis zu Korruption und Siemens.

    Das Programm ist voll von Wortspielen und der Wiedererkennungswert ist hoch, wenn man sich in der Kabarettgeschichte der letzten 106 Jahre halbwegs auskennt. Er kommt sogar von „Ge-werk-schaft“ auf „geschafft“. Das muss einem erst mal einfallen! Gut. An manchen Stellen erreicht er das Niveau von Kittner und Buchholz, allerdings als Unparteiischer, soweit man das erkennen kann.

    Im gleichen Laden der Urbayer Schleich mit „Mutanfall“. Zuerst spielt er einen verdrucksten Typen, der auf der Bühne den Platz des verhinderten Kabarettisten einnimmt. In unterschiedliche Rollen zu schlüpfen ist eine seiner Stärken. Schnell wird er mit dem Publikum warm. Paranoia ist das Merkmal einer seiner Figuren, die ständig über Atomkriege, Osama-Phobie, Neo-Nazis und Rauchverbote räsoniert. Trotzdem geht es ihm gut: „Hauptsache, man ist gesund und die Frau hat Arbeit!“ Ihm graust vor dem Reichwerden: „Ständig auf der Jacht bei Windstärke 10 und Kaviar speien“. Dann schon lieber bei Leberkäs bleiben, der in Bayern neuerdings Gammelfleisch heißt. In Genf war er auf der „Inter-Witz“ unter lauter Pointenzüchtern. Billigste Witze wurden dort zu Pointen verarbeitet, ein Beitrag zur Humor-Globalisierung. Ein Kabarettist mit Eigenhumor, was ja nicht allzu oft vorkommen soll.

    „Ein Rock geht durch Deutschland. Oder soll man besser sagen, ein Hosenanzug?“ In Esslingen steht seit hundert Jahren die „Villa Merkel“, und das Zitat stammt aus dem laufenden Programm der Galgenstricke „Alles wird Flut“. Und das in der alten Reichsstadt, die oft unter Neckar-Wasser steht. Scharfe Politsatiren von Erich Koslowski wechseln mit fantasievollen Songs von Herbert Häfele, die sich um Musik, Fußball und Alltägliches drehen.

    Aber ab jetzt gibt es bei den Galgenstricken auch etwas ganz Neues. Das Soloprogramm von Koslowski über das Älterwerden, das im Juli mit einer rauschenden Premiere in die Welt gesetzt wurde. „Bettnäss-Wellness“: Vom Grufti-Marathon zum Bypass-Spaß. Ausnahmsweise mal „Erich allein zu Haus“.

    Im Schauspielhaus lief das ausgefallene Programm „Drei Engel für Dylan“ weiter. Dylan-Songs noch mal überarbeitet, humorvoll aufbereitet, frisch ins Deutsche übersetzt. Eine gelungene Kleinproduktion in diesem innovativen Theater, dessen Schwerpunkt im Herbst die künstlerische Auseinandersetzung mit der „RAF-Zeit“ sein wird.

    Vor dem Schauspielhaus fand in der Ferienzeit das Stadtfest statt, das drei Tage lang Gruppen aus den Bereichen Rock, Folklore, Schlager, Funk und anderen Stilrichtungen präsentiert. Einer der Höhepunkte war der fetzige und augenzwinkernde Auftritt der Gruppe Second Son, der die Zuschauer wie einst „Chicago“ oder „Earth, Wind & Fire“ von den nichtvorhandenen Stühlen riss. Die Gruppe um den Ausnahmegitarristen Dirk Sonntag steigert sich seit 26 Jahren von Mal zu Mal. Auch diesmal kam sie beim anhaltenden Applaus kaum von der Bühne.

    Im Merlin gab es eine Dichterlesung mit Oliver Maria Schmitt. Zuerst das Übliche: Tischchen mit Wasser- und Weinglas. Aber dann geht es mit einer krachenden Gitarre los. Henning Sedlmeir rockt und rollt. Danach ein paar ironische Bemerkungen über das schwäbische Publikum während ihrer Welttournee durch Süddeutschland: „Wir ziehen weiter und ihr müsst hier bleiben“. Das passt zum Programm und zum Debütroman! „Punk auf die Ohren. Anarchoschnitzel schrieen sie“. Gelungene Conférencen, starke Satiren über Jugendzeit und selbst gemachten Punk. Er spielte in einer Punkgruppe, die Senf hieß. Sie waren gegen alles, gegen Kohl und seinen 82er-Putsch, gegen Maultaschen und Hippies. Immer wieder wird die Lesung durch Gitarrenspiel unterbrochen, das gelegentlich an eine Kreissäge erinnert. Ein Bildungsroman, ein Entwicklungsroman oder gar ein historischer Roman? Das musste das Publikum selbst entscheiden, das zufrieden nach anhaltendem Applaus den Saal verlies.

    Im Theaterhaus fand der alljährliche Jazzgipfel statt, diesmal Deutschland gegen die Schweiz. Erika Stucki ist eine Ausnahmeerscheinung auf der Bühne. In den 60er-Jahren im Hippieklima von Kalifornien aufgewachsen, dann von den Eltern in die konservative Schweiz verschleppt, profitiert sie von diversen musikalischen Einflüssen von Hendriks bis zur Alphornmusik. Und genau dieses Instrument spielt ihre Gruppe Roots Of Communication. Stucki flitzt über die Bühne, ist ironisch, beherrscht ihr Handwerk und springt vom Jodler zum Rocksong, vom Jazz zur angerauten Popmusik. Der Höhepunkt der 22. Internationalen Jazztage!

    Bei meinem jährlichen journalistischen Ausflug zum Jazzfestival in Montreux sah ich diesmal die Woodstock-Legende Sly And Family Stone. Schwer angeschlagen nach einer jahrzehntelangen Drogenkarriere kam Sly mit Halskrause für zweimal fünfzehn Minuten auf die Bühne. Den Rest überbrückten seine Schwester und seine jungen Sänger mit Bravour. Beverly Knight kam als Gast bei George Benson und Al Jarreau auf die Bühne, und sang die beiden Oldies an die Wand. Auch bei ihrem eigenen Auftritt einen Tag später räumte sie gnadenlos ab, als Janis Joplin und Aretha Franklin in einer Person.

    Redaktion: Bruno Schollenbruch


    Terminkalender:

    Stuttgart:

    Rosenau:

    27.9.    Stefanie Kerker – Chanson

    04.11.   Stuttgarter Poetry Slam mit Timo Brunke

    09.11.  Bodo Wartke

    17.11.  Sebastian Krämer

    30.11.   R. Grebe

    Theaterhaus:

    01.10.              Hudson Shad

    05./06.10.        Richard Rogler

    13.10.              Josef Hader

    19.10.              Bernd Lafrenz

    22.10.              Polt & Biermösl Blosn

    26.10.              Esther Ofarim

    02.11.              Venske & Busse

    05.11.              17 Hippies

    16.11.              Die Wellküren

    25.11./14.12.   Schollenbruch & Beirer

    Renitenztheater:

    02.–06.10.       Münchner Lach- und Schießgesellschaft

    15.10.              Théâtre de la Choucrouterie Strasbourg

    16.–19.10.       Ernst und Heinrich

    23.–27.10.       Simone Solga

    31.10.–03.11.  Helmut Schleich

    Schauspielhaus:

    06.10.              Uraufführung: Die dritte Generation von Fassbinder

    07.&14.10.      Eine Bombe für die RAF

    12.10.              W. Backes und Manfred Rommel

    16.11.              A Clockwork Orange

    AdNr:1088 

    2007-09-15 | Nr. 56 | Weitere Artikel von: Bruno Schollenbruch





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