Angesichts des G8-Treffens in Heiligendamm gingen, wie wir am Bildschirm verfolgen konnten, viele Leute auf die Straße, um zu demonstrieren. So mancher hat sich bestimmt bei dem Gedanken ertappt: „Ja, es ist ja schlimm, was alles so passiert, aber was kann ich denn da schon machen?!“
In früheren Zeiten, auf den Märkten und Straßen, war das Volks-Theater nicht lediglich eine Bespaßung, sondern auch ein Mittel, seinen Unmut gegen herrschende Verhältnisse inmitten des Volkes kundzutun. Meist hatte dies indirekt zu geschehen, denn schnell wurde der Rebell von dazumal zum Schutz der majestätischen Diktatur königlicherseits seines Kopfes beraubt. Als 1709 in Frankreich die Sprache beim Straßenspektakel verboten wurde, entstand als einzig positive Nebenwirkung dieser brutal unterdrückten Meinungsäußerung, die Pantomime.
Inzwischen sind in unseren Breitengraden die unterhaltsamen Gesellschaftskritiker salonfähig geworden, sie nennen sich Kabarettisten und ernten mit Spott, Ironie und Stellungnahme viel Applaus und wenig Geld. Aber sind sie Rebellen? Wohl eher nicht. Leider hat bisher kein noch so glanzvolles kabarettistisches Meisterstück mit seiner wie auch immer geäußerten Kritik eine politische Bewegung ins Leben gerufen. Wo gibt es sie denn, die rebellischen Geister, die mit den Mitteln des Theaters fernab von Bühnen etwas bewegen wollen?
Auf dem G8-Gipfel sind viele Gruppierungen in Erscheinung getreten. Die schillerndsten Figuren waren sicherlich die Clowns, die mit Humor, Mut und Freundlichkeit Entspannung in die oft gereizte Demonstrations-Stimmung brachten. Diese Clowns haben sich zu einer rebellischen Clowns-Armee zusammengefunden, ihre Vereinigung heißt CIRCA, Clandestine Interplanetary Rebel Clown Army. Die Bewegung ist vor vier Jahren in England entstanden und hat inzwischen Clowns-Bataillone in vielen europäischen Ländern.
Man trifft die Clowns auf Demonstrationen, wo sie mit Clowns-Make-up und klassisch roter Nase sowie clownesk verfremdeten Uniformen militärische Paraden karikieren. Auch vor Staubwedel-Einsatz am Polizisten wird nicht zurückgeschreckt. Das schafft auf Demonstrationen ungewohnte Situationen und somit viel Verwirrung. Im günstigsten Fall schaffen es die Clowns, die humorvolle Seite aller Beteiligten wach zu halten, was die gereizte Stimmung zwischen Ordnungshütern und Demonstranten aller Gesinnungen deutlich entschärfen kann. Im ungünstigsten Falle werden die Clowns, wie in Heiligendamm geschehen, seitens der Polizei beschuldigt, eine ominöse Säure auf die Beamten gespritzt zu haben. Allerdings stellte sich nach einer Analyse die Flüssigkeit als Seifenblasen-Lauge heraus.
Eine erwähnenswerte Aktion der Clowns-Aktivisten war die Party für ihren Bruder Ronald McDonald, den die Clowns in einem der Schnellrestaurants in Rostock viele Stunden lang suchten.
Mehr gibt es auf www.wendlandclown.twoday.net zu lesen. Dort erhält man Informationen über Aktionen, Kurse und Hintergründe.
Ein Phänomen im Bereich des verdeckten Theaters sind die Yes Men. Ähnlich wie dazumal Hape Kerkeling die Nation glorreich mit seinem Auftritt als niederländische Königin Beatrix narrte, treten die Yes Men gerne unter falschem Namen in den Medien auf. So gaben sie beispielsweise ein BBC-Interview im Namen der amerikanischen Firma Union Carbide. In Bhopal in Indien waren zwanzig Jahre zuvor zehntausende Menschen bei der Explosion einer Chemiefabrik von Union Carbide ums Leben gekommen. Die vermeintlichen Pressesprecher der Firma – gespielt von den Yes Men – versprachen nun, die Verantwortung dafür zu übernehmen und die Opfer der Katastrophe zu entschädigen. Die BBC entdeckte den Schwindel erst aufgrund eines vermutlich empörten Anrufs der Firma Union Carbide. Das Interview war aber bereits zweimal gesendet worden.
Abschließend sollten noch die Billionaires for Bush genannt werden, eine US-amerikanische Bewegung, die – stets bestens gekleidet – für die Rechte von Milliardären eintritt. Auf ihren Straßenkundgebungen erscheinen die vermeintlichen Milliardäre oftmals mit Limousine und Champagner oder Golf spielend. Ihre auf Transparenten verkündeten Forderungen sind: „Steuern sind nicht für alle!“, „Blut für Öl!“ oder „Vergrößert die Kluft zwischen Arm und Reich!“. Manchmal scheinen Sonntagsanzug, Ironie und gute Laune schon ein hinreichend auffälliges Medium für Protest zu sein (www.billionairesforbush.com).
Wer sich mit dem Gedanken trägt, selbst oder mit anderen die Missstände der Welt, seien es Armut und Hunger, Umweltzerstörung oder Menschenhandel, kreativ auf offener Straße anzuprangern, dem sei das Buch „Theater der Unterdrückten“ von Augusto Boal wärmstens empfohlen. Ein Klassiker und damit sicher nicht mehr neu, doch hat es an Aktualität bisher leider nichts verloren.
Redaktion: Kassandra Knebel
2007-09-15 | Nr. 56 | Weitere Artikel von: Kassandra Knebel