Tür zu! (WortArt 4710; live, 19 Tracks, 78:53 Min.), fordert der Aschaffenburger Urban Priol. Der Randbayer hat sich in diesem Jahr mit der ZDF-Sendung „Neues aus der Anstalt“ in die erste Liga der deutschen Kabarettszene gebabbelt. Er springt zwischen politischen Inhalten und persönlich gefärbten Geschichten hin und her und zeichnet damit ein satirisches Panoramabild des Landes. Mit der Bundesbahn und Schäubles Sicherheitswahn geht der Ärger schon los, und mit den Sorgen um seine denkmalgeschützte Altersvorsorge, Handyproblemen, der Steuerprüfung und Ehekrach geht das Elend weiter, und dazu kommen noch Stoiber, Merkel und Glos, die seine Pein vergrößern. Also, leicht hat’s der Mann nicht, aber das (heimische) Publikum seine helle Freude.
Der Kabarettist Jess Jochimsen und der Musiker Sascha Bendiks warnen vor: Das wird jetzt ein wenig wehtun (WortArt 4491; live, 26 Tracks, 78:35 Min.). Dabei beginnt ihr Programm ganz harmlos mit Rilkes Herbsttag: „Wer jetzt kein Haus hat, baut sich keines mehr“, doch es folgen sogleich Clint Eastwood und Kierkegaard: Selbsttötung oder sich (mit der Zigarette im Mundwinkel) wehren, lautet also die Frage, der sie in Texten und Liedern nachgehen. Überhaupt das Rauchen, damit haben es die beiden Herren aus Freiburg: In der Revolution von 1848 wurde die Raucherlaubnis in der Öffentlichkeit erstritten, rund 160 Jahre später wird sie zunehmend wieder eingeschränkt. Ja, so kann es gehen im Leben, doch solch einen Satz mögen die beiden vermutlich nicht. Der würde wohl genau in ihre Sammlung von guten Sätzen – schlechten Sätzen passen, die sie dem Publikum präsentieren. Doch Jochimsen sammelt nicht nur Sätze, sondern auch Bilder: Im Booklet sind einige seiner Fotos abgebildet, die Originelles, Trostloses und Dümmliches von Fenstern und Hauswänden aus dem „städtischen Hinterland“ zeigen.
Auch Mathias Tretter (ebenfalls Randbayer, aber aus Würzburg) beginnt mit Rilkes Herbsttag und kommt dann zur Bundesbahn und deren Sicherheitslage. Er geht demnächst, erzählt er uns, mit seinem Programm Deutschland. Ein Gummibärchen (WortArt 4719; live, 19 Tracks, 77:58 Min.) für das Goethe-Institut auf Auslandseinsatz. Das gibt ihm Gelegenheit zu allerlei spöttischen Betrachtungen über die deutsche Innen- und Außenpolitik und die Amis. Die Sicherheitshysterie, Angela Merkel, Bush, Kollateralschäden der Flugkörper in Pakistan und die neuen Passregelungen beschäftigen ihn, aber auch sein Älterwerden und die demografische Entwicklung.
Musikalische Landgänge
Vol.XI.lieder (Tangram 69532 / Indigo; 15 Tracks, 47:58 Min., Texte) bringt Achim Reichel kraftvoll und rockig zu Gehör. Der Ex-Rattle hatte sich ja schon vor Jahren an deutsche Balladen herangemacht, jetzt also Volkslieder. Es sind die aus der romantischen Kiste, die zur Zeit von mehreren Sängern wieder gesungen werden, nicht die kritischen, kämpferischen. Am Brunnen vor dem Tore im schönen Wiesengrunde stehen hohe Tannen und ein Röslein auf der Heiden, als der Mond ist aufgegangen, weißt du wie viel Sternlein prangen? Nein, das Wasser war viel zu tief, aber die Gedanken sind frei. Soweit, so traditionell. Nicht herkömmlich sind dagegen seine modernen Arrangements, die, zusammen mit einigen textlichen Eingriffen und seiner rauen, dunklen Stimme, diese Lieder zu Songs machen. Die lyrische Kraft der Texte, u. a. von Heine, Goethe, v. Fallersleben, bewährt sich auch eindrucksvoll in den reichelschen Versionen. Er fegt diesen Liedern den Staub aus den Zeilen und ermöglicht dadurch einen neuen Zugang, abseits von den piefigen und langweiligen Interpretationen früherer Jahre.
Lieder von Liebe und Tod (Traumton 4504; 14 Tracks, 44:24 Min., Texte) nennt Christiane Hebold alias Bobo (in the wooden houses) ihr Album, auf dem sie sich ebenfalls des alten Volksliedes annimmt. Die Pfarrerstochter und Rocksängerin aus Halle/Saale hat sich für sehr sparsame und geheimnisvolle Interpretationen der Texte entschieden. Dunkel-romantisch, geradezu mystisch wispert sie die Lieder und schaut uns im Booklet verklärt wie aus einem Zauberwald an. Die zurückhaltenden Arrangements von Sebastian Herzfeld mit präpariertem Klavier (S. Herzfeld) und Klarinette und Sax (beide Anne Kaftan) zielen vor allem darauf ab, die entsprechende Hintergrundsatmosphäre zu kreieren. Bei den Überschneidungen zur CD von Achim Reichel sei hier stellvertretend „Die Gedanken sind frei“ betrachtet. Bei Reichel dienen die Gedanken vor allem dazu, dass man sich „von der Wirklichkeit zurückziehen“ (Booklet) kann und sein Vortrag hat daher eine fröhliche Unbekümmertheit. Bobo nutzt das Lied dazu, ihre Individualität auszuleben und entsprechend hört es sich etwas flippig, wie vor sich hin gesungen, an. Beide beziehen den Text nur direkt auf sich selbst. Der ursprüngliche, politische Anspruch auf Meinungsfreiheit als gesellschaftliches Grundrecht, der diesem Lied zugrunde liegt, spielt bei beiden Interpretationen keine Rolle. Daher wirkt bei beiden die Strophe „und sperrt man mich ein…“ so unpassend, als ob hier nicht von Verfolgung und Knast die Rede wäre, sondern davon, heute das Haus eben mal nicht zu verlassen. Goethe, Eichendorff und Zuccalmaglio in sehr gewagten und eigenwilligen, aber gekonnten Interpretationen.
Rotdorn, der Name verrät es schon, hat einen anderen Zugang zu Volksliedern. Das Quartett (Sabine Loos, Peter Schenzer, Dirk Wilke, Jens Wolf) aus Hamburg hat sich dem kritischen, dem kämpferischen Liedgut verpflichtet, entsprechend ist auch die Auswahl ihrer dritten CD Wenn wieder mal …(Plattenbau / Jump up;, Tel. 0421-4 98 85 35; 14 Tracks, 58:13 Min., Texte): antifaschistische Lieder (Mein Vater wird gesucht), internationale Lieder über Armut und Krieg (Joe Hill, Minerito, Le déserteur), plattdeutsche (von Helmut Debus) und eigene Agitpropsongs, die von Peter Schenzer stammen. Mit diesen Liedern will die Gruppe nicht nur unterhalten, sondern sich vor allem politisch einmischen. Ob sie dem Lied „Sag mir, wo du stehst“ der DDR-Singegruppe Oktoberklub angesichts des heutigen Wissens über Stasibespitzelungen die Unschuld zurückgeben können, darf indes bezweifelt werden.
Ihre Heimat Mannheim Mannem Monnem (Edition KuturNetz KN 090607; 21 Tracks, 77:43 Min., Infos) besingen u. a. Joana, Joy Fleming, Christian Habekost, Bülent Ceylan, Claus Eisenmann und andere Söhne Mannheins jetzt schon auf Volume 2. Die kurpfälzische Quadratstadt an Rhein und Neckar wird volkstümlich, jazzig und rockig beschworen, besungen und berappt. Also vermutlich geht dort zwischen der Pfalz und Baden dermaßen die Post ab, da kann Ludwigshafen eigentlich nur neidisch werden. Eine freundliche Hommage zum 400. Stadtgeburtstag.
Der Liedermacher Ingo Barz wählt für seine Liederreise durch Mecklenburg einen anderen Ansatz. In unprätentiösen Liedern führt er uns durch die Geschichte und die Landschaften dieses flachen und wasserreichen Landstriches an der Ostsee und vermittelt die Farben und die Atmosphäre der Wiesen, Wälder, Seen, Dörfer und Strände. Dass Ingo Barz bei aller Heimatliebe auf falsche Romantik verzichtet und stattdessen mit offenem und realistischem Blick von diesem Land und seinen Menschen erzählt, macht seine Lieder ebenso interessant wie angenehm. Das wollt ich Dir noch singen … (Schnitterhof SHM 011 / ISBN 978-3-931964-12-2; 22 Tracks, 65:57 Min., Texte), von den Mühlen, den alten Feldsteinkirchen, dem Leben der Bauern, Fischer und Seeleute, von der Not der Auswanderer, Emigranten und Pendler, den Erinnerungen an Vertriebene und allerlei fahrendes Volk, von der Nachkriegszeit, der Gegenwart und den Ausblicken. Den vier Anforderungen Robert Gernhardts „gut gefühlt, gut gefügt, gut gedacht, gut gemacht“ ist Ingo Barz auch auf dieser Liederreise wieder in seiner ganz eigenen Art gerecht geworden.
Der Landgang (Motor Music; 12 Tracks, 42:18 Min., Texte) der vier (älteren) Herren der Martinrühmannband aus Magdeburg ist ein wenig fad ausgefallen. Dabei sind die Lieder, für die Martin Rühmann die Texte und die Musik gemacht hat, voller Hintersinn und Melancholie, voller Sehnsucht auf der Suche nach dem Glück. Mit den sparsamen, angemessenen und raffinierten Arrangements zu diesen interessanten Texten ist eigentlich ansprechendes Material versammelt, doch des Sängers Stimme trägt die Hintergründigkeit der Lieder nicht. Martin Rühmann kann stimmlich diese Vielschichtigkeit nicht ausdrücken, so bleibt der insgesamt gute Eindruck dieser CD hinter ihren Möglichkeiten zurück.
Besonderer Hintersinn ist die Sache des Beppo Pohlman nicht, etwas Altersmelancholie dagegen hat der ehemalige Frontmann der Gebrüder Blattschuss schon im Gepäck. Seit über 30 Jahren ist er jetzt schon im Geschäft und versteht es immer noch, Stimmung zu machen. Ich war mal schön (Zett-Records / DA Music 766115-2; live, 21 Tracks, 63:18 Min.) will er uns in seinem aktuellen Programm glauben machen. Die Kreuzberger Nächte sind natürlich im fortgeschrittenen Alter nicht mehr so lang, die Haare grau und die Fans in der Regel über 35. Und doch kann das Volk, zumindest in Bierzelten, bis heute die „Kreuzberger Nächte“ mitsingen und mitklatschen; ein Ohrwurm sozusagen. Mit Selbstironie und Humor zieht Pohlman als Solist durch die Lande, singt und erzählt von Feten, dem Saufen und vom Älterwerden und verbreitet damit gute Laune. Na dann: Prost!
Gehen wir mit den Stimmungsliedern noch einmal zwei Jahrzehnte zurück in die frühen Fünfziger. Kennen sie noch den feinen Max oder den Tango-Max oder den Egon, dessentwegen die Dame ein Glas zu viel getrunken hatte? Aber die alte Kuckucksuhr und das alte Försterhaus sind ihnen noch gegenwärtig? Diese Filmschlager haben Friedel Hensch und die Cyprys zu verantworten. Kinder ist das Leben schön (duo-phon-records 05603; 22 Tracks, 67:27 Min., Infos) war das Motto der Wirtschaftswunderjahre, und die Truppe um das Ehepaar Friedel Hensch und Werner Cyprys war ein gut beschäftigter und gut bezahlter Publikumsliebling. Kinder, wie die Zeit vergeht! Heute erinnert man sich nur noch dunkel oder mit Grausen an diese Schmachtfetzen, und die witzigen Lieder wirken heute eher peinlich. Bis Anfang der Siebziger waren sie mit ihren Polkas, Walzern, Foxtrotts, Boogies und Tangos unterwegs, dann zogen sie sich zurück vom Showbiz. Wenn ihnen also mal nach einer Zeitreise ist oder sie für die Oma noch ein Geschenk suchen, denken sie doch an Egon und das alte Försterhaus.
Sollten sie aber eher etwas für ihre Enkel suchen, dann denken sie besser an das Rotkäppchen (Pläne 89014; 14 Tracks, 44:49 Min., Infos) und den Förster. Wobei in dieser Version von Floh de Cologne aus dem Jahre 1977 nicht so sehr der Förster, sondern die Solidarität der kleinen tapferen Hasen zum verdienten Ende des großen bösen Wolfs (und des listigen Fuchses) beiträgt. Hier wird das alte deutsche Märchen der Gebrüder Grimm zur Solidaritätsparabel umerzählt. Und wer da alles mit erzählt bzw. mit singt: Christiane (Knauf) & Frederik (Vahle), F. J. Degenhardt, Fasia Jansen, Perry Friedman, Hannes Wader, Dieter Süverkrüp und Hanns Dieter Hüsch. Sollte die alte LP inzwischen zerkratzt sein bzw. mangels Plattenspieler auf dem Speicher: Die Kultplatte des fortschrittlichen Haushalts mit Kindern ist jetzt als CD im Fachhandel.