Beginnen wir mit den Rückblicken: An einem verschneiten Märzabend feierte Sebastian Krämer (Bild) die Berlinpremiere seines neuen Programms „Tüpfelhyänen“. Dabei zeigte sich, dass der Pianist und Chansonier allmählich auf den Höhepunkt seines Schaffens zusteuert: Moderationen voller hintersinniger Brillanz, musikalisch anspruchsvolle Chansons zwischen lyrischer Perfektion und höchst gekonntem Blödsinn. Dazu eine in ihrer präzisen Zurückhaltung kraftvolle Bühnenfigur. Hin und wieder erinnert Krämer an den Altmeister Georg Kreisler. Von diesem wird gleich noch die Rede sein. Ebenso wie von Krämers eigentlichem Lehrmeister, dem leider nur halb so weltbekannten Christof Stählin.
Stählin (Bild) hat immerhin im Februar den Ehrenpreis des Deutschen Kleinkunstpreis für sein Lebenswerk bekommen. Er ist nicht nur einer der feinsinnigsten und eigenwilligsten Künstler dieser Sparte. Er betreibt auch seit über zwanzig Jahren eine eigene Ausbildungsstätte für „Poesie und Musik“: die Sago-Schule, inzwischen in Mainz beheimatet. Ohne sie wären nicht nur die Berliner Kleinkunstbühnen halbleer. Unter den Absolventinnen und Absolventen sind neben Krämer auch die Kleingeldprinzessin Dota Kehr, Musikkabarettist Bodo Wartke, der dichtende Pianist Martin Betz und die Chansonniere Bérangère Palix. In Krämers Zebrano-Theater fand Anfang März darum auch eine Festveranstaltung zu Ehren Stählins statt. Kurz darauf gastierte dieser dort selbst mit seinem neuen Programm „Wunderpunkte“. Wer Stählin nicht kennt, und wissen möchte, wie seine hintersinnige Poesie funktioniert, soll einmal auf der Website der Sago-Schule nachsehen, wie es zu dem Namen kam.
Kommen wir jetzt zu Georg Kreisler. Der ist ja leider bereits seit über einem Jahr tot. Ein Protagonist des neuen Berliner Chansons beschäftigte sich aber schon zu Lebzeiten mit dem Werk des galligen Wieners und war mit ihm nicht nur persönlich befreundet, sondern hat auch von ihm gelernt: Tim Fischer. Dieser Tage ist Fischer nun noch einmal mit seinem Liederabend „Das war gut!“ für Georg Kreisler unterwegs, bevor im Herbst das neue Programm „Geliebte Lieder“ Premiere haben wird. Denn das Chanson lebt. Wir zitieren aus einem Rundbrief von Boris Steinberg, dem preisgekrönten Kämpfer fürs zeitgenössische Lied, der im Juni mit seinem neuen Programm Premiere haben wird. Anlässlich der diesjährigen „Echo“-Preisverleihungen im März freute sich Steinberg zu Recht: „Egal, was man von diesem Preis auch halten mag und wie sehr auch hier die großen Plattenfirmen drin hängen und die Preisfäden ziehen: Wow...endlich! Chansons waren dabei, und Liedermacher. Hannes Wader ein Echo fürs Lebens- werk, Reinhard Mey hielt die Laudatio und Max Raabe war auch als Ansagender zur Stelle. Es ist also etwas passiert. Auch wenn es noch immer keine Kategorie gibt.“ Vielleicht hat er selbst ja ein bisschen dazu beigetragen. Seit Jahren ist er als unermüdlicher Mailschreiber an die Verantwortlichen bekannt.
Und jetzt zur Zukunft. Beginnen wir mit dem Schlimmsten.
Reinhold Beckmann wird singen. Ende April hat das berufsplaudernde Fernsehgeschöpf in der Bar jeder Vernunft mit einem Konzertabend unter dem Motto „verrenkter Geist, verrenkte Glieder“ Berlinpremiere. Dabei wird er zusammen mit einer Band nicht nur selbstverfasste Lieder über die Skurrilitäten des Alltags zu Gehör bringen, sondern sich auch selbst auf der Gitarre begleiten. Fürs Subtile war Beckmann bisher ja eher weniger bekannt. Womöglich bringt der Liederabend ja aber ganz andere Saiten in ihm zum Klingen.
Und noch einer wechselt – wieder - ins Kleine Fach: Nach der Beendigung seiner Bühnenkarriere als klassischer Bassbariton arbeitet Thomas Quasthoff zusammen mit den Kabarettisten Michael Frowin und dem Pianisten Jochen Kilian an einem Kabarettprogramm, das im September in den Wühlmäusen Premiere haben wird. Titel: „Keine Kunst“. Anders als Anuschka Renzi wird Quasthoff wohl nicht an diesem Genre scheitern. Bereits als Student trat er mit eigenem Kabarettprogramm auf.
Im Spannungsfeld von Multikulti und Migration ist die neue Show des Wintergarten-Varieté angelegt, die im Mai Premiere hat. Sie heißt „Die Culti Multi Show“, verbindet Artistik und Stand Up Comedy und spielt – am Gemüsestand. Im Zentrum steht nämlich das Zusammenleben der vielfältigen, nicht nur türkischstämmigen Berliner Einwandererkulturen mit dem preußischen Alltag. Damit das auch richtig authentisch erscheint, wurde der Neuköllner Berliner Halbtürke Murat Topal als Conferencier verpflichtet. Der weiß auf jeden Fall, worüber er spricht. Bevor er als Comedian Karriere machte, war Topal nämlich zehn Jahre lang als Streifenpolizist an Berlins sogenannten Brennpunkten unterwegs.
Zum Schluss noch zwei Meldungen aus dem Hier und jetzt: Wolfgang Kröske, als Dr. Seltsam unermüdlicher Gastgeber von Berlins kommunistischster Live-Talkshow, der monatlichen „Wochenschau“, hat sich nach einer Umschulung für drei Monate nach La Palma verabschiedet, um dort als Reiseleiter zu wirken. Im Mai kommt er zurück und wird von seinen Erlebnissen berichten. Vertreten wird er in der Zwischenzeit vom Liedermacher Detlev K.
Das Pankower Kleintheater „Zimmer 16“ kämpft ums Überleben. In der Vergangenheit sind Mietschulden aufgelaufen, die nicht allein durch die Ticketeinnahmen getilgt werden können. Verhandlungen mit dem Vermieter gab es, bis spätestens Ende Juni will dieser Geld sehen. Damit diese Bühne mit dem liebevoll zusammengestellte und vielfältigen Musik- und Theaterprogramm in einem nicht eben kleinkunstreichen Bezirk nicht dichtmachen muss, würden Spenden sehr helfen: Konto Nr. 78 72 880 des Förderverein MIKADO e. V. bei der Deutschen Bank 24 (BLZ 10070024).
| Ausgewählte Termine: Berlin
Redaktion: Susann Sitzler
2013-04-22 | Nr. 79 | Weitere Artikel von: Susann Sitzler