„Also es gibt sooo viel schlechtes Theater in Berlin“ seufzt die Sitznachbarin zu ihrer Freundin. „Jaaa, und dann dieses ganze ‚arm aber sexy’“, meint die zurück. „Das ist ja meist auch geistig so arm“. „Genau“, nickt die erste. „Da gucke ich mir doch lieber so’n Bauchredner an und kann wirklich lachen“.
So ein Publikum hat Benjamin Tomkins wirklich nicht verdient. Bauchredner ist er zwar mehr oder weniger aus Zufall geworden und das Genre erfindet er auch nicht neu. Aber er steht mit der enthusiastischen Frische eines Neulings auf der Bühne und sein Spaß an der Sache – und an seinem plötzlichen Erfolg – überträgt sich schnell aufs Publikum. Es greift begierig nach jeder Pointe. Die sind bunt gemischt. Vom platten Kalauer bis zur philosophischen Meta-Ebene findet jeder etwas, das ihm an dieser Nummernrevue gefallen kann.
Die Show mit dem Titel „Früher war ich schizophren, aber jetzt sind wir wieder OK“ beginnt wie klassische Stand Up-Comedy. Charmant und entspannt steht der 48jährige Tomkins da und plaudert ein wenig, wie es so ist, wenn man Bauchreden kann. Etwa, wenn man sich den Spaß macht, bei vorbeilaufenden Schwangeren ohne eine Mine zu verziehen „Lass’ mich raus, Mama!“ zu rufen. Dann bringt er seine verschiedenen Puppen ins Spiel und unterhält sich mit ihnen. Es gibt eine schüchterne Schildkröte, einen grinsenden Hund und den „Alten Sack“. Das ist ein unförmiger Kartoffelsack mit herbem Türstehercharme. Spielerisch am anspruchsvollsten ist „Mutter“, ein lebensgroßes Diva-Monster mit stark narzisstisch geprägter Charakterstruktur. Sie alle lässt Tomkins mit Charme und meist nicht ganz perfekt tanzen. So verfügen fast alle von ihnen über dasselbe leichte Lispeln wie Tomkins selbst. Das wird man auch als Bauchredner nicht so leicht los.
Das erfolgreiche Dasein als Unterhalter ist Benjamin Tomkins zweites Leben. Es begann vor kaum drei Jahren. Da verkaufte der in Kiel aufgewachsene Österreicher noch hauptberuflich Autos in einem Wiener Vorort. Im Fernsehen sah er einen Bauchredner, den er nachzuahmen versuchte. Das gelang überraschend gut. Tomkins begann zu üben. Nachdem er eine Bauchrednerpuppe ersteigert hatte, trat er vor Freunden und auf Familienfeiern auf. Das Publikum wurde immer größer und im Mai 2012 lud ihn das BKA-Theater für ein Gastspiel ein. Da wohnte Tomkins bereits in Berlin. Seitdem ist er ein Shooting Star der Szene, hat Preise bekommen und gastiert im ganzen deutschsprachigen Raum.
Inzwischen sind die Puppen größtenteils maßgefertigt. Aber noch immer durchweht Tomkins Show ein Hauch Selbstgebasteltes. Damit hat er in der Welt der glattgebügelten Castingunterhalter eine Nische für sich gefunden. Weil er auch noch nett und gut trainiert aussieht, liegt ihm vor allem das weibliche Publikum zu Füßen. Aber als er mit einer simplen Handschuhpuppe einen schüchternen Hasen hoppeln lässt, und einige Damen sich fast ins kollektive Niedlichkeitsdelirium applaudieren, wird es sogar Tomkins zuviel. Mit einem Ruck zieht er die Puppe aus und macht die Bewegung noch mal kopfschütteln und mit der nackten Hand. „Ihr applaudiert gerade meinem Daumen.“
Benjamin Tomkins ist bis Ende Mai auf Tournee, Termine unter Web.puppenflüsterer.com.
Redaktion: Susann Sitzler
2013-04-22 | Nr. 79 | Weitere Artikel von: Redaktion: Susann Sitzler