Nein, an Unterhaltungsmöglichkeiten hat es unserem Kanzler Gerhard Schröder nicht gemangelt bei seinem Urlaub daheim. Schon allein das Kleine Fest im Großen Garten: Da man bei diesem stets ausverkauften Kleinkunst-Event nur acht von 32 Acts an einem Abend sehen kann, bot sich dringend ein Mehrfachbesuch an. Da hätte der Kanzler erleben können, wie ein Namensvetter von ihm, unterstützt von einem Herrn Schultze, als echter Publikumsabräumer wirkt: Das Wall Street Theatre, mittlerweile fast Inventar des Kleinen Festes, war mit einer neuen Nummer angereist. Weshalb die zwei very britischen Gentlemen einen Sonderplatz mit Balkon bekamen, um den Ansturm ihrer Fans zu bewältigen. Keine Enttäuschung: Noch vor Beginn der Show überredeten sie das Publikum, beim nächsten Hereinkommenden zu jubeln. Was es lauthals tat, um sich anschließend genauso lautstark über die verblüfften Gesichter zu amüsieren. Und wie die zwei bei absolut korrekten Sitz ihrer Anzugbügelfalten aufeinander herumklettern, sich formvollendet anfrotzeln, bis sie zum Finale „cool from stool" oder auch locker vom Hocker auf fünf wirr gestapelten Stühlen Handstand vollführen: das ist so witzig wie akrobatisch gekonnt.
Auch sonst ging der Trend zur akrobatischen Comedy: Das Duo Captain Zucchini rettete schon zum zweiten Mal beim Fest die Welt mit Plastikhaaren, Riesenschnauzbärten, rotflatterndem Umhang und voraus geballter Faust: Wie frisch aus dem Comic-Heft entsprungen stemmen sie sich auf Hockern in die Höh und turnen atemberaubend umeinander herum, strippend, bis man gar einen nackten Popo sieht - aus ähnlichem Material wie der Plastikschopf. Das schräge Duo hatte diesmal Konkurrenz durch eine starke Neuentdeckung: PopEyed, eigens aus Australien angereist, ließ erst in Trainingsanzügen, dann in knappen Höschen die tätowierten Muskeln spielen, zeigte waghalsige Stemmübungen auf nur einer Hand über den Schultern des Untermannes. Powerpakete mit hohem Humorfaktor.
Ähnlich hohe Kraftkunst mit ganz anderem Flair führten die Goldmenschen von La Metta vor: Sie wuchteten sie sich in eckigen Puppenbewegungen zu beeindruckenden Gleichgewichts-Figuren - eine der überzeugenden ruhigeren Nummer. Zu denen gehörte auch der Circo imperfecto: Das hinreißende Trio ließ auf perfekte Art seine Kunststücke und Jonglagen immer haarscharf scheitern, schleuderte sein weibliches Mitglied krachend auf die Bühnenbretter, packte sie in eine kleine Kiste, hangelte sich halsbrecherisch aufs Hochseil, wo ein Untermann seine Füße hilfreich so setzte, dass der Seiltänzer seine genau darauf setzen konnte.
Nach so viel Anstrengung ein Happen Rührei gefällig? The Primitives trommelten rhythmisch auf ihrem lodernden Herd und sangen dreistimmig. Hackten mit großem Messer auf eine Zucchini ein, dass man um die - schon bandagierten - Finger zitterte, ließen feierlich das Innere zweier Eier in die Schüssel rieseln, nicht ohne mit dem Publikum handfest zu flirten und eine Auserkorene auf die Bühne zu bitten: Sie durfte, mit Riesenlatz um den Hals, das Kochergebnis testen. Französische Rühreizerenomie - lustig und ausgefallen. Viele schöne Nummern gabs in diesem Jahr, wie auch die zwei Pantomimen von Parapiglia, die per Gießkanne ein imaginäres Flugzeug durch die Wolken manövrierten oder Hannovers Imitator Christian Korten, der die Prominenzen durchratterte, und - auch ein Stammgast - Ali Genc, der Eis mit Tücken verteilte. Ausgefallen Eisenbarths Wanderbühne, die ein nostalgisches Karussell, bestückt mit Commedia dell'Arte-Figuren, drehte, die musikalische Schildkräte von Tortu Lyre sowie
das Theater Exces, das erotische Fischwesen in Aquarien sperrte - wehe, wenn sie rausgelassen wurden... Auch einige Walkacts fielen auf, wie die puppenhaften Gestalten von Tukkers Connexion, die in bunten Plastikkostümen wie aus einer Metropolis-Welt entlaufen ruckartig am Eingang entlangstapften. Sie ließen anschließend im Garten auf einer seltsam konstruierten Bühne die Zeit fliegen - sehr malerisch. Hinreißend auch das Blaurauschen von Art Tremondo aus Hannover, die sich in hauchdünn luftige, futurisch angehauchte blaue Kugeln und Kegel verwandelt hatten und neugierig mit den fremden Menschenwesen spielten.
Das Kleine Fest in Hannover hat längst Ableger bekommen, auch Ludwigslust und Bad Pyrmont feiern ganz ähnlich in ihren Gärten - viel erfährt man auf der Internetseite www.kleines-fest.de.
Anders als normale Sterbliche dürfte ein Kanzler ja auch für ausverkaufte Events Karten bekommen. Sogar für die „notorischst ausverkaufte Show der Stadt", wie sie tituliert wurde: Desimos Lindener Spezial Club im Apollo-Kino in Hannover-Linden. Letzten Herbst startete die Veranstaltung jeweils am letzten Montag im Monat, seither sind Abend- und After-Work-Show immer rappelvoll, die Stimmung riesig. Nur Desimo weiß vorher, wer kommt, jeder der vier Künstler bleibt nur eine Viertelstunde. Im Juni war Knacki Deuser Star des Abends, der die Tanzstile der 70er, 80er und 90er Jahre umwerfend karrikierte. Und eine hoffnungslos bescheuerte Nummer wie Roberto Capitoni als „Elektro-Man", der mit dem Schlachtruf „Magic! Rackatackatack!" jeden seiner Zaubertricks versemmelt, wird hier mit gröhlender Begeisterung quittiert. Mehr unter www.lindener-spezial-club.de.
Überhaupt ist der Hannoveraner an und für sich sehr lachfreudig, wenn er einmal einen Humor für sich entdeckt hat. So konnte sich auch Fischbrötchen 1 Euro seiner Premiere ziemlich sicher sein: Auf dem weiten Feld zwischen Irrsinn und Albernheit sind sie anderen Nasenlängen voraus. Schon diese Songs: Zu Keyboard (Wofgang Grieger) und Gitarre (Nico Walser) widmen sie dem „Arsch-aus-der-Hose-Mann" eine Hymne und preisen die Bekanntschaft über „www.knallkopf.de" - musikalische Ohrwürmer und garantierte Brüller. Für die Dialoge haben sie sich ein ähnlich durchgedrehtes Niveau gesetzt; leisten sich jedoch bei Zwischenspiele wie dem Eskimo, der sein Igluleben ingrimmig Revue passieren lässt, oder dem Spottlied auf alle wehmütigen Clownslieder dieser Welt auch mal überraschende Ausflüge in höhere Humorgefilde, mit der heiligen Bruderschaft zur Vorhaut andererseits derbe Blasphemisches. Insgesamt ein eigenwilliger Riesenspaß, auch wenn sie sich noch einspielen müssen.
Hat der Kanzler leider verpasst. Und zu einem wunderbaren Event im weiten Land allerdings konnte er es im Urlaub nicht mehr schaffen: Der Findelhof feiert 575-Jähriges mit einem großen Kleinkunstprogramm. Regelmäßig bietet dort die Bühne Kaleidoskop im alten Kuhstall ausgewählte Acts; zum Jubiläum ab 5. September gastierten unter anderem Kabarettist Kai Magnus Sting, Bernd Lafrenz und Käte Lachmann. Und da der Findelhof (www.findelhof.de) wunderschön in Wienhausen bei Celle im Grünen liegt, hätte unser Ex-Ministerpräsident Ausflug mit Amüsement verbinden können.
Noch besser als unser Kanzler hat es unser neuer Ministerpräsident in Sachen Comedy. Wenn Christian Wulff mal lachen will, geht er nicht, wie man vermuten könnte, in den Keller, sondern in sein Pressebüro. Und da steht dann die blonde Uschi und erzählt herzerweichend von ihrem Freund, der sie immer für doof erklärt, aber egal, Hauptsache Titten, sagt der, und Titten hat sie ja. Oder so. Zumindest hat die Beförderung ihres Chefs ins Landesvater-Amt Sabine Bulthaup nicht ganz der Comedy-Welt entrissen. Ob sie für ihren Christian die Uschi macht, ist nicht gesichert. Aber gemeinsam mit „Frühstyxradio"-Kollege Dietmar Wischmeyer ließ sie im Mai im Theater am Aegi das Duo Frieda & Anneliese wieder auferstehen, in einem „ländlichen Kriminalstück" mit dem Titel „Frieda sei mit Euch... aber auch Anneliese". Natürlich kommen auch Treckerfahrer Günther (alias Wischmeyer) und Giftzwerg Erwin (Bulthaup) zu Besuch, wenn Frieda ihren 80. Geburtstag feiert, doch ein übler Mord mischt das Dorf auf. „Wie Ohnsorgtheater auf Extasy", „ein Feuerwerk von Gags und Bauernschläue aus der Frühstyxradio-Kultküche" und „es war zum Niederknien komisch", jubelte die Presse: Zweieinhalb Stunden Lachen am Stück. Wunderbar trockener, böser Humor, mit schönen Beobachtungen gespickt. Ab 13. November gehen die beiden auf Tournee, sind am 30. November wieder in Hannover.
Was gabs noch?
- Eine Hannover-Hymne von Matthias Brodowy in seinem neuen Programm Ufos über Berlin an die „Stadt mit Keks" - kann der Kanzler mit nach Berlin nehmen.
- Eine großartige Jubiläumsfeier des Theaters am Küchengarten mit einem mehrtägigen Kabarettmarathon.
- Die Nachricht, dass Hannovers Oberclown Peter Shub in diesem Herbst wieder bei Roncalli mitmischt, demnächst in „Verstehen Sie Spaß" Schabernack treibt und bei „Stars in der Manege" mit Frank Elstner auftritt.
- Und eine „goldene Rübe", den niedersächsischen Kleinkunstpreis also, für Thorsten Hitschfel aus Holzminden, der als sächsischer Aushilfskellner mit Bruce-Springsteen-Ambitionen am Wettbewerbsabend eine Lachsalve nach der anderen erzeugt.
Dahin möchten die Absolventen der TuT-Clownschule in Hannover gern einmal kommen. Sie präsentierten nach dreijähriger Ausbildung ihr Können, machten das Wäscheaufhängen zur graziösen Kampfhandlung (Antonella), oder boten als Erdnussmännchen Knackiges (Anna Tolkötter). Den meisten Szenenapplaus kasstierte Knekki alias Kornelia Heinrich, die aufs Charmanteste die Kunst der Zerstörung demonstrierte.
Man sieht, in Hannover kann man echte Abenteuerurlaube erleben. Fragen Sie nur mal den Kanzler.
Redaktion: Evelyn Beyer
Ab 9.12. steht wieder „Crunchy X-mas" auf dem Programm, das bitterbös-lustige „Weihnachten für Außenseiter" von der Hebebühne
Am 11.10. Auftakt mit MIMUSE MAXI MIX" Volker Pispers präsentiert Theater Laku Paka, Mikhail Usov, Duo Flash, Sascha Grammel
Im Oktober gastieren: BODO WARTKE,URBAN PRIOL, PE WERNER & BAND, CARMEN FERNANDÉZ, GABI DECKER, BÜLENT CEYLAN
NESSI TAUSENDSCHÖN (1.11.), bis es am 2.11. „FUNtastisch!" heißt mit einem Internationalen Varieteprogramm.
Bis zum 13.12. läuft dies Herbstprogramm, das sich Festival nennt; und am 6.12. kommt der Nikolaus: „Oh, du fröhliche..." mit Maria Peschek und Friedhelm Kändler sowie LaLeLu - das klingt vielversprechend.
2003-09-15 | Nr. 40 | Weitere Artikel von: Evelyn Beyer