Der kabarettistische Alltag ist hart. Dabei hieß es vor Jahren noch, die Themen lägen auf der Straße. Doch dort suchen die Kabarettisten längst nicht mehr. Sie spiegeln den politischen Alltag in all seiner Oberflächlichkeit und geraten damit in die Gefahr, selbst oberflächlich zu werden. Die politische Welt in einem Wassertropfen einzufangen, gelingt heutzutage nur noch selten. Das ist auch schwer, denn in dieser versucht man alle Klippen zu umgehen und zieht die Mühen der Ebene vor. Aber wie sollen Kabarettisten auch die vernetzte, globalisierte und wirtschaftlich, politisch taktierende Welt durchschauen. Viele haben sich ins Zwischenmenschliche zurückgezogen. Der politische Blickwinkel in den Programmen ist oft zum Accessoire verkümmert. Und doch hält das Kabarett Ost noch immer am Politischen fest. Mit Erfolg... mehr oder weniger.
Weniger gelungen war es bei den Magdeburger Kugelblitzen. Wie bereits im letzten Heft berichtet, gibt es die seit dem 30. Juni nicht mehr. Es war die letzten Kabarettisten im Osten, die noch auf der Gehaltsliste der Stadt standen. Eine eigene Handschrift zu schaffen, gelang ihnen nach dem Weggang von Hans-Günther Pölitz nicht. Zudem hatten sie sich in den letzten Jahren zunehmend aus der Öffentlichkeit zurückgezogen. Erst teilten sie ihre Bühne mit dem Stadttheater und später sogar eine neue mit dem Theater und der Musikhochschule. Trotz allem hatten sie sich mit allen Mitteln gegen eine Privatisierung gestemmt. Nun hatte sich im Frühjahr der Stadtrat seines Kostenfaktors Kabarett entledigt.
Mit viel Enthusiasmus in letzten Jahr gegründet, ist nun auch das Weimarer Kabarett Sinnflut gestorben. Aber es gibt auch andere Nachrichten. Am 1. Juli feierte Christian Becher seinen 60. Geburtstag. Er ist der dienstälteste Kabarettist der academixer und dazu ihr künstlerischer Leiter. Von hier aus nachträglich die besten Wünsche! Kurz zuvor hatte er als Regisseur das Programm „Kaffeesachsen“ auf die Bühne gebracht. Ute Hiersemann und Maigl Hoffmann erteilen vergnügliche Lektionen über das Gemüt und die Geschichte der Sachsen. Zur besseren Völkerverständigung.
Bei der Herkuleskeule sagen seit kurzem Brigitte Heinrich, Gloria Nowack und Michael Rümmler „Schluss mit lustig“. Prinzipiell möchte man zustimmen, auch wenn der Slogan Bart trägt. Mal witzig, mal komödiantisch, mal albern arbeiten sie sich mit frischem Tempo durch die politische Kultur. (Regie: Michael Frowin)
Zu nennen ist auch die Leipziger Pfeffermühle, die mit einem satirischen Wetterbericht unter der Überschrift „Kachelmann ist schuld“ aufwartet. Heiderose Seifert, Burkhard Damrau und Dieter Richter bieten (Regie: Helmut Fensch) ein angenehmes Nummernprogramm, das der Frage nachgeht, wer nun wohl das Wetter macht.
Wenn auch bei allem, was zu sehen war, die Überschrift des Beitrages gilt, nun kann man in Leipzig wieder Vergleiche mit dem Kabarett aus Süd und Nord, Ost und West ziehen. Vom 2. bis 12. Oktober läuft die 13. Lachmesse. Wie nicht anders zu erwarten, waren Lachmessechef Arnulf Eichhorn und seine Partner wieder einmal nicht zu zügeln. In Zahlen ausgedrückt: 190 Künstler, 103 Veranstaltungen auf 14 Bühnen der Stadt. Alle Genres sind wieder vertreten, die auf die kleine Bühne passen. Und die Veranstalter versprechen Kabarett, Comedy, Clownerie, Musik und Spaß vom Feinsten.
Und so sieht es im Einzelnen aus: Der namhafteste Debütant ist der diesjährige Deutsche Kleinkunstpreisträger Alfred Dorfer aus Österreich. Erstmals sind ebenfalls die Cabinet-Preisträger 2002 Tabea und Tobias Wollner dabei, ebenso Stefan Jürgens oder die Ex-Pfeffermüllerin Simone Solga. Dass Leipzig im Oktober ein Treffpunkt der Stars und Sternchen der kleinen Bühne aus Ost und West gleichermaßen ist, gehört mittlerweile zum guten Ton. Zum Beispiel das Düsseldorfer Kom(m)ödchen und Die Distel, auch Thomas Freitag, der sein nagelneues Programm vorstellen wird und Tom Pauls, der sogar die Premiere seiner neuen Produktion nach Leipzig verlegt hat. Die Musikkabaretttruppe MTS feiert zur Lachmesse ihr 30-jähriges Bestehen und Irmgard Knef hat sich mit einem „Abend für Leipzig“ angekündigt. Wie gewohnt stehen die Kabaretts der Lachmessestadt auf dem Programm, auch Thomas Reis sowie Arnim Töpel.
Die Paradiesvögel des Festivals sind zweifellos der Dichter und Sprachakrobat Friedhelm Kändler und das Clownsduo Ursus und Nadeschkin aus der Schweiz. Auch aus der Schweiz kommt der feinsinnige Geschichtenerzähler Ferrucci Cainero ... Kurz, man kann gar nicht alle aufzählen. Den Interessenten sei deshalb die Internet-Adresse "www.lachmesse.de" empfohlen.
Drei Veranstaltungen sollen aber noch vermerkt werden. Die Eröffnung am 2. Oktober mit der Verleihung des Leipziger Löwenzahns an das Duo Gunter Böhnke und Bernd-Lutz Lange, die Jürgen-Hart-Satire-Matinee am letzten Messetag sowie die das Finale mit dem Zwingertrio und Gästen am Abend des gleichen Tages.
Redaktion: Harald Pfeifer
2. Nov. academixer: Störenfriede
2003-09-15 | Nr. 40 | Weitere Artikel von: Harald Pfeifer