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    Blickpunkt Karlsruhe: Chanson purPur

    Ob Berliner Chansonfest in der Kalkscheune, das Theater des Westens oder der Grüner Salon – alles sind längst nur noch Stationen auf dem Weg der Karlsruher Chansonette Annette Postel (Lotte Lenya Award 2000 und Badenwürttembergischer Kleinkunstpreis 2002). Ihr neuestes Programm heißt „Chanson purPur – Keine Diva fällt vom Himmel“ und war dieser Tage in Mühlhausen zu erleben.

    Was ist denn eine „Diva“? Das fragt man sich nur bis sie in ihrem einsamen Lichtkegel steht, sehr blond, sehr fragil, sehr stilvoll, und man denkt ganz unwillkürlich: Eine neue Marlene Dietrich (mit einem kleinen Schuss Desirée Nick, aber nur optisch gesehen). Vermutlich ist es neben anderem dieses Funkeln kalter Brillanz, das auch ihr zu eigen ist. Aber dann macht die Postel den Mund auf – und der Unterschied ist unüberhörbar. Die Postel ist eine „Gelernte“, ist Konzert- und Opernsängerin auf der parallelen Karriereschiene und arbeitet vor allem mit der Stimme. Ob die Stimme „göttlich“ ist, wie ein Rezensent schrieb, sei fürs Erste dahingestellt, aber sie ist eine der wenigen, die singen kann (in des Wortes zentraler Bedeutung). Wenn sich die Stimme im oberen System bewegt, dann ist das klassischer Gesang in exzelsis inklusive funkelnder Koloraturen, Skalenläufe und Triller. Bekanntermaßen kann man in diesen Regionen aber nicht mehr phonetisch gestalten, und so nutzt die Postel diesen Stimmbereich auch nur zur Kolorierung ihrer diversen Chansons. Die eigentliche Stimme mit der sie ihre Lieder interpretiert (interpretieren kann) ist die kultivierte Sprechstimme. Und dort leistet sie erstaunliches. Schon ihr Auftrittssong „Für Dich“ zeigt, dass sie ihre Mittel genau zu kalkulieren weiß. Sie ist gescheit, und wenn sie kokett meint, eine Diva sei keine wirkliche Künstlerin, sondern nur „nachschöpferisch tätig“, dann stimmt das bei ihr eben nun mal gar nicht. Sie ist nämlich eine der seltenen Autorenbegabungen: Ihre Liedtexte sind lebensfähige, abgeschlossene Geschichten (nicht immer auf gleicher Höhe vertont) und Chansons wie „Carmen“ (nach Bizet), „Vollmond“ (ein umtextierter Alt-Hit von Kozsma) oder die „Chanteuse“ (völliges Eigengewächs) wird man tatsächlich noch in Jahrzehnten singen können. Den stärksten Erfolg erzielt sie mit ihren Opernparodien wie dem Lied von der „Sängerin“ eine Etage tiefer (Königin der Nacht) oder dem „Riegel, Otto“ (Gilda-Arie). Und so kitzelt die Postel eben vor allem den Verstand (wer „göttliche Stimme“ will soll in ihre klassischen Konzerte gehen). Die Kunst der Postel resultiert aus dem Spagat intellektueller Interpretation mit musikalischem Anspruch, an dem auch ihr vergnüglicher Begleiter Klaus Webel seinen deutlichen Anteil hat. Sie agiert auf dem Hochseil der Ironie und versagt sich damit gründlich der sogenannten „Spaßgesellschaft“ („O Donna Clara“ ist und bleibt ein Zugeständnis an den Massengeschmack).

    Wenn die Postel dann am Ende ihres Programms behauptet, eine Diva habe eine Ikone der Tragik zu sein, und dazu sei sie zu glücklich, ist es das Publikum auch. Ein Vergnügen nicht nur für „Connaisseure“. - Reginald Dehoff.

    2003-09-15 | Nr. 40 |





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