„Ich bin zu müde um schlafen zu gehen„ hieß das neueste Programm von Georgette Dee in der „Bar jeder Vernunft„. Den gewohnten Platz nahm darin die elegante Art ein, auf die sich die männliche Diseuse vor dem Publikum zu betrinken pflegt. Neu und überaus würdig ist die ungeschminkte Maskulinität, die in den reifen Jahren der androgynen Sängerin die Oberhand zu gewinnen beginnt. Zu müde um Schlafen zu gehen dürften in diesem Sommer aber die meisten Berliner gewesen sein. Bei der schier grenzenlosen Hitzeperiode konnte man weder tagsüber noch nachts wirklich zur Ruhe kommen. Und irgendwann ist man über den Punkt drüber; dann ist Georgette Dee genau das richtige.
Ebenfalls stark der Androgynität verpflichtet sind Tilly Kreuzfeldt-Jacob und Tima die Göttliche. Die Wurzeln beider Entertainerinnen stecken tief in der Berliner Schwulen- und Tuntenbewegung der Achtziger- und Neunzigerjahre. In ihrem gemeinsamen Programm „InTillygent: InTima geht’s nicht!„ im BKA erzählten und sangen die üppige Tilly und die drahtige Tima in gewohnt-gekonnter Trümmertuntenmanier von ihren Erkenntnissen aus den wilden Jahren. Etwas ernsthafter kann man Tima die Göttliche übrigens seit einiger Zeit in einem Dokumentarfilm (von Rosa von Praunheim) kennenlernen, der immer mal wieder in den dritten Programmen gezeigt wird: „Tunten lügen nicht„ – sehr empfehlenswert.
Apropos BKA: In diesem Sommer feierte die „Berliner Kabarett Anstalt„ ihr 15. Jubiläum. Trottoir gratuliert herzlich und nachträglich. Und wenn wir schon bei Geburtstagen sind: Der deutsch-indische Kookaburra-Club bietet zwei Jubilaren ständige Heimat: Seit einem Jahr hält sich der „Club Komix„, und seit einem Jahr empfängt Martina Brandl jeden Sonntag in vollem Haus zum „Sonntagsbrandl„. Hipp Hipp Hurrah!
Dass die Kabarett- und Comedyszene in der Stadt mit frischem Blut versorgt wird, daran hat seit Jahren auch der Kabarett-Dinosaurier Dieter Hallervorden großen Anteil. Seit Jahren zieht er auf seiner Bühne konsequent den Nachwuchs heran, seit einigen Jahren verleiht er auch den „Berliner Kabarett-Preis der Wühlmäuse„. Publikumspreisträger in diesem Jahr war Mario Barth, den neugeschaffenen Berlin-Preis bekam Ex-Nickelodeon-Komödiantin Krissie Illing, der Preis der u.a. mit Sandra Maischberger äußerst hochkarätig besetzten Jury ging an Eckhardt von Hirschhausen.
Dass der Wühlmäuse-Preis definitiv einen Erfolgszuwachs bringt, sieht man an den letztjährigen Preisträgern Otto Kuhnle und Kurt Krömer. Zusammen sind sie nach wie vor mit ihrem „Kitsch&Kacke-Club„ präsent, Krömer hat es mit seinem Werdegang als Komödiant vor kurzem sogar als Mutmacherbeispiel in die „Brigitte" geschafft. Kuhnle führte im Sommer in der ufa-Fabrik Regie. „United Slapstick„ hieß etwas nichtssagend das Programm, das den Verkleidungsfetischisten Brian O`Gott mit dem pullundertragenden Ossi Olaf Schubert und dem französischen Pantomimen Boris Arquier zusammenbrachte. Der Abend war durchaus kurzweilig, allerdings wird vor allem an O`Gott deutlich, dass Kuhnle als Regisseur großen Wert darauf zu legen scheint, seinen Stil auch dann auf der Bühne zu wissen, wenn er selbst nicht zu sehen ist.
Einen Sprung aus der Liga der ewigen Geheimtipps haben Evi Niessner + Mr. Leu alias „Evi und das Tier„ geschafft. Seit diesem Sommer haben die beiden ein Engagement beim Krawall-Mitmachtheater-Comedy-Restaurant „Pomp, Duck & Circumstance„, das bei Einheimischen und Touristen gleichermaßen beliebt ist. Herzlichen Glückwunsch und toi toi toi!
Kein Glück hatte leider das Chamäleon-Variété in den Hackeschen Höfen. Trotz Zuschaueranstieg bis zum Frühjahr musste es in diesem Sommer Insolvenz anmelden. Bei der Hitze blieben die Gäste weg und eine dicke Finanzdecke hatte der unsubventionierte Spielort noch nie. Doch die Binsenweisheit mit den Totgesagten stimmt – zum Zeitpunkt des Redaktionsschlusses – noch: In dem wunderschönen Theatersaal wird weiterjongliert, die Artisten verzichten auf die Gage und kämpfen um das Publikum. Trottoir wünscht viel Erfolg!
Redaktion: Susann Sitzler
Kabarett-Theater Wühlmäuse
1., 4, 7.-11., 14.-18., 21.-25., 28.-29. Oktober,
1.,6.-8., 11.-15. November: Matthias Richling: „Richling Waaas?!„ (Kabarett)
2. Oktober:Otto Kuhnle/Karl Krömer: „Kitsch & Kacke royal„ (Comedy)
12./13. Oktober:Konzert mit Angelika Milster
19./20. Oktober:Dr. Stratmann: „Hauptsache ich werde geholfen„ (Kabarett)
1.,15./16., 22./23., 25.-27. November:Dieter Hallervorden: „Am achten Tag schuf Gott den Rechtsanwalt„ (Kabarett)
3.-5. November:Django Asül: „Autark„ (Multikulti-Kabarett)
9./10. November:Willy Astor: Gehet hin und meerettich (Wortwitze mit Musik)
17.-22. November:Gerhard Polt mit neuem Programm
Mehringhoftheater
7. Oktober – 1. November, 8.-12. Dezember:Fil: „Allet neu„ (Kamikazecomedy)
4.-22. November:Siggi Zimmerschied: „Diddehase„ (Bizarr-Kabarett)
25. November – 6. Dezember:Männerkulturen: „Nimm du ihn, ich hab ihn sicher„ (Männerkabarett)
Quatsch Comedy Club
2.-4. Oktober: Club Mix mit: Arzu Ermen, Detlef Winterberg, Gregor Mönter, Rainald Grebe. Moderation: Desimo
5. Oktober:Kurt Krömer: „Chez bei Krömer – Kurts Hausparty im QCC„ (Skurril-Stand Up)
9.-11. Oktober: Club Mix mit: Podewitz, Lutz von Rosenberg, Daniela Lukas, Andi Steil. Moderation: Emmi & Hr. Willnowsky
12. Oktober: Ediths Talentschmiede: Open Mike im QCC (Trümmertunten-Openstage mit Ades Zabel)
16. – 18. Oktober: Club Mix mit: Michael Genähr, Martin Reinl, Jo Coalfield, Pigor&Eichhorn. Mod: Vince Ebert
19. Oktober: „Gayle Tuft`s Happy Hour„ mit Stargast Klaus Wowereit
23.-25. Oktober: Club Mix mit: Bülent Ceylan, Rolf Miller, Olaf Schubert&Freunde, Hennes Bender. Moderation: Thomas Hermanns
26. Oktober: „Queer Comedy„, moderiert von Georg Uecker. Gast: Ursula West (Ursli Pfister)
27.-29. Oktober: Gastspiel Olli Dittrich & Bastian Bastewka
30. Oktober bis 1. November: Club Mix mit: Popette Betancor, Käthe Lachmann, Matthias Seling, Ole Lehmann. Moderation: Thomas Hermanns
2003-09-15 | Nr. 40 | Weitere Artikel von: Susann Sitzler