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    Kabarett aus dem Funkhaus

    Wenn der Sommer so hochsommerlich daherkommt wie in diesem Jahr, dann bleiben nicht viele Orte, an denen es sich aushalten lässt. Schön schattig wollen es die Münchner an heißen Tagen haben. Das war schon immer so. Deshalb haben findige Wirte irgendwann angefangen, Kastanien in ihre Biergärten zu pflanzen. Die sind mittlerweile die wirksamsten Schattenspender der Stadt, so dass man selbst bei 35 Grad das Gefühl hat, die Temperaturen seinen ganz angenehm. Einer der schattigsten und damit hochsommergeeignetsten Biergärten ist der des Augustinerkellers unweit des Hauptbahnhofes. Sitzt man hinter seinem Masskrug, sieht man nicht viel mehr als die Blätter der Kastanien und die Umrisse eines Hochhauses, an dem groß und, wie kann es anders sein, in weiß und blau die Lettern – BR prangen. Und schon sind wir beim Thema Kabarett.

    Wer nämlich glaubt, dass der Bayerische Rundfunk nur ein Herz für die herrschende Partei und ansonsten wenig zu bieten hat, der irrt. Der BR hat sich zu einem wahren Kabarettsender entwickelt. Und das liegt nicht nur an Ottfried Fischers "Ottis Schlachthof", einer der wohl populärsten Satiresendungen der Republik. Einer der Götter im Bayerischen Kabarettolymp, Pointenhermes Günter Grünwald, versammelt in seiner Sendung die Komiker mit Andreas Giebel, Christian Springer und Michi Altinger einen Gutteil der Münchner Szene um sich. Nicht anders ist es bei der Sendung Spezlwirtschaft, was sich vielleicht mit Klüngelgasthaus oder Amigo-Cerveceria übersetzen lässt. Helmut Schleich, Christian Springer, Hans-Günter Butzko und Christoph Süß bilden, das vom Sender selbst so bezeichnete ‑Kabarett-Ensemble des Bayerischen Rundfunks. Wer es nicht glaubt, dass ausgerechnet der BR eine eigen Kabarettgruppe unterhält, der möge sich schon einmal Karten reservieren für die nächste Stammtischrunde, die wie gewohnt in der Drehleier aufgezeichnet wird.

    Die drei Stammtischbrüder Butzko, Springer und Schleich sind jetzt auch im Hörfunk gelandet: als ‑Bleifrei-Trio mit mehr oder weniger sinnfreien aber wohl überlegten Anmerkungen zu Themen wie Tanken im Internet oder 0190er Nummern, die einer der drei für Betrug hält, weil die Frauen mit denen man telefoniere in Wirklichkeit gar nicht nackt

    seien, sondern in voller Montur am Bügelbrett stehen. Und nur weil man meine, dass sie nackt seien, müsse man dafür soviel bezahlen. Genau deswegen rufe er solche Nummern nicht an, meint der ewige Mamabubi daraufhin, denn seine Mutter bügle völlig umsonst für ihn. Auch für den Bayerischen Kabarettpreis, der seit 1999 vergeben wird, ist der BR mitverantwortlich. Politpowerkabarettist Urban Priol durfte in diesem Jahr im Lustspielhaus den Goldenen Spaten entgegennehmen.

    Wer in diesem Sommer auf den Veranstaltungskalender der Münchner Kabarettbühnen blickt, der wird vergeblich nach der neuen Produktion der Occams suchen. Aber keine Sorge: das Ensemble des Lustspielhauses hat sich nicht etwa aufgelöst, es setzt lediglich eine Saison aus. Andreas Giebel, auf dessen neues Programm man schon gespannt ist, hatte aufgrund von Dreharbeiten für einen Film Terminschwierigkeiten. Im nächsten Jahr soll der Münchner Kabarettsommer wieder so sein, wie man ihn kennt. Auf bombastische Sommerunterhaltung brauchte dennoch nicht verzichtet zu werden. ‑ Siegfried war der Sommerrenner der Saison. Das Wartzmannteam um Manfred O. Tauchen und Gabi Rothmüller hat zusammen mit Alexander Liegl (Ex-Valtorta) ein "Germanical" zusammengeschraubt, dessen Titel "Götterschweiß und Heldenblut" ganz gut zum diesjährigen Hitzesommer passte.

    Auch in der Drehleier gab es ein wildes Sommerspektakel. Da hat sich eine Gruppe zusammengefunden, die ihresgleichen sucht. Kabarettist Manfred Kempinger und der oben bereits erwähnte beinahe omnipräsente Christian Springer haben sich mit dem Musiker und genetischen Comedian Tom Hake sowie Constance Lindner, ansonsten Blickfang beim Varieté Spectaculum, zusammengetan und einen mehr als schrägen Abend montiert.

    - "Sternhagelbaierisch" heißt das Programm, das ein weiterer Beleg für die Vitalität der Münchner Szene ist. Beinahe immer wenn sich zwei oder mehr Kleinkünstler in der Landeshauptstadt zusammensetzen, scheint ein neues Programm zu entstehen. Alle Achtung!

    Doch auch im Traumsommer gibt es nicht nur gute Nachrichten. Nachdem man von der Lach- und Schießgesellschaft in den vergangenen Jahren eigentlich nur Gutes zu vermelden wusste, gibt es erstmals wieder schlechte Nachrichten. Nach gerade einmal einem Jahr löst sich das Ensemble der Lach- und Schieß wieder auf.

    Und noch eine schlechte Nachricht: Alle Kabarettisten, die im weiteren Umkreis der Landeshauptstadt über die Bühnen gezogen sind, werden eine Adresse aus ihrem Kalender streichen müssen. Der Hinterhalt in Gelting bei Geretsried war eine der schönsten und erfolgreichsten Kabarettveranstaltungsorte auf dem Weg von München Richtung Alpen. Sie war nicht nur Spielstätte für Tourneekünstler, sie war Heimat der Lokalmatadoren der Narrenschaukel sowie des umtriebigen Claus Steigenberger, ohne dessen Inspiration als Regisseur und Autor die Münchner Kabarettszene um einiges ärmer wäre. Dem Kneipenwirt war all dies egal. Er hat die Bühne abgewickelt. Schade.

    Redaktion: Andreas Rüttenauer

     

    2003-09-15 | Nr. 40 | Weitere Artikel von: Andreas Rüttenauer





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