Höflichkeit, Freundlichkeit, Rücksichtnahme? Pustekuchen! Bestenfalls ein fragend artikuliertes „Höh???“ bekomme man heutzutage etwa zu hören, wenn einem ein Gegenüber aus Versehen Currywurst an den Mantel schleudert. Auch sonst konstatiert Horst Schroth den mentalen Niedergang in der Bevölkerung dieser Republik: Die Leute weigerten sich, erwachsen zu werden, verharrten „jahrzehntelang im Baby-Status“. So sei der 40-jährige Familienvater garantiert der, der aussieht wie ein Fünfjähriger – „mit dem doofsten Gesicht und dreiviertel langen Hosen.“ Entsprechend würden Diskussionen auch nicht mehr faktenbezogen ausgetragen: „Hier wird rumgequatscht ohne Ahnung. Und aus der Summe des Ohne-Ahnung wird der Konsens zusammengeschmiert.“
Mit großer Resonanz bei Publikum und Presse präsentierte Schroth, eigentlich erfolgreicher Beziehungsexperte („Herrenabend“, „Katerfrühstück“), sein neues Solo „Nur die Größe zählt“ erstmals im Hamburger St. Pauli-Theater, der Heimstätte seines Freundes und Regisseurs Ulrich Waller. Der Programmtitel des 1,70 Meter kleinen Kabarettisten aus Köln darf als Sarkasmus gewertet werden, denn der Alt-68er liest hier der Post-68er-Gesellschaft die Leviten, vermisst – dabei ganz konservativ – Manieren, Werte, Hirn. Das analysiert der Endfünfziger Schroth über weite Strecken brillant – mittels kleiner Geschichten und blitzender Gedanken, schneller Sprüche und behänder Gesten hält er uns allen den Spiegel vor, legt das Resumé nahe, dass in Folge der Studentenrevolte mehr Verbindlichkeiten abgeholzt wurden als einer Gemeinschaft gut tut.
Dabei kann es der Männerversteher Horst Schroth nicht lassen, immer wieder auf sein altes Thema „Männer und Frauen“ zurückzukommen. Natürlich kann man auch daran viel über den Zustand der bundesrepublikanischen Gegenwart ablesen – doch richtig frisch und spannend wird der Abend gerade dann, wenn der Kabarettist sein kaltes Auge über das Große und Ganze des Gemeinwesens schweifen lässt.
Redaktion: Ulrike Cordes