Die Kasseler Innenstadt erlebte im September eine wundersame Metamorphose zur Theatermeile. Gleich sieben Bühnen, eine pittoresker und fantasievoller als die andere, etablierten sich an zentralen Plätzen. Bühnen der besonderen Art, die Kerstin Röhn und Günter Staniewski (Theater Laku Paka) zu einer gemeinsam inszenierten Präsentation geladen hatten.
„Theater für Einzelgänger“ nannten sie ihr Projekt. Jeweils nur ein Zuschauer kann in einen der theatralischen Mikrokosmen eindringen, dessen „Intendant“ gleichzeitig Bühnenbildner, Regisseur, Techniker, Disponent und Spieler ist. Die akustische Komponente des Spektakels teilen sich Besucher und Akteur, durch die Kopfhörer eines Mini-Disc-Players verbunden; das optische Geschehen ist auch für die Umstehenden zu verfolgen. Das schafft Neugier und einen spannenden meta-theatralischen Effekt: Was erlebt wohl derjenige, dessen Kopf unter dem riesigen roten Taucherhelm steckt, vor dessen Sichtscheibe Liz Lempen (Puppet Theatre Großbritannien) ein anmutiges Defilee zweidimensionaler maritimer Bewohner inszeniert? Die Sensationen in Martin Bachmanns kleinstem Zirkusvarieté der Welt hingegen müssen kein Geheimnis bleiben: Artistik vom Feinsten, ausgeführt durch filigran konstruierte Geschöpfe aus Mechanikschrottteilen – wer das gesehen hat, wird nichts mehr wegwerfen wollen. Günter Staniewskis von den Tücken der Mikrofontechnik geplagter Redner brachte den Zuschauer einfühlend-lachend ins Schwitzen, Kerstin Röhns „Szenen einer Ehe“ waren ein gelungenes Satyrspiel zur Bergmanschen Tragödie. Gisela Honens adelte verrostete Gartengeräte zu Akteuren eines Tiermärchens, und die magische Blumen- und Zwergenwelt Cécile Legrands (Frankreich) zog auch die Allerkleinsten in ihren Bann. „Theater für Einzelgänger“: Eine Form mit Zukunft!
In die erkleckliche Anzahl der Städte, die einen Comedy-Preis vergeben, hat sich nun auch Kassel eingereiht. Erster Preisträger von acht für die Endrunde qualifizierten Kandidaten des Kasseler Comedy Preises 2005 wurde Gerrit Bamberger, äußerlich der Typ „Dauergast im Hotel Mama“, Vollpension satt inklusive. Sein Preis schloss neben 1.000 € auch ein Gastengagement im Starclub ein. Gewinnerin des „Sonderpreises der Städtischen Werke“ Kassel wurde Almut Weingart, als Putzfrau „Annchen“, in nordhessischem Quetschlaut bodenständig Subversives von sich gebend. Eine, die in der Region längst erfolgreich und zu Recht Fuß gefasst hat.
Das europäische Theaterfestival „Über alle Berge“, das vom 23. September bis zum 2. Oktober in Kassel stattfand und mit spektakulären Kooperationen zwischen der lokalen und der internationalen Szene aufwartete (so etwa das „Theater für Einzelgänger“, siehe oben), verführte auch die Kleinkünstler unterschiedlicher Größe dazu, mit einer lieb gewordenen Tradition zu brechen: In anderen Jahren tun sich die Matadore aus Tanz, Artistik, Jonglage, Clownerie und Lyrik immer erst zur Vorweihnachtszeit zusammen, um ihr gemeinsames Brillantfeuerwerk zu zünden. Dieses Mal taten sie solches schon im Herbst – und mit Unterstützung eines ganz Großen seines Faches. Jive Faury (Toulouse) demonstrierte eindrücklich, was er unter „Jonglerie atypique“ versteht. Ist das noch Jonglage oder schon Poesie? Getanzte Akrobatik oder akrobatischer Tanz? Wenn Faury loslegt, verschwimmen die Genre-Grenzen, dann gibt es nur noch eines: Staunen. Das Festival „Über alle Berge“ soll 2007 wieder stattfinden.
„Hosen runter“ heißt das aktuelle Programm von Gerlis Zillgens und Bernd Gieseking. Die Premiere war im September 2005. Die beiden liefern sich darin einen Geschlechterkampf, aber nicht mit dem aktionistischen Holzhammer, wie der Titel nahe legt, sondern mit dem Florett des Wortes. Männer und Frauen passen nicht zusammen, das wussten wir schon. Nach Zillgens/Giesekings Exkursion durch das Dickicht der Beziehungsfallen wissen wir nun auch, warum das so ist. Viel Applaus für die Künstler gab es in der voll besetzten Caricatura.
Redaktion: Verena Joos
ab 11.1. „Senkrechtstart 06“ – Varietérevue
25.3. Die Pömps „Alles Liebe oder was“ – Schlagerkabarett
20.1. Schwarze Grütze „Niveauwonieniveauwar“
03.2. Vince Ebert „Urknaller – Physik ist sexy“
10.3. Sabine Wackernagel „Mitgift“ – schwarze Lieder, schwarze Texte
AdNr:1069
2005-12-15 | Nr. 49 | Weitere Artikel von: Verena Joos