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    Forever jung – Varieté-Tradition, neu kombiniert

    Wiedergeburt des Varietés in der Hansestadt nach dem Tod des legendären Hansa-Theaters Ende 2001: In der historischen Speicherstadt, direkt am malerischen City-Hafen gelegen, eröffnete der Musical-Konzern Stage Entertainment des Holländers Joop van den Ende (Jahresumsatz 2003/2004: 300 Millionen Euro) Anfang November das Varieté-Musik-Theater Kehrwieder. Dort, wo einst Gewürze, Schnaps und Tabak lagerten, soll nun laut geschäftsführendem Direktor Ingo Hagemann (früher u. a. GOP Bad Oeynhausen) eine moderne Version des Genres geboten werden – überwiegend eine Mischung aus Akrobatik und Comedy.

    Den Anfang macht noch bis 6. Januar die von Lutz von Rosenberg Lipinsky („Der Feminist“) moderierte Show mit dem verpflichtenden Titel „Forever jung“. Hochrangiges wird dabei – in der Regie von Programmleiter Udo Püschel (einst MIMUSE, GOP) – von durchweg osteuropäischen Artisten geboten, so Rola-Rola-Äquilibristik von Maxim, Salto-Künste der Jazz-Girls, Breakdance-Kultur mit Enemy Squad, Hula-Hoop zum Staunen mit Rimma Krilowa, Trio-Akrobatik durch ToRiMe, Kraft-Akte mit dem Duo Krims. Den besonderen Beifall des Premieren-Publikums erhielten die KGB-Clowns.

    Für zwei Millionen Euro in nur 14 Wochen umgebaut, punktet das Kehrwieder mit einer Synthese aus traditionellem, rotsamtigem Varieté-Ambiente und Loft-Look. Jeweils 326 Gäste finden Platz, können an den Vierer- und Sechser-Tischen des Parketts auch kulinarische Köstlichkeiten bestellen. Der Eintritt beträgt zwischen 24 und 44 Euro, im Rhythmus von zwei Monaten werden die Produktionen erneuert. Früher war Hamburg eine Varieté-Hochburg – wir sind gespannt auf die Dinge, die in Zukunft kommen.

    Erweitert sich die Stage Entertainment immer mehr zum Vielfalt-Anbieter? Thomas Herrmanns, der 1995 auf dem Hamburger Kiez seinen berühmten „Quatsch Comedy Club“ gründete und mit ihm 2002 in den Berliner Friedrichstadtpalast zog, kehrt an seine ursprüngliche Wirkungsstätte zurück: allerdings nicht wieder in das Imperial-Theater, sondern ins plüschige Damenwahl-Tanzlokal „Café Keese“ an der Reeperbahn. In dieser seiner ersten Filiale will Herrmanns ab 2. Februar seinen Mix aus Stand-Up-Comedians präsentieren. Mieter der Location: die Stage Entertainment, früher Stage Holding, unter ihrem Geschäftsführer Maik Klokow. Der Direktor: Ingo Hagemann (s. o.). Wie in Berlin wird auch der neue Club über rund 300 Plätze verfügen, denn „Comedy braucht Intimität und Geborgenheit, der Raum muss etwas von einem Uterus haben“, sagt Thomas Herrmanns.

    Ganz alte Leute sorgen bereits für Schwung in der Nachbarschaft: die Insassen des Seniorenheims „Villa Sonnenschein“, so der Titel einer Musical-Produktion des Schmidt-Theaters. Hatten deren Urheber Martin Lingnau (Idee, Story und Musik), Heiko Wohlgemuth (Buch und Songtexte) und Thomas Matschoß (Buch und Regie) bereits mit dem Vorgänger „Heiße Ecke“ für eine Kult-Veranstaltung gesorgt, so gelingt es ihnen mit ihrem jüngsten Werk sogar auf noch ungewöhnlichere Weise. Sie verbindet ein neues Format mit Liebe zum Detail: Die singenden Greise, darunter Corny Littmann als grimmiger Rollstuhlfahrer Gustav, die wohl den musikalischen, ebenfalls im Altersheim angesiedelten „Thalia Vista Social Club“ des gleichnamigen Hamburger Stadttheaters zum Vorbild hatten, bewegen sich nämlich im Rahmen einer „Pupperette“, d. h. einer Operette mit Menschen- und Puppendarstellern. Realismus und Fantasie, Liebe und Tod, Altern und Humor, Märchenelemente und Sozialkritik, dazu jede Menge zündender Melodien – die „Villa Sonnenschein“ vereint viele Elemente auf zauberhafte Weise und wird nicht nur zum künstlerischen, sondern auch zum geschäftlichen Erfolg des neu entstandenen Schmidt beitragen. Und den Musical-Machern dieser Welt à la Stage Entertainment wird so wieder einmal gezeigt, dass es nicht die glatten Groß-Produktionen sind, die den Reiz des Genres ausmachen.

    Wellensittich Waltraut im Balkonblumenkasten begraben, Freundin Hannelore durch Schönheitsoperationen entstellt, der seit 23 Jahren von Ferne verehrte Kollege Herr Tramstedt auf eigenen Wunsch in eine andere Abteilung versetzt – mit dem Thema Vergänglichkeit hat wenige Häuser weiter auch Marlene Jaschke zu kämpfen: „Verflixt noch mal!“ heißt das Programm, mit dem Jutta Wübbe ihre Kunstfigur, die trutschige Chefsekretärin mit dem roten Topfhut und den unerfüllten Leidenschaften, erneut antreten lässt – die von vielen alten Fans umjubelte Premiere gab’s im St. Pauli-Theater.

    „Man ist so jung wie man sich fühlt“, sang Marlene tapfer, als sie, musikalisch einmal mehr begleitet von Volker Griepenstroh, durch die Besucherreihen schritt und den einen oder die andere ansprach: „Was haben Sie für eine glatte Haut im Gesicht?“ In den nunmehr 20 Jahren von deren Existenz ist es erst das dritte Solo-Programm, mit dem die frühere Bankkauffrau Wübbe, der nach eigenen Worten die rote Clowns-Nase auf den Kopf gerutscht ist, ihr Mauerblümchen liebevoll karikiert, es dabei niemals der Lächerlichkeit preisgibt.

    Äußerlich hat sich Marlene Jaschke kaum verändert, dafür schlich ihr die Melancholie ins Herz. Mit ihrer beständigen Feinarbeit an der Kunstfigur, die sie ohne Regisseur weiterentwickelt und in 60 bis 70 Vorstellungen pro Jahr auftreten lässt, profiliert sich Wübbe in Zeiten der Wegwerf-Comedy besonders: Herbstliche Gedanken und subtil ungelenke Motorik, aber auch heftige Ausbrüche wie in der „Macbeth“-Vorstellung in der Staatsoper („Entweibt mich!“) machen die Jubiläums-Jaschke aus. Dass manches dennoch ein alter Hut bleibt, freut die Fans erst recht. Denn ein bisschen Marlene sind wir doch alle.

    Und last but not least: herzlichen Glückwunsch an Michael Ehnert, der nach Auflösung des Bader-Ehnert-Kommandos (wir berichteten) für sein erstes Solo „Mein Leben“ nach dem Prix-Pantheon-Publikumspreis nun auch den Deutschen Kabarettpreis für das beste Programm erhielt!

    Redaktion: Ulrike Cordes

    2005-12-15 | Nr. 49 | Weitere Artikel von: Ulrike Cordes





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