Einiges los war in Hannover bei Heim- und Gastspielen im Bereich „Kabarett und Wort“. Im Theater am Aegi suchten die ffn-Comedians Frieda und Anneliese „Das braune Gold von Plattengülle“. Kabarett-Meister Georg Schramm war im Theatersaal Langenhagen zu Gast und Thomas Freitag kam ins TAK. Aber auch der Nachwuchs ließ von sich hören: Stephan Guddat, Comedian aus Hannover, lieferte mit seinem neuen Programm „Ich bin dann mal da geblieben!“ einen Einblick in das Leben ohne Bestseller und hatte Premiere im Pavillon. Mehr dazu in der nächsten Ausgabe. Die musikalische Groß- und Kleinkunst meldete sich bei der 9. Internationalen A-Cappella-Woche in Hannover zu Gehör. An zahlreichen Spielorten wurde ohne Instrumente gesungen. Zwischen Boyband, Sakral-Polyfonie und warmen Jazzballaden schickten die Organisatoren von Cesa Events die Sängerinnen und Sänger auf eine Weltreise. Von Finnland ging es nach England und in die Niederlande, dann über Deutschland und Tschechien bis nach Australien. Den Anfang machte Viva Voce. Sie verstehen sich als jüngste und erste A-cappella-Boyband Deutschlands. Heute zählen die Jungs zu den gern gehörten Gesangsformationen und so sorgten sie mit glasklaren Stimmen auch bei der Eröffnung für Furore. Mit einer vokalen, höchst unprätentiösen Rockshow aus Songs von Queen, Sting und The Police haben sich rock4, vier Männer aus Maastricht, einen Namen gemacht. Der unverwechselbare Stil haute mit einer zum Verwechseln echt wirkenden Interpretation von Queens „Killerqueen“ das Publikum im Pavillon von den Stühlen. Doch auch Newcomer aus der Landeshauptstadt waren am Start. Juice Box machte ihrem Namen alle Ehre und lieferte saftige Beats, exotischen Jungle, harte Technosounds, weiche Balladen, fließenden Swing und kernigen Hip-Hop. Die Göttinger Ganz Schön Feist konnte man beim Open Air an der Marktkirche erleben. Schade nur, dass Texte wie der vom „Gänseblümchen“ in den hinteren Reihen nicht mehr sehr gut zu verstehen waren. Durch den Abschlussabend im Theater am Aegi führte übrigens kein Geringerer als Desimo, der im Gegensatz zu seiner gelungenen Premiere (siehe Kritik) etwas mit einem Mentaltrick zu kämpfen hatte.
Als weiteres wichtiges Kleinkunstfestival startete auch wieder das „Kleine Fest im Großen Garten“. Zwischen Hecken und Boskettgärtchen erwachte eine Welt aus Clownerie, Magie, Artistik, Theater, Akrobatik und Comedy. Schon gleich beim Picknick am Eingang lockerten Walk-Acts die Stimmung auf, darunter das Theater Pikante mit den „Waldameisen“, Godelieve Huijs „Die orange Frau“ von der Tukkers Connexion oder die großen, weißen Stelzen-Frauen vom Teatro Pavana mit „Les Dames“. Mit „Allergie – besser als nix!“ gab sich Kabarettist Matthias Brodowy alles andere als bescheiden, stand seinen Mann und beglückte die Anwesenden mit gehobenem Blödsinn. Als Allein-Improtheater zeigte sich „Tausendsascha“ Sascha Korf und spielte mal eben so das erste Kennenlernen der Zuschauer Olaf und Marion nach, extrem witzig und hundert Prozent spontan. Nicht so spontan waren Trukitrek im Zirkuszelt. Die Spanier brachten zum Playback Figuren – halb Mensch halb Puppe – auf die Bühne, der Witz ermüdete aber schon nach zehn Minuten. Weit mitreißender, ebenfalls im Zelt, war Rebecca Carrington, die am Cello (begleitet von Colin Brown) in die verschiedensten Länder entführte. Sehr innige Performance mit toller Musik und viel Herz. Highlight: die schottische Einlage von Cello und Dudelsack. Tr’espace waren bereits beim Internationalen Zirkusfestival Monte Carlo eingeladen und mixten Jonglage mit Tanz und Musik – im Stil des Cirque Nouveau – poetisch und originell. Mit klassischer Clownerie aus Deutschland und Russland beglückten die KGB-Clowns, die ihr Handwerk meisterhaft verstehen und zwanzig Minuten im Nu vergehen ließen. Ein ganz großer Auftritt, der beweist, dass das klassische Clowntheater noch längst nicht tot ist. Und auch Walk-Act-Performer Bernd Hillringhaus konnte als Braut zu Cellomusik von Ellen Kienhorst begeistern. Sehr stimmungsvoll. Insgesamt bot das Kleine Fest in diesem Jahr ein großes Programm, bei dem glücklicherweise nicht nur auf Jonglage und Artistik, sondern vor allem auf Atmosphäre und gutes Theater gesetzt wurde. Auch wenn kleine Aussetzer dabei sind, haben die Macher bis heute ein gutes Händchen bewiesen, das sie weit über den Schnitt hebt. Achtung, nächstes Jahr ist 25-jähriges Jubiläum, das lässt einiges erwarten!
„Dachboden“ heißt das aktuelle Programm im Georgspalast in Hannover. Dies ist eine nette Idee und so sah man auf der Bühne allerlei Gerümpel bis hin zum Plattenspieler, der auch gebraucht wird. Durch den Abend führte selbstbewusst und etwas forsch Thomas Philipzen, der sein Publikum (zu) routiniert mit einbezog. Das Duo Catch me if you can jonglierte salopp, Katrina verbog ihren Körper und das Duo La Brise zeigte Akrobatik. Das war ebenfalls nett, nur was fehlte, waren, zumindest im ersten Teil, die Geschichten, der Hauch von Atmosphäre, der dem Ganzen das gewisse Etwas hätte verleihen können. Davon hatte man beim vorherigen Programm schon einmal mehr. Witzig allerdings war die Persiflage auf einen 70er-Jahre Zauberer mit Manuel Muerte, der gekonnt alle Plattitüden des Genres auf die Schippe nahm. Und auch Herr Steil entwickelte als Ein-Mann-Kapelle so etwas wie eine Persönlichkeit.
Alle Ehre machte sich Diseuse Alix Dudel, die von Hannover auf einen Sprung nach Rössing bei Hildesheim in die Kulturscheune getan hatte, um dort ihr Publikum mit Songs von Friedhelm Kändler, Hildegard Knef und Georg Kreisler zu bezaubern. In der ihr eigenen charmanten Art, bei der sich Selbstbewusstsein mit Lockerheit und trockenem Humor paart, mixte sie sanft Kändler-Texte und berückende Chansons. Bei „Gestern war ich morgen schon“ standen ihr Pianist Uli Schmid und Tenor Volker Thies zur Seite, der sich bemühen musste, der charismatisch-rauchigen Altstimme der Dudel etwas entgegenzusetzen. In nächster Zeit ist von ihr in Hannover auch wieder ein gemeinsames Projekt mit Wortkünstler Kändler geplant. Man darf gespannt sein.
In Rössing begeisterte übrigens auch Kabarettist Arnulf Rating. Das ganze große Kleine fand diesmal im Rahmen des ganzjährigen Festivals „Rosen und Rüben“ statt. Ein Event, das hiesige Künstler im Rahmen der „Gartenregion“ in zahlreichen Veranstaltungen präsentiert. Highlight waren die „Hildesheimer Wallungen“ mit der „Langen Nacht der Kultur“, an der sich 48 Hildesheimer Gruppen beteiligten und die die ganze Stadt nachts auf die Beine brachte. Nur der Bierausschank müsste noch einmal geprobt werden. Trotzdem sollte die große Kooperation von Künstlervereinigung IQ, Stadt und Landkreis, Marketing und Kirchen auch in anderen Städten Schule machen. Gemeinsam kann man einiges auf die Beine stellen.
Im Audimax der Uni Hildesheim begeisterte Bodo Wartke in „Noah ist ein Archetyp“. Mit Liebessongs und seiner urkomischen Solo-Performance von Ödipus riss er das Publikum geradezu hin. Zwar sei der laut Tagespresse „ewige Klassenclown“ weit von der Brisanz entfernt gewesen, die vorher Vollblutkabarettist Hagen Rether verbreitet hätte, doch im Metier der Musikcomedy bleibt er – präzise, wie er ist – ungeschlagen. Derzeit hat sein neues Programm Premiere, in dem Ödipus die Hauptrolle spielt.
Ebenfalls im Audimax verbreiteten der Berliner Rainald Grebe und die Kapelle der Versöhnung mit dem Programm „1968“ eine gespannte und manchmal atemlose Atmosphäre unter den Anwesenden. Grebe bleibt nach Meinung der Rezensentin noch immer einer der subversivsten und „gefährlichsten“ Wortkünstler, die wir zurzeit haben. Vorsicht und Hut ab! Da kommt so schnell nichts drüber. Im Herbst gibt es sein neues Programm „Hongkongkonzert“.
Redaktion: Nicola Volckmann
14.10. Kollmanns Emmerke, Stephan Guddat
11.11. Kollmanns Emmerke, DANA,
20.10. Pavillon, Andreas Rebers „Auf der Flucht“
11.11. Pavillon, Dieter Hildebrandt „Nie wieder 80“
30.09. TAK, Hannover, Matthias Brodowy „Bis es euch gefällt“
25.11. TAK, Hannover, Erwin Grosche
10.01.2010 Theater am Aegi, Urban Priol „Tilt! – Der etwas andere Jahresrückblick“
AdNr:1050
2009-09-15 | Nr. 64 | Weitere Artikel von: Nicola Volckmann