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    Trombonekings , Sambarhythmus und jazziger Tiefgang

    Seid alle gegrüßt  im Neuen Jahr 2003, dass, wie ich meine, wieder ein absolutes Musikjahr wird, in dem nicht nur Dieter Bohlens deutscher Superstar Furore machen wird. Eher glaube ich, dass die wirklich interessanten und wichtigen musikalischen Superstars in den sogenannten Nischen zu finden sind. Einer von ihnen ist der Finne Janne Rättyä. Was den Akkordeonisten auszeichnet, ist neben seiner beeindruckenden Spieltechnik sein absolut sicheres Gefühl für die interpretatorischen  Feinheiten. Aus der Dreiklangorientierung des „De Profundis“ von Gubaidulina entwickelte er die Spannung der Querstände mit ihren Sopranapplikationen und den dynamischen Klangeffekten.

    Rättya denkt sich tief hinein in die Vorlagen und ist in der Lage, selbst die Extravaganzen eines John Cage „rüberzubringen“. Faszination übt seine Auseinandersetzung mit dem kontemplativen „Dream“ aus, in der Cage über das tonweise Erweitern annähernd traditioneller Akkordik monumentale Klänge erzeugt.

    Tangos sind aus Akkordeonkonzerten nicht wegzudenken. Rättya spielt sie ebenso souverän wie frisch. Etwa Arolas „La Cachila“ oder das bekannte Piazolla-Stück „Sedido unico“. Diesen Musiker würde ich mir, wenn mal in der Nähe sein sollte, nicht entgehen lassen. Allerdings lohnen sich für  Rättya auch weitere Fahrten. Und das gilt auch für den Brasilianer Eli Goulart, der mit seiner Band „Bando do Mato“  feurigen Spitzenjazz  auf die Bühne bringt. Der Samba-Rhythmus geht in die Beine, der Latin Groove ist mitreißend und die Musiker haben allesamt Weltformat. Bestechend vor allem die Bläsersection, die bestens aufgelegt auf dem pulsierenden Rhythmus harmoniert und mit den Gitarristen beim Auditorium pure Freude über diesen original brasilianischen ausgelassenen jazzy  Jazz entfacht.

    Diese Ausgabe von TROTTOIR möchte ich aber vor allem einem Instrument widmen: der Posaune – und natürlich seinen Virtuosen. Knut Kiesewetter dürfte allen noch aus einer Zeit bekannt sein, in der er vor allem die plattdeutsche Folkloreszene prägte. Aber er ist auch ein ausgezeichneter Posaunist.  Ich durfte ihn mit einer eigens zusammengestellten Festivalband erleben. Kiesewetter zelebrierte den Swing, liefert grandiose Bläserparts gemeinsam mit dem großartigen Saxofonisten Gustl Mayer und verlieh dem „Basinstreet Blues“ mit seiner rauchig – zarten Stimme jazzigen Tiefgang.

    Zu den absoluten „Trombone Kings“ gehört aber seit geraumer Zeit der Ausnahme-Posaunist Joe Wulf. Mit der kürzlich erschienenen gleichnamigen CD „Trombone Kings“ hat er sich einen Kindheitstraum erfüllt. Drei seiner favorisierten Posaunisten hat Wulf für sein Projekt begeistern können. Dan Barrett, George Masso und Roy Williams sind seine „Trombone Kings“, mit denen er im unverkennbaren Wulf – Arrangement vor allem amerikanische Standards und eigene Stücke eingespielt hat. Und das Ergebnis ist mehr als hörenswert. Der Swing eines Count Basie oder Buck Clayton klingt wie neugeboren, ist eine äußerst lebendige Mischung aus impulsiver Rhythmik und mitreißenden Gruppen- und Soloimprovisationen. „Es gibt einen Markt für gute Musik“ sagte Joe Wulf bei der Präsentation des neuen Geniestreichs. Und er hat Recht. Aber das alleine genügt ihm nicht. Im Konzert zeigt der Posaunist, wie Swing heute live klingen sollte. Mit ihm musizieren seine „Gentlemen of Swing“, die allesamt erste Sahne sind. Terence Ngassa etwa, der das Trompetenspiel mit der Muttermilch aufgesogen hat und zudem noch so singt wie dereinst „Satchmo“ Armstrong. Oder Francois DeRibaupierre, dessen Klarinetten- und Saxofonspiel ungeheuer emphatisch ist. Bert Thompson am Bass ist eine Klasse für sich, und der junge Pianist Christian Nemet ist nicht nur eine Entdeckung in der Jazzszene überhaupt, sondern ein äußerst kreativer Musiker in den Reihen der Gentlemen. Wäre da noch Will Lindfors, der ohnehin als Drummer zur absoluten Weltspitze gehört und mit zahlreichen Preisen überhäuft wurde.

    Dass Joe Wulf diese Spitzenbesetzung noch toppen kann, zeichnet ihn aus und begeistert das Publikum. Die Reihe der musikalischen Gäste ist eine lebendige Aufreihung des „Who is who“ im Jazz. Pascal Michaux, Multiinstrumentalist, lässt sein Tenorsaxofon mitsingen im swingenden Rhythmus. Roy Williams an der Posaune ist nicht nur beim  Posaunenduell „Cheak to cheak“ mit Joe Wulf bestens aufgelegt.

    Special Guest allerdings ist Joes musikalischer Wegbereiter Rod Mason, der mit seinen Hot Five Jazzgeschichte geschrieben hat.

    Was sich an diesem Abend abspielt, ist ein absolutes Spaßkonzert mit Pulver im Rhythmus und Gefühlvollem etwa bei „Jealous Love“ oder „Gabriel“. Am Ende überkommt mich das Gefühl, die „Kings of Swing“ gehört zu haben.

    Aber auch sein Programm „Swinging Christmas“ ist in der vergangenen Weihnachtszeit eine Aneinanderreihung von jazzigen Highlights gewesen, von Weihnachtlichem mit dem Drive des Swing. Und auch dort gelingt ihm in großartiger Weise der Spagat zwischen Gefühlsduselei und mitreißenden Arrangements.

    Von minimalen Lichteffekten unterstützt zeigt Bandleader und Ausnahmeposaunist Joe Wulf seine musikalische Verstehensweise amerikanischer Standards, Volksweisen und einfach nur schöner Swingtitel von Armstrong über Bing Crosby  bis zu Nat King Cole.

    Gentlemanlike eröffnen seine Musiker das Konzert mit „O Tannenbaum.“ Terence Ngassa (Trompete) virtuose Soli lassen die grünen Blätter des Baumes mitswingen. Sonor mit weicher klarer Stimme erzählt Joe von „Santa Claus“, wobei die Saxofontiraden von Francois DeRibaupierre und die fantasievollen Pianoparts von Chris Nemet der Coca-Cola-Erfindung des Weihnachtsmanns enorme Präsenz verleihen. Und wenn Bert Thompson am Bass die Themen des „Winterwonderlands“ improvisiert oder Will Lindfors an den Drums bei „Let it snow“ einen wahren Schneesturm entfacht, macht sich das Gefühl breit, dass Weihnachtsvorfreude doch noch von der Freude mit und über den Swing getoppt werden kann.

    Aber Joe Wulf, der ebenso stil- wie wundervolle Bläserparts abliefert, der eindrucksvoll von der „White Christmas“ träumt und mit Terence „Satchmo“ Ngassa im Doppelpack die Ballade vom „Old rotten chair“ ins Auditorium schickt, hat an diesem Abend noch ein weiteres As im Ärmel: Big Mama. Die Frau hat die wohl schwärzeste und bluesigste weiße Stimme derzeit überhaupt. Und diese Frauenpower greift auf das Publikum über. „He´s got the whole world“ reißt die Zuhörer mit im treibenden Two-Beat. Im „Swing low“ swingt der Swing bis zum geht nicht mehr. Und auf herrlichen Bläsersätzen zelebriert Big Mama die „Stille Nacht“ – auf deutsch.         

    Big Mama ist gebürtige Rumänin und seit 1970 international als Sängerin tätig. Sie kommt aus einer Musikerfamilie und begann bereits sehr früh mit ihrer musikalischen Ausbildung. Trotz ihrer "klassischen" musikalischen Herkunft fühlte sich Big Mama immer in vielen unterschiedlichen Stilrichtungen zuhause, ihre Bandbreite reicht von Jazz über Rock bis hin zu folkloristischer Musik. Ihre besondere Liebe gilt der vielfältigen choralen Kirchenmusik und am meisten liegt ihrer "schwarzen Stimme" der Blues. Getrieben von dem Wunsch, diese Elemente in ihrer Arbeit zu vereinen, gründete sie im Sommer 1994 ein Gospel – Sextett,  die „Golden Six“,

    Schon wenige Wochen nach der ersten Probe mit der neuen Formation kam unerwartet die Einladung, im Theater am Aegi, dem größten Gastspieltheater Hannovers aufzutreten. Big Mama sagte zu - und die Veranstalter wurden nicht enttäuscht ! Denn schon damals war neben ihrer herausragenden Stimme das außergewöhnliche Feeling und die Ausdruckskraft zu spüren, die Big Mama eigen sind und die zum wesentlichen Markenzeichen dieser Gospelformation wurden.

    " Wir wollen die Menschen glücklich machen" sagt Big Mama immer wieder, und das gelingt ihr mit Joe Wulf oder auch mit ihren „Golden Six“ in grandioser Weise. Mit Big Mama werden Konzerte zu einem einzigartigen Erlebnis.

     

    Soweit für erste in 2003. Bis demnäx.

    Bernhard Wibben

     

     

    2003-03-15 | Nr. 38 | Weitere Artikel von: Bernhard Wibben





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