Man kennt ihn von zahlreichen akrobatisch-animatorischen Aktionen unter freiem Himmel. Er ist uns vertraut als mit-tragende Säule der Kasseler Formation „Kleinkünstler unterschiedlicher Größe“. Er ist der Favorit der kindlichen, jugendlichen und jung gebliebenen Klientel bei Straßenfestivals und Ortsbespielungen: Gerd der Gaukler, mit bürgerlichem Namen Gerd Mielke, Absolvent der Brüsseler Zirkus- und Theaterschule, seit 20 Jahren schon im Dienste der luftigen Kunst, die Gesetze der Schwerkraft aushebelnd, hat lange vor einem eigenen Abendprogramm zurückgescheut. Dass er diese Abneigung nun überwunden hat, ist für die Freunde exquisiter Kleinkunst ein Glücksfall.
„Bekenntnisse eines Gauklers“ heißt Mielkes Solo, das im dock 4, dem „Stammhaus“ der Kasseler freien Szene, seine heftig bejubelte Premiere erlebte. Keiner kann so mit Worten jonglieren und im Umkehrschluss mit Jongliergegenständen Geschichten erzählen wie dieser Flaneur zwischen Literatur und Artistik. Die Dreierbeziehungskiste von Erna, Fritz und Ernst etwa, im reportagehaften Zeitrafferstil erzählt, symbolisiert durch drei verschiedenfarbige Bälle ein durch die Luft gewirbeltes Psychodrama. Der entfesselte Tanz eines Hexenbesens, mit einem eloquenten Subtext unterlegt, in dem als einziger Vokal der Buchstabe „e“ vorkommt – ein raffiniertes Spiel mit den beiden Polen Überschwang und Selbstbeschränkung. Auch das Diabolo dient Gerd Mielke nicht einfach als Instrument für Kunststücke. Mit ihm illustriert er sinnfällig den Trudelkurs seines Lebensschiffchens, vom hoffnungsvollen Aufbruch bis hin zur immer gegenwärtigen Gefahr des Kenterns. Dass sich zu guter letzt die Zugabe auf dem Hochrad nicht nur als hals-, sondern ebenso als zungenbrecherischer Balanceakt entpuppte, war dann das hochprofessionelle, gebührend gefeierte Tüpfelchen auf dem „I“. Ein wunderbarer Einstand ins Abendprogramm – längst überfällig!
Redaktion: Verena Joos
2004-06-15 | Nr. 43 | Weitere Artikel von: Verena Joos