lud am 23. März Georgette Dee lasziv und kraftvoll zu ihren Liedern und Geschichten über Matrosen, Meer und den Mond ins Tippi, das Zelt am Kanzleramt ein. Die Premiere zur Wiederaufnahme vereinte hier die Schönen der einen Seite und die zumeist Älteren beider Seiten zu einem, wie erwartet, guten Programm mit richtig guten Geschichten und Liedern. Der Abend war lang und es war klar, dass hier Kunst in Form von Chanson und Conference ein Höchstmaß an Professionalität erreicht. Kunst, wo Realität und Träume ineinander übergehen. Hier scheint alles so leicht und klar, was bei den jungen Kollegen oft (noch) so starr und künstlich erscheint. Sicher wird Tim Fischer hier bald wieder die Ausnahme beweisen. Unter den Besuchern auch Tomasz, der legendäre Chansonier, Bauchtänzer und gern gesehener Gast an vielen Szene-Bühnen Berlins. Er ist nur kurz in der Stadt und nimmt die Einladung zur Nachtshow ins Chamäleon wahr. Alle gehen zufrieden nach einem langen Abend nach Hause. Am nächsten Tag lesen wir wieder Neuestes über „unsere“ Tempodrom-Geschichte. Ja, praktisch am gleichen Orte störte es vor einigen Jahren die Regierung und die Ordnung im Regierungsviertel und erhielt deshalb viel (zu viel?) Unterstützung. Strieder, unser Senator für Stadtentwicklung, hat ab sofort ein ruhiges Leben. Hier in Berlin haben wir anscheinend noch nicht gelernt, wie man sich professionell und „nachhaltig“ gegenseitig unterstützt. Die Gründerin, eine Krankenschwester mit Erbe, meint es jedenfalls nur gut und gibt nicht auf. Die Verlegung des damals im Regierungsviertel störenden Tempodroms kostete wesentlich mehr als (un)erwartet, inzwischen mit Genehmigung der Stadt. Details der Baugestaltung machten es (un)wesentlich teurer. Jetzt laufen hier die Veranstaltungen gut, trotz Insolvenz. Typisch Berlin. Auf wen soll man/frau sich verlassen?
Auf ein Jubiläum ist Verlass
Alle wollen mitfeiern, alle wollen dabei sein. So weiß auch die Herkuleskeule aus Dresden, dass man das ausnutzen und feiern muss. Auch in Berlin. Michael Frowin kam mit „Schlaflos im Sattel“ hierher und feierte im Auftrag der Herkuleskeule ihr Jubiläum mit seiner Premiere in Berlin. Vor ausverkauftem Haus im Grünen Salon in der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz ehrte man ihn als jungen Nachfolger des auch in Berlin (Ost) bekannten, traditionsreichen Kabaretts.
Wie fängt alles an?
Das wissen alle im Falle eines Erfolgs am besten. Ansonsten hört man ja irgendwann nichts mehr. Viele fangen mehrmals an. DEN Anfang gibt es ja auch nicht wirklich. Vor 25 Jahren im Kindergarten, bei einer privaten Fête, in der Scheinbar oder im Grünen Salon. Im letzteren spielten sie alle schon: Cora Frost, Popette Betancor, Wiebke Wiedeck, Boris Steinberg, Tanja Ries, Duo Malediva, Bérangère Palix, Tom Wende, Maria Thomaschke … Deutsche, Holländer, Amerikaner, Franzosen oder französische Berliner. Der Neu-Münchener Tom Wende spielte sich mit seinem Song über die A9 an die Berliner „heran“. Musikalisch von höchster Brisanz im Spiel am Piano ist er als Solist überzeugend und sehr vielversprechend. Hier fehlen einige Jahre Erfahrung einer Georgette Dee und vielleicht auch ihre Gelassenheit. Man spürt aber schon die neue Generation, die ja selbst noch nicht einen bestimmten Geschmack getroffen hat. Die genaue Beobachtungsgabe wird gepaart mit dem auch beim Publikum hohen Anspruch an klassischer Fingerfertigkeit, Virtuosität und die Qualität des Textes. Natürlich ist der Männertag im Volksbad mit dabei. Die vom Sänger und Pianisten selbst geschriebenen Texte machen süchtig. Da können aufgebackene Lieder kaum noch mithalten. Hier ist kein schneller Höhepunkt geplant, lang anhaltender Erfolg scheint hier das Ziel. Deshalb gibt es auch keine Gassenhauer, um die Stimmung hochzureißen oder die CD zu verkaufen. Diese sollte man sich wohl langsam bestellen, da hier bald ein neuer Kandidat verschiedener Festivals und Preise entschlossen ist, seine Sicht der Dinge vorzustellen und sich vielleicht auch bald nach Berliner Art vorzudrängeln. Da macht er auch vor bayerischen Liedern nicht halt. Nun, auf diesem Gebiet hätte er in Berlin bei den vielen Zugereisten vielleicht große Chancen, denn die Berliner verstehen die bayerischen Laute selten. Jedenfalls hatten diese ihre Verständigungsprobleme. Wo man in München, inzwischen als Geheimtipp gehandelt, bejubelt wird, fängt man in Berlin erst mal an. Sein Programm mit selbst geschriebenen und meist selbst komponierten Liedern war nicht schlecht.
Die Wende. Dann kam der Wende. Er beobachtet das scheinbar Normale. Er scheint normal. Unbeabsichtigt scheint der Bann, in den er die Zuschauer/-innen zieht. Und plötzlich dieses Spiel, das so virtuos wie vom Band zu kommen scheint, so selbstverständlich, wie man zwischen Schlittschuhlaufen, Schwimmen und Fliegen wechseln kann, wenn man es kann. Die Themen und Beschreibungen sind oft so überraschend, dass keine vorgefertigte Meinung oder Lachsucht sofort aus dem Schubkasten zu holen ist. Das möchte man noch einmal hören, aber schon ist es vorbei, kaum dass man eingetaucht ist in diese Gedankenwelt und in sich hineinlacht, wissend um Situationen, wissend um die dreißig Jahre, die man selbst kennt. Buddha war in diesem Alter schon erleuchtet, Jimi Hendrix tot! Und wir leben noch … Früher einmal wollten wir fleißig sein und Firmen gründen, doch jetzt ist der Zug abgefahren. Jetzt machen wir eben Musik. Mit der dazugehörigen Portion Selbstironie schlittert Wende urkomisch durch alle Krisen, die zum 30-Sein wohl dazugehören.
Im BKA-Luftschloss wird ebenfalls immer wieder bewiesen, dass nichts unmöglich erscheint. Am 29.2. wurde hier zur 6. Großen Tibetischen Neujahrsparty eingeladen. Passend zum 8. März, dem zum Teil in Berlin immer noch sehr gern gefeierten Internationalen Tag der Frau, wurden die „Vier ins Konzert “ ins BKA am Schlossplatz eingeladen. Die bekannten Frauen Berlins, Uschi Brüning, Annekathrin Bürger, Babarara Kellerbauer und Gabriele Näther kamen. Im Gefolge dieser Damen die Swingin’ Sisters im August am Schlossplatz. Der Chanson-Sommer im BKA-Luftschloss steht auch schon vor der Tür. Wir freuen uns auf den Sommer in Berlin.
Redaktion: Yvonne Helmbold
AdNr:1047t
2004-06-15 | Nr. 43 | Weitere Artikel von: Yvonne Helmbold