Ein heißer Sommerbeginn war es. Natürlich mit Regen. Beim lesbisch - schwulen Stadtfest rund um den Nollendorfplatz waren einige mit dabei, die im Bereich Cabaret-Chanson zur Berliner Szene gehören: Boris Steinberg folgte Tim Fischer im arc-Festzelt, zwischen Motz- und Fuggerstraße wurden gesehen: Juwelja, die versucht zu singen und als außergewöhnliche Dame jedenfalls besticht. Gunnar König, & die einzig wahre Diva Tomasz u.v.a. Carsten Golbeck & die Röhre Dana ersangen sich hier die Herzen der Berliner und hatten dabei schon etwas zeitlichen Streß. Am Abend feierte Carsten Golbeck sein Jubiläum im Grünen Salon der Volksbühne. 3 Jahre Chanson und 30 Jahre Leben. Vor 2 Jahren von Georgette Dee anläßlich eines Auftritts im Grünen Salon präsentiert, gehört der Norddeutsche mit seinen Höhen und Tiefen, Geschichten zwischen Norddeutschland und Liebe inzwischen fest zu den Berliner Chansonentdeckungen. Am Sonntag lud er dann zum Abschlußkonzert ein. Im Rahmen der Fête de la musique, die in diesem Jahr in Berlin noch größer und vielfältiger war, kamen auch in den Grünen Salon der Volksbühne dieses Jahr so viele Gäste, daß die Luft und Stühle längst nicht mehr ausreichten. Alle wollten die Chance nutzen, um die geladenen Gäste des Chansonniers sehen. Simone Hofmann und Matthias Maurer sind die Organisatoren dieses Festes in Berlin. Nun schon zum 3. Mal wurde dieses Fest für Künstler und Publikum mit geduldiger Vorbereitung und schwierigen Verhandlungen an vielen Plätzen in Berlin organisiert. Jeder konnte dabei sein... Mit dabei zum wiederholten Mal war auch Celina Muza, die eine Woche später auch im Rahmen der polnischen Woche des Polnischen Kulturinstitutes in Berlin „zwischen den Stühlen“ ihre Chansons sang. Polnisch, Russisch, Englisch und Deutsch dreht sich bei ihr das Karussell. Worte verliehen ihr, neben bekannten polnischen Lyrikern, die in Berlin nicht unbekannten Herrn Göritz und Tefelski für die deutsche Übertragung. Hit verdächtig waren einige Kompositionen, welche die polnische mehrfache Preisträgerin nach Berlin mitbrachte. Etwas kindlich und angenehm unsicher präsentierte sich die französische Berlinerin Corinne Douarre ebenfalls im Juni im Grünen Salon der Volksbühne. Es bleibt spannend, wer als Gast aus Frankreich und aus Berlin beim Französischen Herbst Ende Oktober an diesem Ort die Berliner Chansonszene bereichert.
Vielleicht wird ja ein Wunder geschehen...
Die Auftrittsmöglichkeiten für Anfänger in der Comedy- Varietè- und Chansonszene werden auch immer weniger. Im Theaterschiff Tau, Café Döblin in der Alten Schönhauser Str., Bellevue oder im „Wirtschaftswunder“ in der Yorckstraße darf man sich jedoch ausprobieren. Auch das Café Uhland gehört schon traditionell seit Jahren dazu. Egal ob gut oder schlecht, ob 4 oder 40 Zuschauer, hier kann man oder frau sich auf den Erfolg vorbereiten. Triple Sec, Morin Smolè, Isabella Clèment und viele andere wandern zwischen diesen Orten. Am 10.August feierte die Inhaberin mit ihren zahlreichen Gästen und bisherigen vom Publikum auserwählten Künstlern den 1. Jahrestag und den 120 Geburtstag von Döblin selbst. Jeden Donnerstagabend und Samstag ab 14.00 Uhr wird die kleine Bühne bespielt. Wer es jedoch im Bereich Varieté wissen will, geht zum öffentlichen Casting, jeden 1. Samstag im Monat im Varieté Chamäleon.
Nachwuchs gab es auch beim 2. Internationalen Varieté & Comedy Festival, organisiert von der Varieté & Comedy Festival GmbH und der Chamäleon Varieté- GmbH. Mutig war es, nicht im Herzen Berlins ein Heimspiel zu organisieren, sondern Berliner und Touristen in die Wuhlheide, in das FEZ zu locken. In Westberlin wußte man noch gar nicht, daß dieser Stadtteil zu Berlin gehört. Ein ideales Gelände mit dem ehemaligen Pionierpalast, der neben Ostalgie technisch ganz gut ausgestattet schien. Mit dem Auto schon eine Odyssee, ist es auch mit der Bahn nicht ganz einfach, den Weg zu finden. Dann, endlich, der Regen hörte sogar auf, merke ich, daß auch andere den komplizierten nicht zu langen Weg gescheut hatten. Die Abendveranstaltung wurde ersatzlos gestrichen. Um nicht weiteres nicht vorhandenes Geld zu vergeuden, wurden die letzten Veranstaltungstage kurzfristig gestrichen.
Da konnte selbst Herr Leo Basi aus Italien mit seinen exquisiten Böswilligkeiten nicht mehr helfen. Hier mangelte es sicherlich nicht an guten Künstlern und Ideen. Die Wassershow wurde mit reichlich Verspätung dann zur letzten Show des Sonntagabends und des Festes. In zwei Jahren soll es dann ein 3. Festival geben. Vorher vielleicht noch eine feucht-fröhliche Varietè -Wasser-Show im Zentrum?
Es fiel jedoch nicht alles ins Wasser. Im Rahmen des 2. Internationalen Varieté- & Comedy - Festival stellten sich 30 Künstlerinnen und Künstler in der Kategorie Artistik, Comedy sowie innovativste Nummer dem Publikum und einer Fachjury vor. Am Freitag, dem 17. Juli 24.00 Uhr fand der Internationale Comedy –Sommer einen erfolgreichen Abschluß. In Reimform siegte im Bereich Comedy Bodo Wartke. Den ersten Preis in Artistik errangen Karin Odermatt und Christina Gruba und die innovativste Nummer erlächelte und erspielte sich Hannes, der kann es, Hannes Molkenthien. Gleichberechtigung war kein Thema für ein argentisch-chilenisches Paar. Statt Preise gab es viel Applaus und Pfiffe auch für den kleinen, verklemmten und drahtigen Ricardo, der in weißen Hot-Pants und Radfahrerschutzhelm von der trockenen, großen und kräftigen Irina jongliert wurde. Melange de Chamäleon vom 2.9.- 27. 9 98 ist das Zwischenprogramm vor der Wintershow am 4. Oktober im Berliner Scheunenviertel. Wer einige Künstler verpasst hat, bekommt hier jedenfalls noch eine Chance.
Die Chance erhielt Tomasz, die einzig wahre Diva, in der letzten erfolgreichen Show des Chamäleons vom Regisseur Detlef Winterberg. Berlins wohl bester Bauchtänzer ist hier leider in diesem Metier zu kurz gekommen. Als Diva allerdings zeigt sie in Stimme und Kostüm mit voller Kraft und Bravour, was in ihr steckt. Ihre Jünger sind natürlich auch als bezaubernde Damen mit beim Spiel am Bass, Flügel und Schlagzeug. Für die Artisten und das Publikum ein Riesenspaß, beginnt für die Diva eine Katastrophe, nimmt der Abend seinen unverwechselbaren Lauf. Wer da wen spielt ist nicht wichtig. Köstlich und etwas pikant jedoch auch die Zutaten dieser vergnüglichen Show in der Mitte Berlins: Bridge Markland als Monster, Dirigentin und androgyner Rapper, Ralph und Dorice als Luftakrobaten. Die treusten Augen haben ohne Zweifel Lutz und Moritz (Jonglage und Tanz) und bleiben der Diva und dem gerührten Publikum bis zum Schluß treu. Dagegen kam auch die provozierende Zweitdiva Madame Fou Fou (Sammy Tabalis), mit Countrysongs nicht an.
Der Comedy Sommer`98 in der Wilmersdorfer Bar jeder Vernunft ist vom Wetter unabhängig. Sprachlich nicht gebunden an Deutsch oder Englisch präsentierten Gayle Tufts und Rainer Bielfeldt The Big Show in Denglish. Die Texterin, Sängerin und Entertainerin aus New York kam jetzt aus Kreuzberg. Seit 3 Jahren erfolgreich in Europa, Film und Fernsehen, behauptet sie: „ Ich bin keine Chansonette, ich rauch` kein cigarette, ich bin nicht Angrogyn, und ich nehm` kein Heroin.....“
Gayle Tufts ist keine Chansonette, die Kellnerinnen sind keine Sekretärinnen, und Plakat ist nicht mehr Plakat. So oder ähnlich wäre ein schöner Insider-Spaß des Berliner Sommers zwischen Schiller-Theater und Bar jeder Vernunft zusammen zu fassen. Geblieben ist jedoch die inzwischen mehrmals verlängerte Vorstellung von „Kellnerinnen“. Diese besteht aus Teilen des nach dem Regisseurwechsel im Schiller-Theater gefeuerten Cast des Tippsen-Musicals. Die im Grünen Salon entdeckten und bekannt gewordenen Künstler Christin Marquitan und Carsten Golbeck sangen im Servierquartett Schlager und Chansons nach Mitternacht. In der Persiflage der Persiflage arbeiten die Kellner weniger in ihrem Beruf sondern singen: Lieder, Chansons auch aus ihren eigenen Programmen, Ohrwürmer mit etwas verfremdeten Texten und Schlager. Man bekam was man bestelle. Nicht mehr und nicht weniger.
Das 1. Internationale Open Air Comedy Festival, 25.8. – 30.8. 98. in der ufa fabrik, wird Berlin dann wohl zum Sommer - Mekka der Comedy- und Varietészene werden lassen Der blonde Emil alias Thomas Nicolai hat das Programm unter dem Motto Sunset Comedy zusammengestellt. Das phantasievolle „Vorprogramm“, vom 15. 7. – 2.8.98 waren sicherlich die Lovely Bastards. Skurrile Geschichten und Anekdoten, verpackt in zusammenhängende Varieté- und Comedy-Nummern, zeigen drei Charaktere. Daniel Reinsberg, der immer smarte Moderator, kann zum Glück auch aus dem Bauch heraus reden, Andreas Wessel gibt die geworfenen Bälle im Spiel mit dem Stand-up-Comedian Jo Jo Weiß verbal und mit dem Mund gekonnt lässig zurück.
Wer in Berlin etwa wirklich Berlinerisches erleben wollte, bekam es auch. Claire Waldorf alias Angelika Mann und ihre Freundin alias Gerlinde Kempendorf zeigten Glanzlichter der guten alten und der neuen Zeit. Ingo und Frank bewiesen die Leichtigkeit ohne Schwerkraft und Ruslan Fomenko brillierte wie so viele der gut ausgebildeten GUS-Künstler in den Varietés Deutschlands. Wer Glanz und Glimmer mag, war hier bestens aufgehoben.
Wer ansonsten nach der „Szene“, den Gästen, Berlinern oder den inzwischen begehrten Salonabenden im Grünen Salon sucht, findet oft nur geschlossene Türen. Der Sommer an der Volksbühne ist schon traditionell eine Bauoase. Im Sommer geschlossen oder umgewandelt wurde auch in Berlin wieder der eine oder andere Szeneort. Es gilt abzuwarten, wer den längeren Atem hat. Einige Termine stehen jedoch schon fest.
Tip in Berlin:
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Redaktion: Yvonne Helmbold
Eine kleine Auswahl
Bar jeder Vernunft, Schaperstr. 24, 10 719 Berlin. Tel: 030 885 692-0
01.-25.10.: Dominique Horwitz singt Chansons von Jaques Brel
27.10.-01.11.: Max Raabe singt.... Am Piano : Christoph Israel
03.-08.11.: Ulrich Tukur und die RhythmusBoys: „Deutsche Tanzmusik in
Theorie und Praxis“
10.-28.11.: Die Geschwister Pfister mit „Party heut `Nacht“
05.-30.12.: Queen B: „Wenn Du aufhörst, fang` ich an“
Grüner Salon in der Volksbühne
am Rosa-Luxemburg-Platz 10 178 Berlin
Büro: Alte Schönhauser Str. 9, 10 119 Berlin. Tel: 285 98 936
02.10. Premiere: Celina Muza: „Madonnen, Hexen und Clowns
31.10 – 29.11. : „Französischer Herbst“: Chansons & Specials mit u.a.
Evasion, Corinne Douarre, Jens Claßen
04.12. – 20.12: Wiebke Wiedeck mit Gästen
09.01. 1999 : Premiere: Annette Postel & Orchester
Ufa-Fabrik
Viktoriastr. 10-18, 12 105 Berlin. Tel: 75 50 30
07.-11.10.: Thielke und Genähr.....und ab geht die Post Comedy im
Varieté-Salon
7.-11.10. Acapickels: Mit Hirn, Harn und Melodien
Acapella Comedy – im Theatersaal
28.10.-22.11: Gabi Decker: Klassentreffen
27.10.-15.11.: Michael Sens: Endlich Prominent
17.-29.11.:Tanja Ries: Funkeln im Herzen
02.-27.12.: Markus Jeroch
Theaterschiff Tau
Gegenüber Planufer 17, 10967 Berlin, Tel: 691 69 88
Wechselnde Programme jeweils Fr – So 20.30
Wintergarten Varieté
Potsdamer Str. 96, 10785 Berlin, Tel: 250088-0
17.09.-10.01.´99 : Bernhard Paul´s: „Da-Ca-Po“.
1998-09-15 | Nr. 20 | Weitere Artikel von: Yvonne Helmbold