Mit Superlativen spart die neue Revue „Rhythmus Berlin“ des Friedrichstadtpalastes nicht: 24 Bilder, 600 Kostüme, über 100 Tänzer, fünf Komponisten, sieben Choreografen – Berlin im Rhythmus von 24 Stunden. Zwei Pärchen, dargestellt von Nathalie Tineo, Dominique Lacasa, Lutz Thase und Lothar Stadtfeld, suchen, verpassen und finden sich singend auf der Bühne. Das Ganze ist so hochglanzpoliert unverbindlich, dass ein Berliner Lokalkolorit fast völlig fehlt. Unbesehen lässt sich fast jede andere Großstadt darübersetzen. Das Ballett ist mit den vielen Auftritten aufs Äußerste gefordert, nur beschränken sich die Choreografien leider zu sehr auf eintönigen Showdance und sind teilweise auch einfallslos. Mit dem Verzicht auf große Showbilder, die man nur im Ansatz bei einigen Bildern erahnen kann, bleibt die Bühne zu oft leer. Nicht einmal die berühmte Girlreihe entfaltet so richtig ihre gewohnte Wirkung. Eine der gelungensten Choreografien ist das witzige Ballett der tanzenden Köche und Kellner im Hotel-Bild. Mit der Technik das Hauses wird nicht gespart: Das Flugwerk kommt zum Einsatz, die Bühnentechnik zaubert das Wasserbecken mit großen Fontänen herauf, dazu schwebt von oben die Goldelse der Siegessäule ein, aber das eigentliche Berlin zwischen Kreuzberg, Ku’damm, Alexanderplatz und Prenzlauer Berg ist weitestgehend ausgespart.
Einige Bilder prägen sich durchaus ein, etwa die wohl beste Szene, das Museums-Bild, mit den sich aus der Starre lösenden Figuren des antiken Frieses, oder das Schlussbild mit den sich bewegenden Kränen und Berlin-Videoprojektionen. Ohnehin wirkt der zweite Teil geschlossener, weil weniger Gesangsnummern vorhanden sind. Ausgesprochen wirkungsvoll ist der neue Wasservorhang, der zweimal eingesetzt wird und in dem sich die verschiedensten Figuren gestalten lassen.
Die Liedtexte sind leider mehr als belanglos und – wenn sie denn verständlich sind, was nicht immer der Fall ist – oft beinahe parodistisch.
Artistisch geht das Haus schon längere Zeit den Weg, neben engagierten Darbietungen eigene Acts zu erarbeiten. Dieses Mal ist es eine Arbeit an einer überdimensionierten Uhr, an deren Zeiger sechs Akteure Reckakrobatik zeigen – ein relativ großer Aufwand, aber eine recht wirkungsvolle Idee. Am Bühnenhimmel tummeln sich Anton Chelnokov und Margarita Khasanova in einem schwebenden Wasserbecken mit Figuren unter Wasser. Artistisches Highlight sind sicher die Velez Brothers am Todesrad. Rai und Rudy Navas Velez zeigen eine sehr schnelle Arbeit mit Sprüngen in das und auf dem Rad, letztere sehr hoch und auch kombiniert mit Seilspringen. Der große Wurf ist diese neue Revue leider dennoch nicht geworden.
Badewannen bevölkern die Chamäleon-Bühne: sechs in drei Etagen auf der Bühne, eine (nur einmal genutzt) an der Decke hängend. Die Regisseure Markus Pabst und Maximilian Rambaek haben sich dazu eine Story einfallen lassen: ein kleiner Mann, dem Geld und Menschen gehören, sucht Gefühle, die er in Seifenblasen konservieren möchte. Das ist in der Speisekarte nachlesbar, ansonsten stört die Fabel nicht weiter. Pabst und Rambaek ist es gelungen, ein überzeugendes Programm abzuliefern, das (fast) ausnahmslos von jungen Künstlern bestritten wird. Ungewöhnlich schon die Opernsängerin Lina Navakaite, die mit beeindruckender Stimme u. a. „veroperte“ Varianten auf „Pack die Badehose ein“ von Mozart bis Schönberg und den Beatles singt, auch sie natürlich liegend oder stehend in einer Badewanne. Eine ungewöhnliche Art der Kontorsionistik, sehr schnell gearbeitet, präsentiert Marjorie Nantel, die sich auch mit einer Akrobatik am Tuch und mit komischen Einlagen vorstellt. Die Antipodistin Nata Galkina zeigt sehr schöne Passagen beim Werfen von Ringen durch einen großen, auf einem Fuß balancierten Reifen. Florian Zumkehr, Artistenschüler der Staatlichen Fachschule im letzten Ausbildungsjahr, bietet eine Handstandequilibristik. Seine Wanne ist mit Wasser gefüllt, was die Balancen auf dem Wannenrand noch schwieriger macht. Eine ausgezeichnete Jonglerie kommt von den äthiopischen Artisten Adem Endris und Girma Tsehai, einer der beiden jongliert bis zu sieben Bälle zum Boden (er arbeitet auf einer umgestülpten Wanne). Am Trapez gibt es eine Duo-Arbeit von Annika Titze und Sam Alvarez. Seine Solo-Luftdarbietung an Ketten ist dagegen schwächer, er wird – wie nicht anders zu erwarten – dabei von oben mit Wasser berieselt. Der „kleine Mann“, der Seifenblasen-Künstler Hammou, hat eigens eine Hebebühne im Saal erhalten, auf der er seine Rauch- und verschachtelten Seifenblasen zelebrieren kann.
Seit Längerem versucht das Chamäleon, mit eigenen Inszenierungen neue Wege im Varieté zu gehen, und wenn auch die Aussage im Pressematerial, dass hier das Spektrum der artistischen Kunst um bisher nicht gekannte Formen und Ausdrucksweisen erweitert würde, etwas hoch gegriffen ist, dürfte „Soap“ ganz sicher die gelungenste Inszenierung der letzten Zeit sein.
„Rizoma“ war im Wintergarten bis 2. Juni zu sehen, die Produktion hatte bekanntlich im Jahre 2000 in den Hamburger Fliegenden Bauten ihre Premiere. Die Inszenierung blieb unverändert, wenn auch die Akteure um Anatoliy Zalevskiy und Nataliya Vasilyuk (die in Berlin verletzungsbedingt leider nicht arbeiten konnte) bis auf wenige Ausnahmen gewechselt haben. Star des Programms ist zweifellos Rizoma-Gründer Anatoliy Zalevskiy, auf dem 23. Zirkusfestival von Monte Carlo mit dem „Goldenen Clown“ ausgezeichnet, und auch das Duo Iroshnikov gehört zu den Spitzendarbietungen. Eine glückliche Hand hatte der Wintergarten durch die Gastverpflichtung des russischen Clowns Michail Usov, der hier bereits bei „Mikos“ auf der Wintergarten-Bühne stand und mit seinen Reprisen die ansonsten sehr elegische Stimmung aufbricht, die Bühnenbild und Ballett verbreiten. Durch den frühen Termin der Pressevorführung, der jetzt im Wintergarten üblich ist, fehlten zum Pressetermin leider zwei Darbietungen.
„Soap“ im Chamäleon ist bis 19. August auf dem Spielplan, im Wintergarten läuft „Zauber Zauber“, eine „Revue der Wunder“, vom 7. Juni bis 6. Oktober.
Redaktion:D. Winkler
AdNr:1002, AdNr:1069
2007-06-15 | Nr. 55 | Weitere Artikel von: D. Winkler