Mit Serien hat so manche Erfolgskarriere begonnen, und so weitet auch Hannovers beliebtester Magier Desimo seine immer noch ausverkaufteste Reihe der Stadt, den Lindener Spezial Club, allmählich zum kleinen Imperium aus. Zum einen ist der –im wahrsten Sinne des Wortes – bezaubernde Charmeur als Moderator gefragt, lud in Hannovers GOP-Sommer-Club zu einem klasse ausbalancierten Jonglage-Programm und gastiert häufig in Berlin und Hamburg beim Quatsch Comedy Club; zum anderen laufen der Spezial Club und sein Ableger in Braunschweig so gut, dass Desimo aufstockt: Ab Herbst präsentiert er einmal im Monat abendfüllend im Apollo-Kino in Hannover einen der Künstler, die im Spezial-Club-Mix besonders gefeiert wurden. Den Anfang macht im Oktober Gedankenleser Jan Becker, im November meint Bernhard Wolff „Denken hilft“ und spricht vorwärts, vor allem aber rückwärts darüber. Auch der Spezialist, der vom Publikum vergebene Preis des Lindener Spezial Clubs, wird wieder verliehen, ab jetzt aber immer im Januar – um das gesamte Jahr zu würdigen. Kandidaten dafür gab es schon im ersten Halbjahr genug – ob Michael Ehnert aus Hamburg, der „Mein Leben“ auf sehr witzige Punkte brachte, der querdenkende Musiker Sebastian Krämer aus Berlin oder der schräge Körperkünstler Herr Niels aus der Nähe von Hannover: In der brodelnden Atmosphäre des Apollo sind alle noch einmal eine Umdrehung witziger.
Doch auch in anderen Häusern wird oft ausverkauft gelacht. Ein Jahr ist es her, dass Hannover massiv in Serie ging und – neben Desimos monatlichem Spezial-Club – Matthias Brodowy in der Landesbühne Hannover die Samstagabende und Sonntagmorgen mit Kabarett und Comedy zu verschönern begann. Außerdem riefen Fischbrötchen 1 Euro im Enercity-Expo-Café den Blub Blub Club ins Leben. Beide Reihen haben sich bestens gemausert, laufen weiter und mischen sich jetzt auch gerne mal: Brodowy gastiert bei Desimo, Fischbrötchen 1 Euro im November in der Brodowy-Serie. In ihrem neuen Programm „Aloha aus Peru“ treten sie als, naja, nicht wirklich als Peruaner an. Auf jeden Fall haben sie absurde Mützen auf und merkwürdige Decken um, spielen garantiert nicht Panflöte und mokieren sich über das, was ihnen in diesem seltsamen Deutschland so begegnet. Das Richtige für alle, die eine Ader für abgedrehten Humor haben. Und selbst in WM-geplagten Zeiten lief der Blub Blub Club sehr gut, im Juli räumte Ping Piepenbrink aus Köln mächtig Beifall ab mit ihren Songs über „Minigehirnwesen“ oder über die Befindlichkeit eines unterlegenen Groupies in den 70er-Jahren – das immer unten liegt, wenn es mit jemand unterm Schlagzeug liegt, großartig. Sehr lustig und hochinfektiös im Juni die Steptokokken aus Hildesheim, die auch, gerade zur besten WM-Zeit, ihr Solo-Programm im Enercity-Expo-Café präsentierten – von einer schrägen Karius-und-Baktus-Nummer bis hin zu weißbekittelten Unwesen, die mit Spritze ins Publikum zogen. Die Stepeinlagen gekonnt und sparsam dosiert, Sketche mit sehr eigener Note, wilden Kostümen und klasse Gesang – das trägt schon gut ein Abendprogramm, auch wenn der Überraschungseffekt im Gala-Zwanzigminüter stärker greift. Aus Hannover stach im BB-Club im Mai noch Mirco Buchwitz heraus, dessen raumgreifende Schau-Hörspiele mit vollem Körpereinsatz sich zu üblichen Lesungen verhalten wie Vulkanausbrüche zu Lagerfeuern. Am 28. Oktober feiert der Blub Blub Club „Blubiläum“, Einjähriges, unter anderem mit Katharina Tomaschek, der Weltmeisterin im Luftgitarre-Spielen. Und das Publikum darf mitspielen.
Und darin ist Comedy wohl wirklich der Rock’n’Roll der 2010er: Es gibt einerseits eine lebhafte Szene örtlicher Gruppen, andererseits füllen die Stars die Arenen. Atze Schröder oder Michael Mittermeier in der AWD-Hall – da schwallt der Eisnebel, um die große Bühne zu füllen. Wobei es Mittermeier gelingt, den direkten Kontakt mit den Zuschauern zu halten – er reagiert auf jeden Kiekser, der aus dem Rahmen fällt, jeden Zwischenruf, der eine Reaktion wert ist. Und bravourös durchmischt er seine Stand-up mit Politik, ohne dass er sein Publikum auf der Strecke lässt.
Erfreulich auch: Die Kabarett-Bühnen leiden kaum unter diesem zweiten Comedy-Boom. Hannovers erstes Kabarett-Festival vom 15. bis 20. September in der Orangerie beim Großen Garten in Herrenhausen konnte sich schon Monate vorher als Erfolg bezeichnen: Der Vorverkauf lief rasant, Urban Priol und Volker Pispers waren ausverkauft, noch bevor so mancher in der Stadt das Festival überhaupt wahrgenommen hatte. Das schreit nach Wiederholung. Überhaupt war das Jahr in Herrenhausen äußerst erfolgreich, auch die Wintergastspiele, in denen das Kleine Fest im Großen Garten seine Höhepunkte präsentierte, waren überwiegend knüppelvoll; Eure Mütter sowieso. So wird es auch in diesem Jahr ein Varieté-Special vor Weihnachten in der Orangerie geben und über den Winter einige Highlights. Und wenn man die Abstimmung per Pedes beim diesjährigen Kleinen Fest auswertet, müsste einer auf alle Fälle dabei sein: das Theater Rigolo. Denn staunen ist genauso schön wie lachen (siehe Kritik). So gekonnt und ins Ambiente passend alle 31 Acts auch diesmal waren: Die Kombination von Akrobatik und Comedy muss schon um die individuelle Note kämpfen, um nicht in Wiederholung zu erstarren. Da besteigt „The Professional Idiot“ Lee Hayes einmal mehr Getränkekisten und jongliert darauf: Sein Charme macht die Nummer attraktiv. „Get a grip“, Tante Luise und ihr Neffe, alias Robert Schmitz und Ralf Schucht, kitzeln mit ihrer Kuhfell-Handtasche tragenden Tantenfigur noch einiges an Gelächter heraus; Jens Ohle, der auf Hochleiter und Einrad mit Fackeln, Pfannen und Eiern jongliert, zieht im klassischen „Hallo Hannover“-Haudrauf-Komik-Stil Aufmerksamkeit; die Briten Dave Evans und Mat Ricardo lassen als The Married Men das zerbrechliche Porzellan mächtig wirbeln und ziehen die Tischdecke unterm Tafelservice nicht nur weg, sondern auch wieder hin. Und doch fehlt zum Teil ein starkes, individuelles Markenzeichen – nur Akrobatik, die so grandios hochklassig geturnt ist wie von Die Steinis alias Carmen und Michael Steinert am Trapez, kann allein mit lustigen Kostümen und gespielter Tollpatschigkeit begeistern.
In Gedächtnis bleiben könnte Adrian Schvarzstein mit seinem Fahrradbett: Gemütlich richtet er sich mit Hilfe des Publikums eine Art Schlafzimmer ein, lädt sich eine hübsche Zuschauerin unwiderstehlich ins Bett und beginnt, sich auszuziehen ... Und wenn Knäcke, alias Markus Siebert, filmt, gibt’s kein Pardon: Unversehens hat das Publikum Schweizer Fähnchen in der Hand und schwenkt sie zu einer abstrusen Wilhelm-Tell-Parodie. Ein zauberhaftes Bild gab Boul ab (Frederic Zipperlin, mit Anja Krips), der in einer großen Blase, einer durchsichtigen Kugel, auf dem Kunstteich der Fontäne im Garten zur Bühne schwamm. In dem kreisrunden Wasser hatte man außerdem eine echte venezianische Gondel platziert, die mit gehörnten Gestalten im Kreis schipperte: Das Tirza Mol Ensemble schuf mit wenigen Mitteln viel Atmosphäre. Herausragend die Walk-Acts: ein weißer Flügel samt Pianist mit Primaballerina obendrauf rollte klimpernd über die Wege, die großen Giraffen vom Teatro Pavana kauten an der Hecke, der Elefant und sein Zirkusdirektor vom Pas Par Tout sowie die koketten Wilden Früchtchen von Art Tremondo aus Hannover entzückten nicht nur die Kinder.
Ein weiterer Maskenact aus Hannover tritt alljährlich im Garten auf: Das hiesige Scharniertheater präsentiert liebevoll gefertigte Großfiguren (so auch eine Riesenausgabe des Mannes mit dem Zylinder, dem Herrn der Kleinen Feste Harald Böhlmann), nur fehlt den Dialogen jeglicher Schwung. Ein umdrängtes Heimspiel hatte der hannoversche Kabarettist Matthias Brodowy beim Kleinen Fest – wenn er die „Stadt mit Keks“ besingt, geht halt jedem Hannoveraner die Herzklappe auf. Erstmals gastierte auch der in Hannover lebende Ex-Roncalli-Clown Peter Shub im Barockgarten, knipste mit der Mini-Kamera herum, wirbelte mit dem Maßband und frisierte eine Basilikum-Pflanze – die Gags zünden noch, auch wenn sie inzwischen fast jeder kennt. Einen Ex-Kollegen konnte Shub auch begrüßen: Jigalov spielte einmal mehr den hinterlistigen Loser, der gegen Partner Csaba mit der Flöte nicht ankommt.
Die Abräumer schlechthin waren jedoch erneut das Comedy-Chaos-Trio „Eure Mütter“ mit ihrem Synchron-Haarewaschen „mit dreifach geschwungenem Frottee-Zwirbel“, gefolgt von ihrem nicht ganz so schrägen, aber auch lustigen weiblichen Gegenstück Womedy und den beiden grandiosen Geräuschimitatoren Art of Mouth. Von Hip-Hop bis Rock-Gitarrensolo alles nur mit Mund und Mikro – ihr Techno-Beitrag zur Love-Parade ist einsame Spitze! Ein gelungenes Schaulaufen der Outdoor-tauglichen Kleinkunst also wieder, bei dem man sich in Zukunft vielleicht noch eine Hannover-Nachwuchs-Ecke wünschte, wo wechselnde Künstler sich ausprobieren können.
Redaktion: Evelyn Beyer
Langenhagen-Mimuse-Kleinkunstfestival „25 Jahre Jubiläumsshow“
14.10. - Festivalstart mit Matthias Brodowy, Salut Salon, Laura Kibels Fußtheater und Pinguin -Theatersaal Langenhagen
Bis Dezember: Jubiläumsprogramm mit: ROLF MILLER, KAY RAY, ULI MASUTH,
JÜRGEN BECKER, FABERHAFT GUTH, JOHANN KÖNIG,
JESS JOCHIMSEN, SISSI PERLINGER, FLORIAN SCHRÖDER
BODO WARTKE, GANZ SCHÖN FEIST, JENS NEUTAG, DAVID LEUKERT,
LaLeLu, u.a. - Infos www.mimuse.de
Hannover-Lindener Spezialclub
23.10. Jan Becker
27.11. Bernhard Wolff
ab 02. Oktober „Lass es uns tun!“- Desimo-Solo
2006-09-15 | Nr. 52 | Weitere Artikel von: Evelyn Beyer