– vom Politisch-Radikalen zur leichten Unterhaltung
Ein Interview mit Cacahuete
Die französische Straßentheatergruppe Compagnie Cacahuete gastierte vom 28. Juli bis 5. August im Rahmen des Straßentheaterfestivals la Strada in Graz. Pascal Larderet, der Gründer und langjährige Direktor der Gruppe, leitete gemeinsam mit Jossie Lardaret über sechs Tage einen Straßentheaterworkshop. Drei Tage lang erarbeiteten die Teilnehmer/-innen gemeinsame Aktionen, „little forbidden things“, die einen anderen Blick auf den Umgang mit städtischem Raum und gesellschaftlichen Konventionen thematisieren sollten. Anschließend wurde drei Tage lang aufgeführt, Erfahrungen ausgetauscht und diskutiert. Als Direktor und Akteure sind Pascal und Jossie Larderet in dieser Form des Straßentheaters geübt. Seit Beginn der 80er-Jahre gastiert die Gruppe bei allen namhaften Festivals in Europa und darüber hinaus. Sie haben mit die größten Straßentheaterskandale evoziert. Sei es mit den legendären Begräbnisumzügen einer typischen, zerfaserten französischen Großfamilie, dem Blockieren einer Stadt durch das Zusammenketten aller in der Stadt verfügbaren Einkaufswagen, verbunden mit einer theatralen Demo gegen Konsumismus, ihrem Posieren in Schaufenstern – beinahe nackt, dem Flanieren von vier Pastoren Arm in Arm mit Prostituierten, Eis schleckend, oder mit ihrer neuen Produktion „Marktplatz“. Im Rahmen seines Aufenthalts in Graz nutzte Stephan Novak (SN) die Gelegenheit zu einem Interview mit den beiden.
SN: 22 Jahre Straßentheater-Aktionen, was hat sich in diesem Zeitraum alles verändert?
C: Eine Frage, über die es nachzudenken lohnt. Ich begann Ende der 70er/Anfang der 80er mit ganz traditionellen Straßentheater-Shows wie jonglieren, ein bisschen Akrobatik, Singen, Akkordeon etc. Das war die Kunstform. Dann Anfang der 80er gab es drei Gruppen – Dog Troep aus den Niederlanden, Royal de Luxe aus Frankreich und Els Comediants aus Spanien – die eine ganz andere Form des Straßentheaters kreierten. Die machten große bombastische Shows, mit viel Bewegung. Damit entstand eine komplett neue Form des Theaters. Als ich 1978 in Venedig Il’otopie gesehen habe, begann in mir eine Revolution. Ich wollte nicht mehr meine traditionelle Show machen. Ich suchte eine andere Form des theatralen Ausdrucks. Ich war tief beeindruckt. Wir begannen als Gruppe mit invisible theatre. Wir kreierten Unfälle mit Autos, zeigten jemanden, der aus Verzweiflung aus einem Fenster springen wollte, ein Paar, das auf einem Kreisverkehr Urlaub machte, etc. Bereits sehr früh begegneten wir Peter Bu, dem langjährigen Direktor des Mimos Festivals in Perigeux. Ihm gefiel unsere Arbeit und er versorgte uns mit Auftritten durch seine Agentur. Wir spielten damals auf „Humor“-Festivals. Straßentheaterfestivals gab es überhaupt noch nicht. 1985 fand das erste in Aurillac statt. Es waren die Städte, in denen kommunistische Gemeinderäte oder Bürgermeister sehr aktiv nach anderen Kunstformen Ausschau hielten, die damals die ersten Straßentheaterfestivals gründeten. Sie halfen sozusagen dem Straßentheater auf die Beine. Ende der 80er gab es in Frankreich bereits 25 Kompanien.
SN: Konntet ihr damals schon jedes Wochenende spielen?
C: Nein, wir alle hatten damals nicht sehr viel Arbeit. Wir vier konnten nicht davon leben, sondern jeder hatte, damals wie heute, noch andere Theaterprojekte. Ich hatte noch mein Kindertheaterprojekt nebenher. Aber es hat uns unheimlich viel Spaß gemacht. Wir waren politisch hoch motiviert. Es war für uns wie eine Revolte. Unsere Themen waren soziale Probleme, Kapitalismus, etc. Wir fanden eine andere, nichtbürgerliche Theaterform. Raus aus den verstaubten Häusern. Wir waren Anarchisten. Beim Erarbeiten unserer Stücke fragten wir uns immer wieder: „Was interessiert die Leute auf der Straße?“ Wir haben sehr viel in Schlagzeilen gedacht, suchten nach Themen, die zu einem Aufschrei führten. Wir wollten damals wie heute Fragen stellen. Wir wollten und haben niemals Antworten gegeben.
In den 90ern entstand dann eine Produktion mit Duschen im öffentlichen Raum. Die Duschen waren ganz einfach mit Plastikvorhängen verhängt, halbtransparent. Es gab einen Duschwärter und wir sind als normale Menschen, nicht als Schauspieler erkennbar, duschen gegangen. Natürlich hätte jeder andere auch duschen gehen können. Wie sich die Leute darüber begeistert und aufgeregt haben! Manchmal haben wir auch vorher schon Schlagzeilen in die Zeitung gesetzt, wie zum Beispiel, dass das öffentliche Bad kurzfristig geschlossen werden muss, es aber die Möglichkeit zu duschen da und dort geben wird.
SN: Inwiefern haben sich die Bedingungen, unter denen ihr Straßentheater macht, verändert?
C: Kurz gesagt, die Freiheit ist eingeschränkt worden. Der Freiraum, in dem und um den wir arbeiten, wird stetig geringer. Straßentheater ist politisch integriert. Für Städte ist es sehr trendy, Straßentheater zu veranstalten, aber unter restriktiveren Bedingungen. Sie wollen, dass Straßentheater Animation macht, brav und sauber ist, nicht über die Stränge schlägt, alle Regeln berücksichtigt, vielmehr die Idee der Unterhaltung begreift als die der Veränderung. Künstler als Animateure und Kommunikatoren, um Buntheit und Ausgefallenheit zu vermitteln. Die Gruppen richten sich natürlich danach, denn die wollen ja auch überleben, zensieren sich selber, um zu überleben. Und die Direktoren der Festivals verflachen zunehmend das Programm. Das verändert viel.
SN: Es gibt also einen großen Markt, auf dem vieles verboten ist?
C: Und die Verbote sind als solche nicht ausgeschildert oder benannt. Oftmals wird die Sicherheit als Begründung vorgeschoben. Es heißt dann: Macht das nicht, da ist das Sicherheitsrisiko zu groß. Das und das geht so nicht. Bitte haltet nicht den Verkehr auf, da muss die Feuerwehr durch etc. In den 80er-Jahren war vieles mehr spielbar, heute ist der Platz geregelt. Funktionalisiert.
SN:Danke für das Gespräch.
Redaktion: Stephan Novak
Zum Abschluss ein Buchtipp:
Die Arbeit der Compagnie Cacahuete ist seit Kurzem in einem schön gemachten Buch dokumentiert:
Turbo cacahuete, l’aventure scandaleuse. Les editions a Rachid, 2005. 43 €.
Zu empfehlen!
2006-09-15 | Nr. 52 | Weitere Artikel von: Stephan Novak