Eine gängige Frage an junge BerufsartistInnen bezüglich ihrer Ausbildung lautet: „Wo hast Du gelernt?“ Oftmals liefert der oder die Fragesteller/in dann gleich schon mal eine gemutmaßte Antwort mit, die in Deutschland meistens lautet: „Ah, Du warst sicherlich an der „Etage“! oder „...an der staatlichen Artistenschule in Berlin!“ Das läßt darauf schließen, dass diese beiden Ausbildungsstätten zur Zeit die bekanntesten Anlaufstellen für Menschen sind, die Artistik zum Hauptberuf machen wollen. Zur Zeit! Das kann sich ändern, denn es regt und bewegt sich was.
Verschiedene Keimzellen artistischen Schaffens treiben mit ihrer jeweiligen Vision von einer Artistenschule oder –schulung ihre Triebe voran. So verschieden die Beweggründe und Organisationsstrukturen sind, so reichhaltig sind auch die Ideen, Schwerpunkte und Unterrichtskonzepte, die angeboten werden.
Vollzeitausbildung oder berufsbegleitende Ausbildung (vor Allem für ältere QuereinsteigerInnen) - breitgefächerte Grundlagen der Artistik (oft gekoppelt mit einer zirkuspädagogischen Ausbildung) oder Spezialisierung auf einen Schwerpunkt – interdisziplinäre Angebote für Artistik und Theater oder Tanz - ... . Stellvertretend und ohne den Anspruch auf Vollständigkeit seien hier einige Projekte und Programme vorgestellt.
Auf dem Gelände des ehemaligen Riehler Freibades hat sich im September 2001 das Zirkus- und Artistikzentrum Köln, kurz ZAK, niedergelassen. Hervorgegangen ist das ZAK aus dem Zirkus Wibbelstetz, einem Projekt des TPZ (Theaterpädagogisches Zentrum e.V. Köln) So bilden die zirkuspädagogische Arbeit mit Kindern und die Ausbildung von Zirkuspädagogen nach wie vor zwei wichtige Säulen des ZAK. "Wir wollen dort anknüpfen, wo andere Kinder- und Jugendzirkusschulen aufhören!" fasst Björn Hanefeld vom Leitungsteam die Ziele zusammen. Das heißt, den Anfängern einen Einstieg und den Fortgeschrittenen ein Forum für den Wechsel in die Professionalität bieten. Dieser dritte Bereich, die Aus- und Weiterbildung von BerufsartistInnen ist seit 2002 im Aufbau.
In verschiedenen Masterclasses und dem "Summercamp" haben professionelle ArtistInnen die Möglichkeit mit erfahrenen Lehrern wie Mike Wright (Luftartistiklehrer u.a. bei Circomedia in Bristol) oder Sean Gandini und Luke Wilson (Gandini Juggling Project) zu arbeiten. Das eigene Können vertiefen und verfeinern, neue Techniken und Arbeitsansätze kennenlernen und die Arbeit an neuen Acts stehen hier im Mittelpunkt. Das "Summercamp 2003" findet vom 18. August bis 05. September statt. Infos und Anmeldebedingungen sind im Internet zu finden.
Neu ist auch die "Open Stage", die jeweils am 1. Samstag des Monats im großen Zelt des ZAK stattfindet. Hier können professionelle und semiprofessionelle ArtistInnen Ideen und neue Nummern direkt vor Publikum erproben. Infos dazu finden sich ebenfalls im Internet.
Hauptverantwortlich für die konzeptionelle und pädagogische Arbeit des ZAK sind Luise Sorrentino, Björn Hanefeld und Jan Soencken. Ihre jahrelange Auftritts- und Unterrichtserfahrung kommt den TeilnehmerInnen zu Gute. Mit Bedacht und Geduld arbeiten sie am Aufbau des ZAK. Masterclasses und Summercamp sind dabei wichtige Zwischenschritte um die Möglichkeiten und Notwendigkeiten der angestrebten Vollzeitausbildung gewissenhaft auszuloten. Die Vermittlung artistischen Könnens und die Fähigkeit für kreatives, interdisziplinäres Arbeiten durch die Öffnung zu den Bereichen Theater und Tanz sind das angestrebte Ziel der Ausbildung.
Mit dem ehemaligen Riehler Freibad verfügt das ZAK schon mal über die nötige Infrastruktur. Zwei Trainingshallen, so wie zwei Zirkuszelte bieten ganzjährige Traingingsmöglichkeiten. Im Sommer kann zusätzlich das ca.7000 m² große Freigelände genutzt werden. Daneben gibt es noch Werkstätten für Kostüm und Requisite.
Ein weiteres interessantes Projekt existiert seit Mai 2003 in Berlin – die „Jonglierkatakomben“. Gründer und visionärer Kopf ist Alan Blim. Nachdem er bereits seit 1996 in Berlin lebt und arbeitet, war die Gründung eines Zentrums für Jonglage die logische Fortführung der künstlerischen und Unterrichtstätigkeit. Nach längerer Suche und verschiedenen Übergangslösungen eröffnete sich mit den „Katakomben“ in der Kreuzberger Monumentenstrasse Nummer 24 im direkten und übertragenen Sinn des Wortes ein Raum für die Idee einer Arbeits-, Begegnungs- und Unterrichtsstätte für Jongleure.
Von der Strasse aus findet der Besucher nach einer steilen Kellertreppe und mehreren Eisentüren im dunklen Flur überraschend einen hellen, weiten Saal mit einer angenehm ruhigen und konzentrierten Arbeitsatmosphäre.
Die 600m² großen Katakomben bergen eine bewegte Geschichte in sich. Nach ehemals gewerblicher Nutzung (Europas erster hydraulischer Lastenaufzug steht hier geschichtsträchtig und denkmalgeschützt als Symbol für das Alter des Ortes) diente die Halle verschiedenen Kunst- und Theaterprojekten als Heimat. Vor der Renovierung nutzten Filmteams den Ort gerne für Videoclips und Filmaufnahmen im geheimnisvollen Ambiente. Dann folgte eine Zeit als Ausstellungsfläche für Designermöbel, bevor mit Alan Blim die Idee einer Schule für Jongleure Einzug hielt.
Die Grundausbildung dauert von September bis Juli. Alan Blim achtet auf die Entwicklung einer soliden Technik und vermittelt dabei die Freiheit, kreativ und spielerisch damit zu arbeiten. Darüber hinaus werden in Abendkursen, Wochenendworkshops und Masterclasses, die auch für andere Interessenten offen sind, spezielle Jonglierthemen, aber auch Tanz, Akrobatik und Stockkampf gelehrt. Dafür stehen wechselnde Gastdozenten aus dem In- und Ausland zur Verfügung. Im November reist zum Beispiel Ben Beever aus Großbritannien an, vom 18. – 22.8. unterrichtet Alan Blim „Jonglage und Musikalität“ und im Workshop mit Stefan Sing geht es vom 30.7.-3.8. um „Jonglieren, Bewegung und Loslassen“.
Alan Blim bietet seinen Schülern mit diesem Konzept die Möglichkeit, mit erfahrenen Profis in Kontakt zu kommen, von ihnen zu lernen und in einem anspruchsvollen Rahmen an der eigenen künstlerischen Entwicklung zu arbeiten.
Ausser dem Schulbetrieb dienen die Katakomben Jongleuren als Probestätte. Aufgrund der passablen Raumhöhe von 6m finden sich aber auch mehr und mehr Luft- und andere ArtistInnen ein. Die Fläche ist durch Vorhänge in verschieden große Parzellen unterteilbar, so dass sich jeder seinen individuellen Arbeitsraum schaffen kann. Wer will, kann hier 24H am Tag die Möglichkeit nutzen, ungestört zu trainieren und proben.
In dem ersten Jahr ihres Bestehens haben die Jonglierkatakomben schon über die Grenzen hinaus einen guten Ruf erlangt. Durchreisende Artisten nutzen sie zum Training, Andere kommen aus dem In- und Ausland extra hier her um zu proben. Dieser Ort hat das Zeug, sich zu einer Institution zu mausern.
Das ZAK und die Katakomben sind vielversprechende Beispiele für die Entwicklung in der Ausbildung von ArtistInnen. An dieser Stelle wird auch zukünftig in loser Folge über solche Projekte berichtet werden. Internetadressen der im Artikel erwähnten und einiger andere Einrichtungen finden sich im Extrakasten.
Redaktion: Philipp Schaefer
Internet-Adressen:
· Jonglierkatakomben Berlin www.jonglierkatakomben.de
· Zirkus- und Artistikzentrum Köln. www.zak-koeln.com
· Artistik Dance Company www.Artistik-Dance.de
· DIE ETAGE Schule für die darstellenden Künste e.V.
www.dieetage.de
· Staatliche Ballettschule Berlin und
Schule für Artistik www.home.t-online.de/home/sbb.sfa.cids
AdNr:1093
2003-06-15 | Nr. 39 | Weitere Artikel von: Philipp Schaefer