"Es liegt in der Luft was Idiotisches" so charakterisierte 1928 Marcellus Schiffer in einem Chanson seine Zeit. Sein langjähriger Partner Mischa Spoliansky schrieb die Musik dazu und seine Frau Margo Lion hat es gesungen. Frische und Leichtigkeit im Stil und dezente Zeitkritik waren sein Markenzeichen. Schiffer, geboren 1882, war daher einer der bedeutendsten Texter für Kabarett und Revuen seiner Zeit, aber er hat auch gezeichnet oder Erzählungen, z.B. für die Weltbühne, geschrieben. 1932 hat er sich überraschend (?) das Leben genommen. Sein Leben, seine Arbeit, seine Tagebücher und seine Zeichnungen werden von Viktor Rotthaler vorgestellt: Heute nacht oder nie (Weidle Verlag ISBN 3-931135-69-1, 248 S, 23 €). Umfangreich recherchiert und liebevoll ediert zeichnet der Band ein lebendiges Porträt dieses vielseitigen Künstlers. Der Zusammenarbeit, die Egoismen und die Eifersüchteleien dieser Berliner Kabarett- und Revueszene werden angesprochen, die Anstrengungen und die Erfolge der Arbeit , der zunehmende Antisemitismus Anfang der Dreißiger und die intensive und schwierige Beziehung zu Margo Lion sind in dem Buch zu finden. Dieses Buch holt einen Mann zurück in die Öffentlichkeit, der einen bedeutenden Anteil an dem hat was man die goldenen zwanziger Jahre nennt.
Im weißen Rößl am Wolfgangsee, da lebt man heute noch von Ralph Benatzky, dem Komponisten dieser weltbekannten Operette. Inge Jens und Christiane Niklew haben Auszüge seiner Tagebücher (von 1919 bis 1946) herausgegeben, aus denen Triumph und Tristesse (Parthas Verlag / ISBN 3932529-43-0; 29,80 €) eines großen Künstlers hervorgehen. Er war Doktor der Philosophie, konnte mehrere Sprachen, dichtete, musizierte und komponierte – er war äußerst vielseitig begabt. Geboren wurde er 1884 in Mähren und gestorben ist er 1957 in Zürich, nach einer langen Odyssee als amerikanischer Staatsbürger. Aus seinen Tagebüchern wurden die ausschließlich privaten Stellen über seine Ehen, die letzten von Depressionen gekennzeichneten Jahre sowie langwierige Budget-Erörterungen und langatmige Kommentare weggelassen. Er erkannte sehr früh die barbarische Gefahr, die von den Nazis ausging, sein Selbstbewußtsein bezüglich seiner künstlerischen Leistung (auch im Vergleich zu anderen) war ausgeprägt, sein Verständnis für neuere Musikstile war begrenzt, seine, politisch bedingte, Entwurzelung war die große Tragik seines Lebens. Er wurde nicht von den Nazis verfolgt, aber er verabscheute sie und er versuchte vergeblich in den USA Fuß zu fassen. Es ist ergreifend, wie ein Mann mit diesen Talenten in seiner Zeit zerrieben wurde und heute fast vergessen ist.
Friedrich Hollaender ist ein anderer Großer dieser Jahre, dessen Leben und Werk aber stärker im allgemeinen Bewußtsein verankert ist. Die Ausgabe 33/34 des Magazins für Literatur & Politik "Juni", hat sich als Sonderband unter dem Titel Literatur zum Gebrauch: Hollaender und andere (Weidler Buchverlag; ISBN 3-89693-182-2; 289 S, 29,00 €) mit eher unbekannteren Facetten Hollaenders beschäftigt. Sie veröffentlicht eine Reihe von ironischen, kritischen und unterhaltenden Gedichten und Beiträgen, die er für Zeitungen verfaßte. Der Band enthält zudem u.a. Artikel über Kurt Schwitters, Thomas Mann und Paul Abraham.
Habn Sie 'ne Ahnung von Berlin! (Parthas Verlag ISBN 3-932529-44-8; 272 S, 29,80 € + 1 CD; 15 Tracks, 50.25 min) stellte Otto Reutter schon vor Jahrzehnten fest. Seine außergewöhnlichen Couplets (er war natürlich kein echter Berliner) gehören bis heute zum festen Repertoire der Kleinkunstbühnen. 71 Texte, einen Lebenslauf und eine CD hat Helga Hennemann in diesem Buch vereinigt, ein kompakter Otto Reutter zum Lesen und Hören.
Inge Lammel war von 1954 bis 1985 Leiterin des Arbeiterliedarchivs der Akademie der Künste der DDR und ist daher wie kaum eine zweite mit einem Forschungsgegenstand vertraut, für den im Westen der Republik kaum das Wort geläufig war: Arbeiterlied – Arbeitergesang (Hentrich & Hentrich ISBN 3-933471-35-4; 319 S, 23,00 €). Aufsätze und Vorträge von ihr aus über 40 Jahren Forschung sind in dem Band versammelt. Von der Händel– und Beethoven-Rezeption, bis zur Erforschung einzelner Liedtradition, wie z.B. der Internationale reichen die Beiträge. Von zeit- und einstellungsbedingten Schwächen abgesehen füllt dieses Buch eine Lücke in der Volksliedforschung.
Der Faszination Clown (Patmos ISBN 3-491-69067-6; 236 S, 11,95 €) sind schon viele Menschen erlegen, Annette Fried und Joachim Keller suchen die Gründe dafür. Ein interessantes Thema – doch das Buch leidet an seiner fehlenden Systematik. Vorne benutzte Typisierungen werden erst später erklärt, die Bilder dienen nicht der Verdeutlichung des Textes, was hilfreich gewesen wäre und einigen inhaltlichen Bewertungen möchte man nicht unbedingt folgen (z.B. beim Thema Tarot), manches fehlt (z.B. F.J.Bogner). Doch das Buch liefert trotz dieser Schwächen einen Einstieg in das Verständnis dafür, warum lachen die Menschen eigentlich über Clowns.
2003-06-15 | Nr. 39 |