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    Vagabunden und Klabautermänner

    Fremd (WortArt 4920 / ISBN 978-3-86604-920-8; 18 Tracks, 71:42 Min., live) geht der Wiener Alfred Dorfer bei seinen Auftritten in Deutschland. Mit spöttischer Frechheit stichelt der Ösi die Krauts, und mit Tempo und intelligentem Witz gelingt es ihm, dass die das auch noch gut finden. Zur guten Stimmung tragen auch die Herren Herrmann, Paal und Scherpe aus seiner Band bei. Von der Revolution bis zu Tomaten, von Seelenwanderung bis zur Pisastudie und von der Mayflower über die casta diva bis zum 11. September geht die abendliche Reise. Ein Parcoursritt voller Anspielungen, Unverschämtheiten, sprachlicher Spielereien, Themenwechsel, Inkohärenz, Provokationen, dass es einfach eine Freude ist, ihm bei seinen Gedankensprüngen zu folgen.

    Die Verwilderung (conanima CA 26575 / ISBN 978-3-931265-75-5; 23 Tracks, 76:57 Min., live) tut dem alten Phrasenmäher Frank Lüdecke richtig gut. Als eher etwas spröder Typ läuft er in seinem neuen Programm zu richtiger Höchstform auf. Kritisch, spritzig, spitzig kommentiert er die aktuelle Lage im Land. Sollte man nicht besser aus Ostdeutschland, angesichts des Frauenmangels und des Bevölkerungsschwunds dort, ein umzäuntes Verwilderungsbiotop machen? Mit wilden Bären, das als Knutland touristisch zu vermarkten wäre? Gibt es einen Zusammenhang zwischen Globalisierung, Mindestlohn und polnischen Pflegekräften? Hintersinnig und klug werden Wirklichkeit und Widersprüche dem Publikum um die Ohren gehauen. Sein bestes Programm seit Langem.

    Na ja, einer muss dann halt Der allerletzte Held (WortArt 4919 / ISBN 978-3-86604-919-2, 21 Tracks, 77:34 Min., live) sein, und der Münchener Helmuth Schleich ist bereit, sich tapfer dieser schweren Aufgabe zu stellen. In verschiedenen Rollen irrlichtert er sich durch die schwierige Fragestellung: Wer oder was ist eigentlich ein Held? Hartmut Schlauch, seine Hauptfigur, ist Heldensammler und hat sich gerade am Heldendenkmal 1914/18 über eBay mit einem Händler verabredet. Während seiner Wartezeit treten die verschiedensten Helden auf, von Heiligen bis F. J. Strauß. So arbeitet er sich durch das Thema und kommt am Ende sogar zu einem Ergebnis. Zu welchem? Hören Sie selbst!

    Mit dem Heldenmut ist es bei Horst Evers nicht so weit her. Er findet stattdessen, dass Schwitzen ist, wenn Muskeln weinen (WortArt 4921 / ISBN 978-3-86604-921-5; 22 Tracks, 77:00 Min., live). Die Widrigkeiten des Lebens und die eigenen Unzulänglichkeiten sind die Sujets seiner schrulligen Geschichten. Mit Humor und einem gewissen Fatalismus ergibt er sich ins Schicksal, verirrt sich in seinen Spinnereien und lebt am Ende ganz entspannt damit, dass die ganze Welt oder finstere Mächte sich hinterlistig gegen ihn verschworen haben. Irgendwas ist irgendwie immer, lautet sein Credo, das er in seinen wunderbaren Geschichten stets neu belegt. Ob gestohlenes Fahrrad oder andere verschwundene Sachen, die eigene Tochter, Bursitis oder das Wachwerden am späten Morgen – irgendwas (zu lachen) ist immer.

    Stellenweise recht behäbig geht es zu bei Jochen Busse und Henning Venske, wie der Programmtitel Legende trifft Urgestein (WortArt 4867 / ISBN 978-3-86604-867-6; 13 Tracks, 64:14 Min., live) schon erahnen lässt. Die zwei sind so ausgebuffte Profis, dass sie oft mit reichlich vordergründigen Gags die Lacher des Publikums erzielen, zum Beispiel mit dem über die immer etwas zu eng sitzende Jacke der Bundeskanzlerin. Aber dann gibt es auch wieder Programmteile, in denen die beiden Position beziehen, was heute auch im politischen Kabarett selten geworden ist. Meistens werden nur unverbindliche Witze gemacht, es wird sich lustig gemacht über etwas, gerne über „die Politiker“, aber Haltung zu zeigen, das ist schon seltener. Die 68er-Schelte zum Beispiel, die gerade in diesem Jahr durch die Medien ging, wird von ihnen deutlich zurückgewiesen. Zwei alte Hasen, die auf die Siebzig zugehen und zusammen fast hundert Jahre Kabarett- und Bühnenerfahrung der unterschiedlichsten Art verkörpern, zeigen mal wieder, was sie so draufhaben. Für die musikalischen Intermezzi sorgt am Akkordeon Frank „Ivan“ Grischek.

    Ein Glück, Weihnachten ist vorbei und die fünfte Jahreszeit nähert sich. Wenn sie in dieser um ein paar Stimmungsmacher, ein paar deftige Karnevalslieder verlegen sind, sei ihnen der Pfälzer Ramon Chormann am Klavier lustig empfohlen. Ja, gewiss nur ein Pfälzer, aber selbst in Meenz, Dusseldorf oder gar in Colonia lässt es sich, nach leichter, dialektbedingter, phonetischer Anpassung, gut bei ihm mitsingen und mitschunkeln. Auch sonst mag es der Hausmacher (s4-music / S4-CD-014; 13 Tracks, 48:31 Min., Texte, z. T. live) deftig, bei Kees und der Worscht beispielsweise, ob Lewwer-, Brot- oder Blut-, Hausmacherkost eben. Mit dieser CD lernt man zudem etwas über Sprache und Gebräuche in der (West-)Pfalz, einer eher unbeachteten Region in Deutschland, die außerdem dank zahlreicher, oberlangweiliger Ministerpräsidenten nicht gerade hervorragend beleumdet ist. Aber im Ernst, dieser Pfälzer im feinen Zwirn bessert ohne Zweifel die Stimmung und den Ruf der Region deutlich auf.

    Mensch, da isser ja wieder! Lothar Lechleiter alias Black hat sich nach vielen Jahren wieder einmal zu Wort und Lied gemeldet. Das Duo Schobert & Black sorgte einstens mit intelligenten Blödelsongs für Furore, und man kann sich heute kaum noch vorstellen, wie befreiend dieser Humor vor über vierzig Jahren wirkte. Mit neuen Liedern, die viel direkter und trotz ihres Witzes ernsthafter und politischer sind als die früheren, knüpft Lechleiter nach über 20 Jahren wieder an seine alte Laufbahn an. Die Texte sind überwiegend von Pit Klein, einem alten Kumpanen aus frühen Liedermacherjahren, aber auch von Eckart Hachfeld, dessen Sohn Volker Ludwig und von Carl Michael Bellmann (das Notabene in Deutsch und Kölsch). Meschugge (Conträr 58 / ISBN 978-3-932219-81-8; 14 Tracks, 52:14 Min., Texte) lautet kurz und knapp ihre Zustandsbeschreibung der heutigen Welt. Ungewohnt politische Töne, die über Neoliberalismus, falschen Patriotismus, Kriegstreiber oder über die geplante Dresdener Elbbrücke zu hören sind, ein Schwarzer ist der neue Black gewiss nicht.

    Da wir gerade bei Carl Michael Bellmann waren: Es gibt die Neuauflage einer Aufnahme seiner Lieder und Episteln von 1987 auf CD zu vermelden. Die kunstvollen Sauflieder Bellmanns kann man von derb-kräftig bis lyrisch interpretieren, Hans Erich Halberstadt aus Kaiserslautern bringt naturgemäß eine sehr dem gehobenen Kunstlied zugewandte Form zu Gehör. Drum lache, saufe, liebe (Preciosa Aulos / Pre 66007 Aul; 19 Tracks, 60:53 Min.) „bis zum Grabe“, wie es im Notabene (Lied Nr. 65) heißt; so verlief das Leben des spätbarocken schwedischen Dichters und Lebemannes. Schön, manchmal fast zu schön, sind die Stimme dieses lyrischen Tenors und die zarte Begleitung Roland M. Höbels für diese Lieder über Feste, das Saufen und die Mädels. Auch die Übersetzungen sind manchmal etwas gestelzt. Aber ein wahrer Genuss ist die CD über Cajsa Stina, Vater Berg, Vater Mollberg, Ulla Windblad, Movitz und Fredman allemal, und manche Melodie hat man noch Tage später im Ohr.

    Der Kuckuck ist ein scheues Reh (Contra Punkt / ISBN 978-3-9809108-7-3; 41 Tracks, 61:05 Min.) behauptet Frank Suchland mit seinen schrägen Gedichten für heitere Stunden. Kästner, Gernhardt, Morgenstern, Busch, Heinz Erhardt oder Eugen Roth, sie alle haben Witziges und Kluges gedichtet und damit der romantischen und pathetischen Lyrik ein eigenes Genre zur Seite gestellt. Frank Suchland hat jeweils einige Gedichte thematisch zusammengefasst und Stephan Winkelhake hat die Themen mit Klavierkompositionen getrennt. Die Kellermaus, die Ameisen und der Werwolf, der Taugenichts, die Null-Diät und der Streik, die Nostalgie auf Schienen, das Liebeslied eines Arztes und der Schauspieler – Perlen des Humors.

    Noch netter wirken diese Gedichte, wenn Frank Suchland sie live präsentiert. Die Reaktionen des Publikums und die Dialoge mit ihm, in solch lockerer Atmosphäre ist die Wirkung noch direkter. Lürick live (Contra Punkt / ISBN 978-3-9809108-8-0; 33 Tracks, 56:41 Min.) ist eben doch am schönsten, hier kann er so ’n Quatsch am besten loslassen. Zwei sehr vergnügliche Scheiben.

    Der alte Rattle Achim Reichel präsentiert in rockig-moderner Form Michels Gold (Tangram 912642; 12 Tracks, 44:21 Min., Texte). Er hat sich ja schon in mehreren Projekten alter Gedichte, Balladen und Lieder angenommen und sie in seiner ganz eigenen Art wiedergegeben. Seine rauchige Stimme gibt diesen Texten so einen bestimmten Pep, gewisse Textmodifikationen und die fetzigen Arrangements machen sie zum Pop. Aus dem Ännchen wird das Mädchen von Tharau und Mariechens Blues saß früher weinend im Garten. Das ist schon schmissig und spannend und wenn man die Lieder kennt, dann mag man sich auch gerne mit diesen Songs anfreunden und sie mitsingen. Auffällig allerdings ist, dass sein Volksliedverständnis recht traditionell ist, kritische Volkslieder kommen bei ihm leider nicht vor. Das ist eigentlich schade, weil er dadurch zwar formal, aber nicht inhaltlich neue Impulse gibt. Kein schöner Land halt weit und breit. Da waren andere schon weiter (draußen).

    Erdig und bodenständig, weitschweifend und weltoffen und städtisch und ländlich sind die Bluessongs von dem, den sie WILLY MICHL nennen (Trikont US-0379; 15 Tracks, 69:12 Min.). Als bayerischer Isarindianer und deutschsprachige Blueslegende gibt ihm der Dialekt eine Ausdrucksmöglichkeit, die das Hochdeutsche nicht brächte. Lange war es ruhig um ihn, jetzt kann man ihn wieder erleben. Lieder, die ins Leben greifen, vor allem aus den Siebzigern, sind auf der Compilation-CD zu hören. Ein auch heute noch spannendes Wiederhören.

    Die ersten Hits von Rolf Zacher sind ihnen gar nicht in Erinnerung? Macht nix, dann hören sie sich eben seine latest Hits (WortArt 8211 / ISBN 978-3-941082-11-3; 13 Tracks, 51:31 Min., Texte) an. Raubein, Schwerenöter und Lebemann, so präsentiert sich der singende Schauspieler mit seinen Liedern, die er vor allem Martin Bechler zu verdanken hat. Mit verr(a)uchtem, schnoddrigem Berliner Slang zeigt er genau diese Lässigkeit eines Rockers, der schon in vielen Dreckecken mit schwerem Kopf aufgewacht ist. Ein bisschen Altersweisheit, ein wenig abgebrüht, sentimental und frech, eitel und rotzig, so singt und spricht er über die Stadt und die Nächte, die Sehnsüchte und Enttäuschungen, die Kumpels und den Suff – und das alles hat schon was. Ob sie denn gleich Hits sind, weiß ich nicht, auf jeden Fall aber sind sie kein Shit.

    Zwei kleine, aber feine 8-cm-Scheibchen hat Alix Dudel aufgenommen, eine wunderbare und sehr ausdrucksstarke Chansonsängerin aus dem Umfeld des Dichters und Unikums Friedhelm Kändler aus Hannover. Sie weiß Kändlers wortverspielte und intelligent-witzige Texte sehr überzeugend umzusetzen. Mit Samt auf der Haut und in der Stimme trägt sie ihre Lieder vor und begeistert durch ihre Bandbreite. Sie haucht, sie schnurrt, sie schmeichelt, sie ist schnodderig, lieblich oder sentimental und nachdenklich, also immer gut. 7 Lieder (www.alixdudel.de; 7 Tracks, 22:29 Min., Klappkarte) singt sie von Kreisler, Kändler, Hollaender und Günter Neumann, mit Peter Müller am Flügel und Im Tigerpalast (www.alixdudel.de: 7 Tracks, 22:29 Min., Klappkarte) brilliert sie mit Kändler-Titeln in Begleitung des Tigerpalast-Orchesters. Im Frankfurter Varieté Tigerpalast tritt die Dudel öfter auf, aber auch im schnuckelig berühmten Kanapee in Hannover ist sie zu sehen. Die beiden kleinen musikalischen Appetizer sind eine gute Einstimmung für den Besuch ihrer Auftritte.

    Politische Liedermacher gibt es heute nicht mehr viele. Kai Degenhardt, Sohn und Partner von Väterchen Franz, ist einer von ihnen und einer der besten zudem. Zu den Liedern seines Vaters stellt er immer wieder Bezüge und Parallelen her und hat trotzdem seinen ganz eigenen Stil entwickelt. Die Zeit schreit eigentlich nach politischer Auseinandersetzung, warum nicht auch in der Kultur und in Liedern? Er schildert in seinen Liedern nuancenreich Typen, Szenen und die Atmosphäre der neoliberalen kapitalistischen Gesellschaft, inklusive der Zyniker, Aufsteiger und Verlierer. Weiter draußen (Plattenbau 08016; 18 Tracks, 69:03 Min., Texte) sitzt der fahrende Sänger, beobachtet das Geschehen, macht seinen Protestsongscheiß und möchte mit keinem tauschen. Ein Ausflug ins Jahr 1476 nach Niklashausen belegt: die Geschichte bewegt sich; Aufstände, Niederlagen und Revolutionen haben immer wieder die Welt verändert. Seine klugen Texte und seine eingängige und zurückhaltende Melodieführung machen die CD zu einem Hörvergnügen für Ohr und Hirn.

    Der Ex-Zupfgeigenhansel Thomas Friz & Pankraz (Conträr 57 / Inigo; 16 Tracks, 58:25 Min., Texte und Infos), eine Folkgruppe, haben ein optisch und musikalisch wunderschönes Album mit versunkenen Schätzen herausgegeben. Texte von Mascha Kaléko, Theodor Kramer, Walter Mehring, Volker von Törne, Tucholsky, Kästner und anderen lieferten die Vorlagen für ihre Lieder. Liebeslieder, melancholisch und voller Schwermut, Lieder, die die düstere Zeit von Faschismus und Krieg beklagen, bringen sie gefühlvoll zu Gehör. Trauer über die in den Tod getriebenen deutschen Dichter, aber auch der Widerstand bilden den inhaltlichen Rahmen dieses Albums. Wie sie diese Lyrik in Musik und Gesang umgesetzt haben, ist verdienstvoll. Einfühlsame, melodische und anspruchsvolle Lyrik, eine Hörbuch-Chanson-CD für Freunde des Besonderen.

    Kennen sie Henriette Haill? Nein? Das wundert kaum. Sie war eine Linzer Dichterin, deren Name und Gedichte heute fast vergessen sind, und nur einer kleiner Kreis Interessierter hat ein Andenken an sie bewahrt. Als Frau und Kommunistin, geboren 1904, hat sie einige Gedichte über das Leben einfacher Menschen geschrieben, die am Rand der Gesellschaft, auf der Straße leben. Arm, aber selbstbewusst, ohne Illusionen, aber nicht verbittert, trotz allem lebensfroh, so schildert sie diese Menschen. Straßenballade (Matrosenblau 01/ Indigo; 17 Tracks, 42:00 Min., Texte) heißt drum auch die CD von Hans-Eckardt Wenzel, der die Dichterin bei einem Aufenthalt in der Wachau kennenlernte und ihr ein kongeniales musikalisches Denkmal setzte. Lieder aus dem Leben, von Wenzel als Balladen vertont und gesungen, geben ein Zeugnis vergangener Zeiten und sind doch in ihrer Menschlichkeit zeitlos.

    Isabel Neuenfeldt hat von Erich Mühsam – Gedichte (www.isaneu.de; 16 Tracks, 33:16 Min., Texte) vertont und gesungen. Der Schriftsteller, Anarchist und Aktivist der Münchener Räterepublik wurde 1934 im KZ Oranienburg von den Nazis ermordet. Dass eine junge Frau mit französischem Akkordeon sich der Texte von Mühsam annimmt, ist ja ungewöhnlich genug, und dass sie dabei ihren ganz eigenen Ton findet, ebenfalls. Satirisches wie der Revoluzzer oder Anarchisterich, Nachdenkliches wie der Leitsatz oder das Requiem, und Kämpferisches wie der Bonzenblues oder das Soldatenlied – die CD vereint unterschiedlichste Texte von 1902 bis 1930. Eine bemerkenswerte Aufnahme und eine interessante Entdeckung.

    Der Schriftsteller Ernst Toller hat ebenfalls an der Münchener Räterepublik mitgewirkt und konnte 1933 gerade noch vor den Nazis in die USA emigrieren. Er war noch als Freiwilliger 1914 begeistert in den Krieg gezogen und wandelte sich angesichts des Erlebten zum überzeugten Pazifisten. Sein 1933 erschienener autobiographischer Bericht Eine Jugend in Deutschland (der Hörverlag ISBN 978-3-86717-300-1; 3 CDs, ca. 171 Min., Infos) ist für den Bayrischen Rundfunk zu einem Hörspiel umgearbeitet worden. Es ist ein Abbild des frühen zwanzigsten Jahrhunderts, mit Krieg, Revolution, politischem Kampf, einer Vielzahl kleiner erhellender Details und vielen klugen und persönlichen Reflexionen, die bis heute Bestand haben. Das Buch wurde auf die drei CDs „Jugend“, „Revolution“ und „Gefängnis“ aufgeteilt, Steven Scharf spricht den Ernst Toller. Eine spannende Biografie, eine erhellende Lektion in Literatur und Geschichte.

    Der Name Alfred Henschke sagt Ihnen jetzt wahrscheinlich weniger etwas, sein Künstlername Klabund (eine Zusammenziehung von Klabautermann und Vagabund) ist Ihnen dagegen vielleicht geläufiger. Klabund verfasste in seinem kurzen Leben (er starb1928 im 38. Lebensjahr) zahlreiche Chansontexte, Geschichten und Romane, aber auch Nachdichtungen und literaturgeschichtliche Abhandlungen. Gleichwohl ist der einst so hochgelobte Künstler heute nur wenigen bekannt. Das sollte sich ändern, befand Volker Kühn, und hat eine Zusammenstellung von Liedern, Gedichten und Prosa unter dem Titel: Klabunterbunt (edel kultur 0014682BCB; 2 CDs, 24 Tracks, 52:29 Min.+ 19 Tracks, 66:59 Min., Infos) herausgebracht. Die erste CD versammelt Chansons und Lieder (z. B. aus der Harfenjule), mit so hervorragenden Interpreten wie Ernst Busch, Kate Kühl oder Hanne Wieder und mit Kompositionen von Heymann, Hollaender, Benatzky oder Hanns Eisler. Gedichte und Prosa sind auf der zweiten CD vertreten, gesprochen von Barbara Schnitzler, Katherina Lange, Holger Daemgen und Matthias Günther. Eine verdienstvolle Zusammenstellung, die diesen fast vergessenen Autor wieder präsentiert.

    Andreas Dietrich liest Erotische Erzählungen (Komplett-Media / ISBN 978-3-8312-6149-9; 7 Tracks, 72:41 Min.) von Klabund, aber keine falsche Scheu, die Geschichten sind ohne Alterseinschränkungen freigegeben. Vergnügliche Geschichten über ältliche Lehrer, betrogene Ehemänner, falsch verstandene Liebe oder über eine sehr an- und ausziehende, aber auch sehr ansteckende Partisanin. Sieben Geschichten über Sex (im weitesten Sinne).

    Wer hätte das gedacht, dass es dergleichen gibt: Eine CD mit nur einem Gedicht, in diesem Falle: Wir im Welteninnen (www.muenchnerfruehling.de; 1 Track, 0:28 Min., Text) von Klabund, gelesen von Christian Ruzicska. „Einmaleingedicht“ heißt die Reihe dieser kleinen Mitbringseledition, für alle möglichen Ge- und Verlegenheiten.

    Rudolf Nelson war über Jahrzehnte ein Urgestein der Berliner Kabarettbühnen, der unzählige Couplets und Chansons komponierte, Tanzmusik und Revuen entwarf, Talente entdeckte, dirigierte und selbst am Klavier begleitete. Er war ein Meister der leichten Muse, hielt stets die Augen nach neuen Trends offen und unterhielt sein (gehobenes) Publikum leichthin. Vor den Nazis floh er rechtzeitig, kehrte nach dem Krieg nach Berlin zurück und schrieb und komponierte weiter. Viele seiner Interpreten mussten ebenfalls vor den Nazis fliehen oder wurden verfolgt und ermordet. Echte Berliner Nächte (duo-phon 05643; 23 Tracks, 68:02 Min., Infos) waren mit ihm zu erleben, die Weintraubs, das Odeon Tanz-Orchester, Paul Godwin und andere begleiten ihn mit ihren Musikern dabei. Die CD präsentiert einen Querschnitt durch die Revuen der späten 20er- und frühen 30er-Jahre, mit einem informativen Vorwort von Volker Kühn.

    Der aufkommende Tonfilm Ende der 20er erzeugte einen großen Bedarf an heiterer Filmmusik, was für viele eine große Chance war, zumal als 1933 zahlreiche Künstler das Land verlassen mussten. Einer der bedeutendsten Filmkomponisten dieser Jahre war bis in die 60er-Jahre hinein Franz Grothe, dessen Liebeslieder und heitere Songs Ernst Busch, Lilian Harvey, Lizzy Waldmüller, Johannes Heesters, Greta Keller, Martha Eggerth, Margo Lion oder Zarah Leander sangen. Tja, In der Nacht ist der Mensch nicht gern alleine (duo-phon 05663; 23 Tracks, 69:49 Min., Infos), hier in einer raren, aber raffinierte(re)n Version von (seiner Frau) Kirsten Heiberg zu hören. An fast 170 Filmen hat Grothe mitgewirkt, und geradezu typisch für seinen Eifer ist, dass er 1982 am Pult bei einer Orchesteraufnahme zusammengebrochen ist und kurz darauf starb. Historische Aufnahmen von 1929–1953 vereint die CD, von denen man viele mitsummen kann.

    Eines der erfolgreichsten und erstaunlichsten Lieder der Musikgeschichte war und ist: Wie einst Lili Marleen (Bear Family BCD 16072 CH; 3 CDs, 87 Tracks, 4:18 h, ausführliche Infos). Ein eigentlich unscheinbares Lied, anfangs auch unbeachtet, erreicht über einen Soldatensender in Belgrad die Menschen über Grenzen und Fronten hinweg und ist bis heute eine Legende. Auch Liese-Lotte Helene Berta Bunnenberg alias Lale Andersen wurde durch dieses Lied zur Legende, an der sie allerdings nach Kräften mitgewirkt hat. Sie hatte eine bewegte und nicht eben einfache und gerade Vita und fand schließlich einen Stil, den sie bis zu ihrem Tode 1972 beibehalten sollte: die kühle Blonde aus dem Norden. Hafen- und Seemannsromantik und die Sehnsucht nach der Ferne bestimmten ihre Lieder, bis in den Kitsch hinein. Die Aufnahmen von 1935 bis 1953 sind eine einzige Widerspiegelung dieser deutschen Träume, und dazwischen hört man immer wieder die Lilli Marleen.
    2008-12-15 | Nr. 61 |





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