Die schlechteste Nachricht zuerst: Hamburg ist um eine seiner raren Kabarett-Institutionen ärmer. Nach 27 Jahren hat Marthe Friedrichs ihr Eppendorfer "Mon Marthe" geschlossen - denn "es ist offenbar ein Problem, Kabarett im kleinen, authentischen Rahmen zu verkaufen." Was einst als Musikclub "Truck-Stop" begann, hat Gäste wie Martin Buchholz, Dietrich Kittner, Lilo Wanders und viele junge Talente erlebt. Baumängel und null Subventionen sind ebenso Gründe für das Aus wie seit 1994 die nahe Konkurrenz durch Alma Hoppes Lustspielhaus, dessen Impressarios Jan-Peter Petersen und Nils Loenicker bei Friedrichs angefangen hatten. Auf dem stimmungsvollen Abschiedsfest huldigten u.a. noch einmal der legendären Chefin: Die Zuckerschweine mit ihrem Improvisationen, Bernd Vogel mit aktuellem Heimatabend, Kalla Wefel mit seinen "Ansichten eines Klons", Anti-Zauberer Max Fingerhut. Und mit Herz moderierte Helga Siebert.
Über Defizit an ureigenem Kabarett in der Hansestadt stöhnt denn auch Ulrich Waller. Der Kammerspiele-Intendant und Leiter des Hamburger Kabarett-Festivals hatte deshalb schon mal einen entsprechenden Studiengang angeregt. Für seinen alljährlichen satirischen Jahresrückblick "Videothek des Schreckens" (früher: "Heimatabend") im Dritten Fernseh-Programm, ein auf St. Pauli angesiedeltes Volkstheater mit Kult-Charakter, benötigte der Regisseur Waller auch 2001 wieder Kabarett-Könner - und griff auf die auswärtigen Asse Horst Schroth und Matthias Beltz zurück. Er wolle eben allererste Sahne, und die käme in Hamburg kaum vor, sagte Waller zu "Trottoir" - ließ dabei aber Ausnahmen wie das Bader-Ehnert-Kommando gelten.
Doch keimt auch Kabarett-Hoffnung: Als prolliger Straßen-Heizer, der gegen "Tempo-Nazis" wettert, die "immer nur 50 fahren", präsentierte sich Gunther Marks in der Bahrenfelder Recycle-Bar. Und hatte wie stets zwei Gäste: Stefan Schwidder, lustvoller Erzähler makabrer Geschichten und Gedichte, sowie Bernd Schrubka, charmanter Sänger schrecklicher Lieder ("Tote Lippen muss ich küssen"). Seit Februar 2000 lädt der 35-jährige Germanist Marks (Solo: "Mehrfach geleimt") Nachwuchs-Kollegen und bekannte Namen sowie seine wachsende Fan-Schar zur "Gaga-Show" mit surrealem Kabarett. Im malerischen Werkstattgebäude des Vereins Nutzmüll gelingt ihm bereits eine eigene Atmosphäre mild subversiver Kreativität - jeden zweiten Freitag im Monat. (www.gmarks.de)
Und nun ein paar Premieren-Impressionen:
Sie räkelt sich auf dem Flügel, rennt herum, redet mit Händen und Füßen: Sprunghaft wie ihr Auftritt im Atrium ist auch Sybille Heins neues Programm. Aber schließlich heißen die Lieder, Geschichten und Späße mit ihrem Pianisten Falk Effenberger ja "Ich will `ne Irre werden". Scherze, die den Alltag und seine Fallstricke auf die Schippe nehmen, vereinzelte Momente der Sehnsucht und der Melancholie, davon sang die urige, noch ausbaufähige Ex-Hamburgerin und Neu-Berlinerin mit Rauch in der Stimme.
Ganz in Weiß mit einem Blumenstrauß tritt er auf die Bühne, und "Ich weiß" heißt auch sein Solo. Hans Werner Olm, tiefer blickender Comedy-Künstler, nahm in Alma Hoppes Lustspielhaus einmal mehr Befindlichkeiten der Wohlstandsgesellschaft ins Visier. Hochaktuell ("Ich bin ernsthafter geworden") begann er mit einem Reise- und Kriegsbericht aus Afghanistan ("Wer mit der Bahn anreisen will, sollte eigene Gleise und Schienen mitbringen.") - so witzig wie bitter wahr. Nach einigen Liedern gegen den Krieg ging es dann weiter mit Kleinbürgern, Staat und Gesellschaft, Männergedanken und Besinnlichem. Bei aller Wandlungsfähigkeit, sprach-parodistischen Virtuosität und hohen Musikalität des Komödianten war die inhaltliche Relevanz jedoch durchwachsen.
Jeden Dezember gastiert der Wilhelmsburger Barde Eddy Winkelmann samt Band bei Schmidt. Stilecht reichte er diesmal "Haie und Heringe"- sein Programm um Gewinner und Verlierer mit norddeutschem Fluidum (auch auf CD). Flockiger Blues-Rock und hörenswerte Texte ("So ein Blick ist wie ein schöner Film"), Sunnyboy-Charme und eine Prise Ringelnatz-Nostalgie gerieten zu Entertainment mit zum Teil traumverlorenem Tiefgang.
Für einen kraftvollen Jahres-Schlussakkord sorgte das oben belobigte Kabarett-Duo Bader-Ehnert-Kommando mit seinem "Frohen Fest für Vollidioten": Frei nach Charles Dickens, gebrochen durch Brecht'schen V-Effekt und die Figuren eigener Stücke, modelten Kristian Bader und Michael Ehnert das Märchen "Der Weihnachtshasser" um zum sozialkritischen "Weltrettungsprogramm", das Globalisierung und Ausbeutertum decouvrierte. Trotz mancher Belehrungen: sehr Geist-reich.
Redaktion: Ulrike Cordes
Fliegende Bauten:
bis 31.3 - The Ten Tenors
Alma Hoppes Lustspielhaus:
2. - 30.3. - Kabarett-Fest "8 Jahre Lustspielhaus" mit vielen Gästen und Gala
Schmidts Tivoli:
3.-5.3. - "Caveman" mit Kristian Bader
18.-20.3. - "Filmreif" mit Götz Alsmann
21.3.-1.4. - "Plautze voll" mit Helge Schneider
Recycle-Bar:
8.3. - Gaga-Show mit den Gästen Käthe Lachmann sowie den Heckenschützen
Museumshafen Café Övelgönne:
6.3.: "Was Sie schon immer über Elementargeister wissen wollten - aber nie gefragt haben" mit Stefan Schwidder
2002-03-15 | Nr. 34 | Weitere Artikel von: Ulrike Cordes