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    Gute Zeiten, schlechte Zeiten

    „Je mieser die Zeiten, desto besser fürs Kabarett“, schrieb Hannovers Kabarett-Altmeister Dietrich Kittner 1960 in Ankündigung seines ersten Programms. Entsprechend konnte er in seiner Premiere im Januar wieder so richtig vom Leder ziehn. Breitbeinig steht er auf der Bühne, in klassischer linken Kämperkluft, Gitarre um den Hals, ganz der alte Haudegen, der unverwüstlich für die gute Sache zu Felde rückt. Seine Friedenstaube habe er „nach dem letzten Krieg“ gleich am Revers behalten: „Schon damals habe ich gesagt: Siegen macht süchtig. Ich bitte, künftig nur noch als Prophet angesprochen zu werden“. Und los gehts über „oliv Grüne“ und andere Bundes-Krieger. Denn die Vorstellung, die Deutschen dürften spazieren gehen und andere lieb gewordene Gewohnheiten pflegen, während andere Völker Kämpfe führten, „gehört endgültig der Vergangenheit an. Na, von wem stammt das Zitat?“ grinst Kittner breit ins Publikum: „Schröder, ne? Ist aber Franz-Josef Strauß, 1958“. Und schon heißt der Kanzler bei ihm nur noch Franz-Josef Schröder, „Macken-Rudi bin-Baden“ Scharping hat eh seinen Namen weg und während Schily „die Koseform von Schill“ ist und gar keinen braucht. „So geht Grundrechte-Rechtschreibreform à la Otto-finde-ich-nicht-gut: Die Würde des Menschen ist eintastbar - in alle Computer“.

    Kriegstreibertum und die Einschränkung der Menschenrechte: Schon immer waren das zwei Lieblingsthemen des nunmehr 65-Jährigen, der mit seinem neuen Programm 42-jähriges Bühnenjubiläum feiert. Einen Namen hatte es bis zur Premiere noch nicht, doch sonst zeichnet es alles auch, was Kittner ausmacht: hämische Schärfe, akribische Faktensammlung, Lust an lästerlichen Sprachspielen und vor allem die Beharrlichkeit, auch mal querulantisch bis um die fünfte Ecke herumdenken: Da ist man wieder am Anfang, doch der sieht nach diesem Weg durch die Wüste der Wahrheit ganz anders aus. Vieles wird sich sicher ändern an diesem Programm, wenn der Wahlkampf fortschreitet, aber die unverwüstliche Bosheit bleibt der erfreuliche Grundtenor: „Unsere Regierung meint es ja nur gut: Je weiter die neue Mitte nach rechts rückt, desto mehr finden sich links von ihr wieder“.

    Da freut sich Hannover, dass dieser gestandene Querkopf im Theater am Küchengarten (tak) seine Heimat hat und es daher insgesamt eineinhalb Monate lang beehrt (nochmals vom 7.-10. und 14.-17. März). Dass das tak die Tradition seines einstigen Hausherrn würdig fortsetzt, zeigt wieder die Verleihung des Gauls von Niedersachsen an Urban Priol, dessen scharfsinnige Satiren aufs Zeitgeschehen immer wieder erfrischend die Absurdität unseres Polit- und Wirtschaftsalltags aufrollen; er erhält ihn am 20. März. Unzweifelhaft ist der Stimmartist ein würdiger Preisträger; dagegen sah das tak die Lage für das „Kind vom Gaul“, den Nachwuchspreis Fohlen von Niedersachsen, weniger rosig. Der Markt ist offenbar so übersichtlich, dass das tak ein Jahr Pause einlegt, um auf nachwachsende Fohlenkandidaten zu warten. Schließlich schießt so jemand wie Matthias Brodowy nicht jeden Tag aus der Erde. Dessen Programm „Eintritt frei und andere Lügen“ hatte es in den Nach-Terror-Tagen im Oktober zwar nicht leicht, bewies aber doch, wie brillant Hannovers Nachswuchskabarettist sowohl mit den Pianotasten als auch mit den Stimmungen im Publikum umzugehen versteht. Seinen sprachlichen Schliff sieht man zu Recht in der Tradition von Hüsch, dabei bringt er eine interessante Ader für Absurditäten mit. Vom 28.5.-1.6. und 4.-8.6. gastiert er mit dem durch die Tournee sicher veränderten Programm wieder im tak.

    Auch bei der Mimuse im Herbst waren die Entdeckungen äußerst rar gesät, es sei denn man bezeichnet den Auftritt von Hannes Wader als Entdeckung. Was der melancholische Altbarde nämlich bei einem Comedy-Festival zu suchen hat, weiß allenfalls Organisator Udo Püschel. Der hat alles, was er im Herbst zeigte, zum Festivalprogramm erklärt - nach dieser Logik könnte er künftig sein Frühjahrsprogramm gleich auch noch mit rein nehmen. Die Besucherzahlen geben ihm scheinbar recht: Ob Götz Alsmann samt Band oder die Anarcho-Buschtrommel, Piano-Charmeur Armin Töpel oder Quasselstrippe Michael Quast: Die Liste der ausverkauften Vorstellung war lang. Doch außer der Rock’n’Polka-Band Hiss, die am Eröffnungsabend tatsächlich einen schrägen Quetschkomoden-Mix hinlegten, waren wenig Gäste zugegen, die man nicht schon des öfteren gesehen hat. Ganz abgesehen davon, dass ein Festival als Zweimonatskaugummi jeglichen Ereignis-Flair verliert. Positiv zu vermelden, dass I Pendolari dell’Essere, die ja zur Hälfte im Raum Hannover angesiedelt sind, nach ihrem relativ zahmen Auftritt beim Kleinen Fest im Großen Garten in Langenhagen endlich mal wieder ein ziemliches Feuerwerk aus Körperkomik und lakonischem Witz abbrannten - auch wenn der Festivalabschluss in Langenhagen früher knalliger aussah als der sang- und klanglose Auftritt eines einzelnen Duos. Sonst gabs immerhin wenig Tiefpunkte im Programm bis auf, leider, leider, die Premiere des hannoverschen Trios Alix Dudel/ Friedhelm Kändler/ Uli Schmid. Die versierte Diseuse mit der markant tiefen Stimme, der geschliffene Nonsens-Verseschmied und ihrer beider musikalischer Kompagnon hatten sich gemeinsam aufgemacht, herauszufinden: „Wo kommt die Musi her?“ Dudel in Dirndl und Kändler im Kapitänskostüm starteten schön schräg mit  „Mona, Mona, Mona Muh“ und „Elke - heißt die Zweite, die ich melke“ und „manchmal wünscht‘ ich mir, ich wär ein Stier“. Doch nach der ersten schrillen Welle der Albernheit ging dem Humordampfer die Puste aus. Statt der von Kändler gewohnten Schwarzhumorigkeit, der intelligenten Wortspiele gabs, wie sie selbst sangen, „ein bisschen Tralala“ um Liebe und Sehnsucht fast „Euro-Grand-Prix-verdächtig“, wie Kändler in ironischer Selbsterkenntnis befand. Nur gelegentlich blitzte der alte Witz des selbsternannten „Wowo-eten“ noch auf: Älter werden, so verkündeten sie von der Bühne, heißt nicht, dass man klüger wird. Es heißt, dass man zu sich findet: „Das schließt ein dümmer Werden nicht aus“. Leider wahr.

    Apropos Chansons: Wer mal in allen Schattierungen zwischen blau-melancholisch und herbschwarz männlichen Nachtschweiß verströmt sehen will, sollte sich den gleichnamigen Abend von Bengt Kiene von der Hebebühne vormerken. Er ist on tour; hat ansonsten für daheim eine CD herausgebracht. Und wem unter Hannovers Diseusen Dudel zu dunkel und das weiter auf Erfolgskurs segelnde Duo Marianne Iser/ Thomas Duda zu finster und heftig ist, hat jetzt eine so hellhaarige wie harmlose Alternative. Stefanie Seeländer, die in ihrem ersten größeren Programm träumte: „Ich wär‘ so gern `ne Diva“ zeigte nun in „Einfach so... und auch anders“, dass sie  eine gute Portion Kontinuität und den Willen zum Durchbruch mitbringt. Etwas mehr Frechheit könnte ihre Rolle als durchtriebenes Blondchen noch vertragen, und ihren Songs könnte breitere Varianz und Stimmkraft auch nicht schaden. Doch als Bonbon gerade für nicht allzu experimentierfreudige Publikümer kann ihre kokett-bissige Show ein Erfolg sein. Dieselbe ja auch nicht immer einfache Klientel bedient übrigens auch Hannovers ältestgestandener Pantomime Peter Mim recht gut. Zwar zog er mittlerweile ins erweiterte Umland, doch war sein Auftritt im Pavillon am Raschplatz so etwas wie ein Heimspiel. Seine Chaplin-Imitationen sind körpertechnik hoch ausgefeilt, wenn auch in der Dramaturgie nicht sonderlich ausgefallen. Am stärksten sind in aller Regel die Szenenhannohahann

    , wo Mim das Publikum einbezieht, unsichtbare Nudeln kauen lässt oder Kämpfe ausficht. Nur das Original ist schöner.

    Auf bessere Zeiten,

    Redaktion: Evelyn Beyer

     

     

    2002-03-15 | Nr. 34 | Weitere Artikel von: Evelyn Beyer





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