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Szenen Regionen :: München
Hagel mitten im Winter
Wenn die Fußgängerzonen voll werden, weil man irgend etwas kaufen muss für seine Lieben oder sonst jemanden. Wenn es noch enger wird in den Innenstädten, weil man den Menschen Buden in den Weg stellt, die dann Christkindl-, oder Weihnachtsmarkt heißen, wenn das Jahr beginnt zu Ende zu gehen, wenn alles von Ruhe und Stille in der Vorweihnachtszeit redet, dann legen sie so richtig los die Münchener Kabarettisten und wenn draußen die ersten Schneeflocken fallen, hagelt es Premieren in den Kleinkunstbühnen. Besonders gespannt durfte man auf die Programme von Helmut Schleich und Luise Kinseher sein, standen sie doch vor der nicht ganz einfachen Aufgabe, ihren ersten, hoch dekorierten und oft gefeierten Soloprogrammen ein zweites folgen zu lassen. Zunächst zeigte Helmut Schleich im Theater im Fraunhofer, dass er nicht nur etwas vom Trinken, sondern auch vom Essen versteht. „Das Auge isst man immer mit" heißt sein neues Stück und wer wissen will, was bzw. wer dahintersteckt, wenn es im Magen knurrt und gurgelt, der sollte sich mit Schleich auf einen Ausflug ins Körperinnere, wo sich der deftige Semmelknödel breit gemacht hat, weil er einfach nicht zersetzt werden will, wo Freundschaft mit dem süßlich näselnden Frantisek Schaschlik schließt und es nicht lassen kann gegen den unablässig Askese predigenden Eisbergsalat zu sticheln. Auch wenn sie den Träger des Magens mit ihrer zeitweisen Unverdaulichkeit gehörig zu ärgern wissen, so sind sie doch vereint in ihrem Schicksal, denn irgendwann hat die Magensäure selbst den dicksten Kloß ganz dünn gemacht und es geht ab in die Gedärme. Wie Scheich es schafft, in einem Moment den schlaksigen Salat im nächsten den mächtigen Knödel und gleich darauf den sich ewig winden wollenden Fleischspieß zu geben, das hat einfach Klasse. Und lernen kann man auch etwas im neuen Schleich-Solo. Wer sich beim Surfen durchs Internet schon einmal die Sinnfrage gestellt hat, den wird Helmut Metzger-Gail-Schleich in seinen Zweifeln bestärken. Der Fleischer ist jetzt nämlich auch im Internet, und weil das Paket „wo mir gekauft haben", es möglich macht, hat jetzt beinahe jeden Wurstsorte ihre eigene Email-Adresse (pressack@metzgerei-gail.de) und wenn man klickt, wo „zu die Weiber" steht, landet man genau dort, bei „die Weiber" nämlich. Metzger Gail: „Ich kann mir heute überhaupt nicht mehr vorstellen, wie mir das frühers ohne diesen Internet gemacht hätten". Noch Fragen zum Internet: www.metzgerei-gail.de. Die frisch mit dem Förderpreis des Deutschen Kleinkunstpreises dekorierte Luise Kinseher machte die Bühne der Münchner Lach- und Schießgesellschaft zunächst einmal zu Unterrichtsraum und erklärte den Titel ihres Programms: „SCHNOP", das sind die chemischen Elemente Schwefel (S), Kohlenstoff (C), Wasserstoff (H), Stickstoff (N), Sauerstoff (O) und Phosphor (P) und das Publikum staunt hinauf auf die Bühne, wo die Kinseher irgendetwas zusammenschüttet, das im Ergebnis dann aussieht wie ein Bier und von der niederbayerischsten aller Kabarettistinnen auch noch getrunken wird. Überhaupt: Niederbayern, dieses Land, das aus Schweinsbraten und Gerstensaft besteht, in dem es Bratensoße regnet. „Der Weg ist weg", so lautet der Untertitel des Programms und die Kinseher gibt eine Verstoßene. Die wird in ihrem niederbayerischen Kaff für zu aufmüpfig gehalten, zum Schüleraustausch in die USA geschickt, von dort aber nicht mehr zurückgetauscht. Seitdem ist sie auf der Suche nach dem Weg zurück nach Waglfing, der einfach nicht zu finden ist. Ihre Reise führt sie durch den überdimensionalen Kleiderschrank einer überreichen Familie vorbei an einer Frau, die ihren Mann ruhig zu stellen weiß, indem sie ihn bis zum Dauerkoma operieren lässt, in den verschiedensten Taxis auch immer wieder entlang des eigentümlichen Landstrichs namens Niederbayern. Kraftvolles Kabarett von einer, die mit der absurden Pointe genauso spielt wie mit der derben bayerischen. Ein Wort wie „Türschlosspanik" müsste es eigentlich schon lange geben. Es ist der Titel von Christian Springers neuem Solo und eine echte Wortneuschöpfung. Dabei ist die Situation sattsam bekannt: Man findet den Wohnungsschlüssel nicht mehr und nun steht man vor der verschlossenen Tür. Was einem dabei alles in den Sinn kommt, an wen man dabei alles denken muss, das zeigt Springer in seinem Programm – Premiere war bei Heppel & Ettlich –, bei dem vor allem die Figur des Gebirgsschützen hervorsticht, die den Bayern zeigt wie er ist: derb, dumm, gewitzt, verquer, gescheit, angepasst und eigen – bayerisch eben. Im Hinterhoftheater hat sich ein neues Duo gefunden. Hermann von Ulzen gibt mit Angelika Beier „Die Vorletzten". Das Beziehungskabarett, „so zwischen Sex und Sechzig", geht einfach jeden an, der schon einmal eine Beziehung hatte. Eigentlich weiß man alles über das andere Geschlecht und dennoch freut man sich, wenn die eigenen Vorurteilen vom Bühnenpodest herab neue Nahrung erhalten. Die Bühnen sind gut besucht dank all der Premieren, doch deshalb braucht sich der „Kabarett-Kaktus", Münchens Nachwuchsfestival, keine Sorgen um mangelnden Zuspruch zu machen. Beim Sieg von Verena Unbehaun und Lizzy Aumeier war der Saal ebenso gut gefüllt wie an den anderen Abenden des feinen Festivals, das – trotz Premierenstress – auch in diesem Jahr wieder von den oben bereits erwähnten Helmut Schleich und Christian Springer mitveranstaltet wurde.
Redaktion: Andreas Rüttenauer
AdNr:1082 AdNr:1089
2002-03-15 | Nr. 34 | Weitere Artikel von: Andreas Rüttenauer
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