Auch in 2002 wird das Gedränge auf dem Musikmarkt größer. Und oft ist es so, dass gerade in den Nischen die Großen zu entdecken sind. Ich hab mich also wieder auf die Suche gemacht und – bin fündig geworden!
Es ist schon spannend, wenn sich Melodielinien im Getöse der treibenden Rhythmen behaupten müssen, wenn Tempowechsel und fantasievolle Soli nicht allein auf solider Spielkunst beruhen, sondern vor allem in einem Höchstmaß an Kreativität begründet sind.
Diese Merkmale treffen insbesondere auf das Ensemble von Christian Scheuber (drums) zu. Ihn habe ich gehört mit dem Ausnahmegitarristen Paul Bollenback (Gitarre), Andrej Kondakov (Klavier) und Markus Bodenseh (Bass). Keineswegs liefert das Quartett Jazz a´ la carte, registrierbar auch auf der neuen CD „Clara´s Smile". Präzise Zusammenarbeit, exakte Breaks und solistische Parts quasi im fliegenden Wechsel, dazu ausgefeilte Arrangements realisiert mit großer Freude am Musizieren machen das, was auf der Bühne musikalisch abgeht erlebbar.
Genial die Zusammenarbeit von Kondakov und Bollenback, die in den meditativen Klängen des „Wave in door" schwelgen und sich gegenseitig darin bestärkten, die ganze Poesie dieses Werkes vollends zu entfalten Auffällig aber die Herzlichkeit in den Balladen, der Hang zur instrumentalen Lyrik etwa im „Song for Claudia". Hier zeigt sich die besondere Empfindsamkeit der Jazzer für mitreißenden instrumentalen Ausdruck, für Polyphonie, die sich fernab von Polarisierungen dem Zusammenklang unterwirft.
Joe Wulf und seine Gentlemen of Swing sind immer mal wieder einen Konzertbesuch wert. Brillant sind nicht nur die Soli des Ausnahmeposaunisten Wulf. „Stars on Alabama" oder Tommy Dorseys „I´m getting sentimental over you" unterziehen die Gentlemen des Swing einer beeindruckenden Frischzellenkur. Wulf und sein Ensemble hab ich übrigens gemeinsam auf einer Bühne mit dem ehemaligen Hamburger- Szene- Barden Peter Petrel bewundert. Im Western-Outfit gesellt sich Petrel zur Wulf – Kombo, und lässt dank seiner Jazzintonationen die „Hamburger Deern" schnell vergessen. Als hätte er nie etwas anderes gesungen, zelebriert er den „St. Louis Blues" und begeistert mit seiner scat-durchsetzten Interpretation der „Sunny side of the street". Wahrhaftig ein starker Auftritt.
Für Blues-Enthusiasten ist Deborah Woodson eine ausgezeichnete Adresse. Sie gilt als „Queen des Blues" und ist es wohl auch. Absolute Spitze ihre Vokalkunst, die sie in abgrundtiefe Tiefen und höchste Höhen treibt. Da macht selbst das „Georgia" wieder Spaß Und beim „Stand by me" singt das Publikum ebenso begeistert mit wie es diese Künstlerin nach dem Gig feiert.
Auch Mouron ist in irgendwie ein Stimmwunder. Ihr (fast) neues Chansonprogramm „La vie en trois minutes", das Leben in drei Minuten, hat aber diesmal wenig Stimmung aufkommen lassen. Melancholie oder auch die Ausgelassenheit der Dreiminüter verebbten am Bühnenrand. Es fiel dabei kaum auf, dass die Stücke Überlängen hatten. Die Vielfarbigkeit und Wandlungsfähigkeit ihrer Stimme allerdings übt Faszination aus, versetzt sie in die Lage, die traurig – schönen Chansons d ´amour ebenso klar zu interpretieren wie etwa den fröhlichen Gassenhauer „Le petite femme de Paris" von Leo Ferret oder Jaques Brels Anbetung von „Madeleine".
Musikalisch bringt Mouron die Songs auf den Punkt, den Terry Truck am Klavier virtuos unterstreicht. Großartig sein variantenreiches Spiel, mit dem er aus dem Schattendasein des Begleiters bravourös hervortritt.
Etta Scollo kommt aus der sizilianischen Hafenstadt Catania. Sie ist in Deutschland eher noch ein Geheimtip. Allerdings sollte man sich diesen Namen schon mal merken. Und die neue CD „Live", die im April erscheint, ist ein richtiger Knüller
Mit ihrer eigenen Band coverte Etta Scollo 1988 spaßeshalber den Beatles Song „Oh Darlin". Dieser Scherz der zierlichen Sizilianerin wurde „der" sommerliche Gassenhauer und brachte ihr eine goldene Schallplatte und Starruhm in Italien und Österreich. Zwischenzeitlich ist sie mit zahlreichen Preisen bedacht worden, absolvierte im letzten Jahr eine äußerst erfolgreiche Tournee. Sie ist für mich die Entdeckung des Jahres 2001 gewesen, die ich in einer der nächsten Ausgaben von TROTTOIR ausführlich in einem Interview vorstellen werde
Ein weiteres musikalisches Hightlight habe ich bei einem Konzert von Richard Galliano und dem New York Quintett erlebt. Ohne Zweifel steht der Franzose Richard Galliano in der Nachfolge des Tango - Erfinders Astor Piazolla. Aber er, der Entdecker des Akkordeons für den Jazz, geht seit Jahren konsequent seinen musikalischen Weg weiter. Und er ist nicht stehen geblieben bei der Modernisierung der Musette. Was Galliano mit seinem New York Quintett zelebriert, übertrifft alle Erwartungen. Der Einfallsreichtum dieses fingertanzenden Akkordeonisten und die musikalische Größe seiner Band machen Weltmusik auf Weltniveau hörbar, First-Class-Jazz, der derzeit seinesgleichen sucht.
Richard Gallianos Musik verbindet Klassik mit Jazz, Folkloristisches aus Italien, Frankreich, Spanien oder den Staaten mit orientalischer Melodik und dem Temperament der Zigeunerweisen, Cajun mit Swing – und selbst der Rumba hat was Bluesiges.
In seinen Stücken entwickelt sich die ganze Vielfalt des musikalisch Machbaren zu einem Wohlklang, der als Bandimprovisation und in den Soli vor Kreativität strotzt und im Zauber der Klänge gefangen nimmt. Mit ihm setzen seine Musiker neue Maßstäbe. Solistisch und in den Dialogen von Akkordeon mit Klavier, oder Bass wird Fantasie spürbar. Und in der faszinierenden dramatischen Begegnung von Akkordeon und Geige geschieht schier Unglaubliches.
In den guten musikalischen Wein fällt aber hin und wieder doch ein Wehmutstropfen.
Bei einem Konzert anlässlich der Präsentation der Debüt - CD „Here" der Dean Brown Group blieben Inspiration und Kreativität als unabdingbaren Zutaten für gute Musik fast gänzlich auf der Strecke. Dean Brown war Sideman vieler Jazz- und Funkgrößen und ist als hervorragender Gitarriste über jeden Zweifel erhaben. Auch seine Mitmusiker Bernhard Wright (Piano), James Genus (Bass) und Juju House (Drums) sind absolute Könner. Elektrisierend ist der Sound, desillusionierend allerdings der Eindruck, dass nun dem Jazz der entscheidende Kick gegeben werden könnte.
Was aus den Boxen strömt, ist ein durchaus hörenswerter Mix aus Rock, Rhythm´ and Blues und vor allem aber dem Jazz-Funk. Dem gnadenlos nach vorn treibenden Rhythmus hat sich alles andere anscheinend unterzuordnen. Das, was in die Beine geht, was das Blut in Wallung bringt, bleibt das musikalische Hauptargument der Gruppe, dass sie dem Auditorium in anfangs mit mehr als 30-minütiger Funkkraft lautstark einhämmern will. Auf der Strecke bleibt vor allem die Inspiration, die Kreativität, die Vielfarbigkeit. Nur selten blitzen neue musikalische Gedanken auf, etwa dann, wenn Dean Brown effektvoll mit Gitarreneffekten spielt, wenn er Melodiefetzen zerlegt und wieder zusammengesetzt. Oder dann, wenn den wenigen Grundakkorden und den monotonen Grundrhythmen eine sphärische Harmonik davonrennt, wenn James Genus solistisch am Bass nach kreativen Auswegen sucht und Bernhard Wright sich einmal mehr anstacheln lässt zu virtuosem Fingertanz auf dem Keyboard.
Und spannend wird's, wenn sich mitten im Funk der gute alte Swing durchsetzt.
Aber es ist halt „Electric City Land" angesagt, der selbst bei „Big Foot" Schatten auf den Blues wirft. „Tell it like it is!" Es ist, wie es ist. Ich hatte mehr erhofft.
Aber sei´s drum.
Also werde ich mich wieder auf die Suche nach Besserem machen, - und demnächst darüber berichten
Bis bald.
Euer Bernhard Wibben
2002-03-15 | Nr. 34 | Weitere Artikel von: Bernhard Wibben