Im Renitenz Theater trat Claus von Wagner (Bild) mit seinem Programm „Theorie der feinen Menschen“ auf. In Kürze wird ihn wohl jeder Kabarettinteressierte kennen, denn er übernimmt zusammen mit Max Uthoff die Sendung „Neues aus der Anstalt“ im ZDF.
Er tritt lässig auf mit abgewetzter Jeans, Jackett und einem überlangen Schlips, das Mikrokabel schaut dreißig Zentimeter aus dem Hemd heraus.
Praktisch als Vorspiel erscheint von Wagner mitten im Publikum, erzählt von früheren Auftritten in der Lach- und Schießgesellschaft, als er parallel zu einem Bayernspiel ein gutes Dutzend junger Fußballfans im Publikum sitzen hatte, die aufgrund der Einladung ihres Lehrers nicht ganz freiwillig in der Kleinkunstbühne gelandet waren.
Er bekommt von Anfang an einen guten Draht zum Publikum, droht ironisch, die letzte Reihe mit einzubeziehen.
Dann schlüpft er in die Rolle von Klaus Neumann, der in einer Bank arbeitet und in einem Tresorraum eingesperrt ist. Das Renitenztheater war witzigerweise eine ehemalige Bank, Tresortüren sind noch im unteren Stockwerk zu sehen. Er mischt seine Kritik am Kapitalismus der Banken mit Erzählungen aus seiner Familiengeschichte. Da geht es um Finanzhaie, die Nöten der kleinen Sparer, Beraterinnen, die immer die „richtige Wahl“ empfohlen haben und den folgenden Bankencrash. Spielerisch wechselt er gekonnt zwischen fingierten Telefonaten und Erzählung, ein großes, vielfältiges Stück. Das ist perfekt gespielt, ist tiefsinnig und unterhält das Publikum mit vielen Pointen gut. Wie er zum Beispiel als NSA-Strafe für amerikanische Diplomaten eine Zwangsstunde mit Westerwelle als Höchststrafe deklariert oder auf Spezialwasser für Veganer pocht. Die ganze Zeit versucht er, eine Rede über seinen toten Vater zu schreiben, der auch in einer Bank gearbeitet hat. Er hat scheinbar alles im Kopf, was er am nächsten Tag reden soll, bringt aber keinen Satz aufs Papier. Wenn er zwischendurch am Telefon mit seinem Vorgesetzten redet, dem er mal richtig die Meinung sagen will, kommt er über ein kurzes Stottern nicht hinaus. Zum Schluss zeigt er ein Kinderbild, um seine Erzählung abzurunden und danach das Publikum aufzuklären, dass alle Details über seine Familie frei erfunden sind.
Diese kabarettistische Soloshow ist wie ein gelungenes Theaterstück, gut geschrieben und lebendig präsentiert.
Im Theaterhaus spielte das „Richterkabarett“, fünf Juristen, die sich neben ihrem Job in einer Kabarettgruppe zusammengeschlossen haben. „Vor Gericht und auf hoher See“ heißt das aktuelle Programm. Das Bühnenbild zeigt ein Oberdeck, wo die Richter Urlaub machen. Auf dem Mitteldeck finden sich die Staatsanwälte, und ganz unten hausen die Ratten im Justizbereich, die Anwälte. Vielfältige juristische Themen werden angesprochen, Ehescheidungen, Prozesse von Pauschalreisenden, Steuerhinterziehung und vieles mehr. Die Rechtsanwälte, die scheinbar oft „am Hungertuch nagen“, bekommen ihr Fett ab und werden aufgefordert, doch eigene Fälle durch Tricks an Land zu ziehen. Mal ist es ein fetziges Solo, mal ein ironisches Ensemblestück. Immer wieder werden alte Schlager zu juristischen Songs umgedichtet, die professionell vorgetragen werden. Von „Junge komm bald wieder“ bis „Oh happy day“.
Die Hauptkostümierung besteht aus Matrosenanzügen, aber zu speziellen Nummern werden öfter die Kostüme gewechselt, mal schlüpft die Gruppe in Bademäntel, um als Deckpassagiere über den plötzlichen Tod einer Übergewichtigen zu spekulieren. Neben solchen Themen werden Nummern über Bootsflüchtlinge im Mittelmeer, der kommende Hoeneß-Prozess oder in knapper Form Neues aus der Hauptstadt angesprochen. Ein bunter Reigen vor einem Publikum, in dem auch einige Juristen sitzen, wie die Kabarettisten spöttisch vermuten.
Ein runder Abend, der vom Publikum mit längerem Schlussapplaus belohnt wird.
Ansonsten gab es in und rund um Stuttgart wie immer vielfältige Kleinkunstprogramme:
Eure Mütter, Willy Astor, Nico Semsrott, Florian Schroeder, Ernst Mantel, Gerd Dudenhöfer und Alfons spielten im Theaterhaus. Im Renitenztheater traten Sandra Kreisler, Robert Griesbach, Helmut Schleich, Ulan und Bator, Thomas Reis, Malediva und die Distel auf. Simone Solga flüsterte in „Im Auftrag der Kanzlerin“ über neue Gerüchte aus Berlin und beim „ChanSongFest“ gaben sich Julia Neigel, Pigor und Eichhorn, Ulla Meinecke, Sebastian Krämer und Marie Bill die Klinke in die Hand.
In der Besenwirtschaft Krug, die es seit gut 30 Jahren als Kulturbesen in Stuttgart gibt, wird in einem engen Raum mit einer Minibühne ein interessantes gemischtes Programm aus Kleinkunst, Musik, Theater und Lesungen angeboten. Hier gastierten von Mitte Oktober rund zwei Monate Künstler wie Helmut Ruge, Ernst Konarek, Honey Pie, Annette Postel, Bernd Lafrenz und Helge Thun.
In Esslingen gab es neben dem Hausprogramm bei den Galgenstricken Gastpiele von Reiner Kröhnert, Link Michel, während in der Dieselstraße „Die Echse“ und „Hans Well und die Wellbappn“ Station machten.
Redaktion: Bruno Schollenbruch
Bildnachweis Claus von Wagner: Marcus Gruber
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2013-12-30 | Nr. 81 | Weitere Artikel von: Bruno Schollenbruch