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    Berlin: Eine Stadt redet über ein Zelt

    Helle Aufregung herrscht in Teilen der Berliner Medienlandschaft bei Redaktionsschluss von Trottoir. Im Mittelpunkt steht wieder einmal das Neue Tempodrom, Nachfolgerin des ehemaligen West-Berliner Alternativkulturtempels. Wir erinnern uns: Als der Bundeskanzler sein Amt in den Tiergarten bauen ließ, musste das Zeltgebäude des alten Tempodrom zusammengepackt werden, weil es in der Bannmeile stand. Als Ersatz für den abgerissenen Spielort bekam Tempodrom-Chefin Irene Mössinger eine neue, viel größere Bühne. In der Nähe des Potsdamer Platzes entstand das Neue Tempodrom; ein originelles Betonzelt, das die Ursprünge der Institution architektonisch aufnahm. Das war nicht mehr alternativ, das war teuer. Und ein Prestigeobjekt für diverse Politiker. Denn die merkten, dass nicht alle Berliner begeistert über die schnieke neue Mitte waren, die den alten Alternativ-Groove der Stadt ablöste. Der Bau wurde viel teurer als veranschlagt und der Betrieb lief nie ganz so flüssig, wie man es erhofft hatte. Die Alternativ- und Kleinkunstatmosphäre, die das erste Tempodrom berühmt gemacht hatte, verlor sich in dem weitläufigen neuen Gebäude, das alte Publikum blieb weg und ein neues musste erst langsam gewonnen werden. Finanziell bekam der Ort trotz enormer finanzieller Unterstützung aus verschiedensten Töpfen so starke Schlagseite, dass seit einiger Zeit ein Käufer dafür  gesucht wird. Damit sich überhaupt jemand dafür erwärmt, erklärte sich der Finanzsenator bereit, die Schulden, die auf dem Tempodrom lasten, zu übernehmen: gut zehn Millionen Euro. Jetzt hat der Berliner „Tagesspiegel“ herausbekommen, dass dieser Betrag, der zu Lasten der Steuerzahler – und zu auch zu Lasten der anderen Kulturinstitutionen, denen die Mittel gekürzt werden - geht, zu hoch sei. Für 1,8 Millionen haften Irene Mössinger und ihr Partner Norbert Waehl nämlich persönlich. Die Landesbank Berlin hatte den Kredit 2000 gewährt, obwohl schon damals klar war, dass weder Mössinger noch ihr Partner über Privatvermögen oder sonstige Sicherheiten verfügen. Mössinger selbst gibt an, sie sei unter Zeitdruck zu der Bürgschaft gedrängt worden. Ohne sie hätte die Bank das Geld nicht herausgerückt. Die Politiker wollten sich einen Absturz des Projektes Tempodrom nicht leisten, nachdem schon soviel hineingebuttert worden ist. Der Tagesspiegel wettert gegen die Abschreibung der Bürgschaft. Diese Art der Politik sei es, die Berlin marode gemacht hat. Das ist nicht falsch, auch der Bankenskandal kam so ähnlich zustande. Ins schlechte Licht gerät erneut Irene Mössinger. Dabei wollte die ehemalige Krankenschwester nie etwas anderes, als Kultur zu veranstalten. 1980 steckte sie ihre Erbschaft in die Gründung des ersten Tempodroms. Wer hätte auch gedacht, dass von ihr einmal den Weitblick einer Geschäftsfrau erwartet wird? Zum Zeitpunkt des Redaktionsschlusses ist das Ende der Geschichte offen.

    Zum Glück wird das Haus im ganzen Trubel auch noch bespielt. Zum dritten Mal fand im Januar das internationale Wortkunstfestival „Maulhelden“ unter der Leitung des Ex-Tornados Arnulf Rating statt. Das Programm war mit über 60 Acts wieder gigantisch – leider aber auch zunehmend beliebig.

    Ein klein wenig beliebig wird allmählich auch das Schaffen der Zotenakrobatin Desirée Nick. Jedenfalls wenn es sich auf der Comedy-Schiene bewegt. Denn die Nick kann ja auch ernsthaft (Trottoir 3/02). Mit ihrem neuen Programm „The Joy of Aging“ in der „Bar jeder Vernunft“ folgt die Nick dem bewährten Strickmuster, das sie mit „Hängetitten Deluxe“ vor zwei Jahren begonnen hat. Wem`s gefällt.

    Auf ganz neue Art hat hingegen Ennio Marchetto die Herzen der Berliner gewonnen. Schon im letzten Sommer trat der Mailänder mit seiner Show „Paper Marilyn“ im „tipi“ auf. Jetzt kam er noch einmal hierhin. Auf einer leeren, schwarzen Bühne erscheint der athletische Künstler in einem schwarzen Gankörperstrumpf. Davor hält er bunte Pappkartons, die er in comichafter Weise mit lebensgroßen Figuren von Stars wie Whitney Houston, Eminem oder Tina Turner bemalt hat. Zu ohrenbetäubend lautem Playback der entsprechenden Künstler wackelt er mit den Figuren herum, leiht ihnen seine Hände – manchmal auch das Gesicht – und verwandelt sich mit wenigen Handgriffen an versteckten Klettverschlüssen in die nächste Figur. Aus der englischen Königin wird so Freddie Mercury von „Queen“, es erscheinen auch mal alle drei Tenöre gleichzeitig. Das ist skurril, raffiniert und sehr charmant – wie auch der Künstler selber. Spätestens, wenn Marchetto glücklich und schüchtern den Schlussapplaus entgegennimmt und dabei die verstreuten Pappkartons auf der Bühne zusammensammelt, hat man Lach- und Rührungstränen in den Augen.

    Emotional ist auch die neue CD „Virages“ der Chansonette Corinne Douarre. Pünktlich zu ihrem Geburtstag im Dezember hat die aus Paris stammende Wahlberlinerin sie vorgestellt. Die beiden „Stepinskis“ Gerda und Gisela, die es vom VHS-Tanzkurs bis zum erfolgreichen Stepp-Comedyprogramm „Birkenwerder goes Broadway“ gebracht haben, klapperten im Januar mit dem Nachfolgeprogramm „Die Stepinskis und der Neue“ über die Bühne. Der Neue heißt Günther und spielt Tuba. Das könnte man sich von Tanja Ries niemals vorstellen. So ätherisch wie immer klingt ihr jüngstes Programm „Ein Hauch von Unendlichkeit“, das sie im Februar vorgestellt hat.

    Apropos Unendlichkeit: Ebenfalls im Februar beging der Kabarettist Olaf Michael Ostertag sein zwanzigjähriges Bühnenjubiläum. Das ist unter anderem bemerkenswert, weil der Franke erst knapp über Dreißig ist. Da wurden wohl auch ein paar Auftritte in Omas Wohnzimmer mitgerechnet. Seither ist Ostertag solo und mit unterschiedlichen Gruppen unterwegs, Anfang der Neunzigerjahre recht erfolgreich mit „Die letzten Westler“. Wir gratulieren!

    Redaktion: Susann Sitzler

     

    Vorschau Berlin

    tipi – das Zelt

    6. – 23. April 2004 Tim Fischer und Band: „Yesterday one more – best of“ (Berliner Chansons)

    30. April – 30. Mai 2004 Gayle Tufts: „The Soul Sensation“ (Denglish Comedy)

     

    Comedy Club Kookaburra

    1.-3./8.-10. April 2004 Käthe Lachmann: „Sitzriese auf Wanderschaft“ (Stand Up Comedy)

    4./11. April 2004 „Elliz`n Sens“ – Blanche Elliz, Michael Sens und Gäste (Entertainment)

    7./14./28. April 2004 KoMix: Comedy Mix Show mit jeweils drei jungen Künstlern pro Abend

    13. April 2004 „Kitsch und Kacke Club“ mit Otto Kuhnle (Comedy)

    15.-18. April 2004 Lonely Husband(Music Comedy)

    20. April 2004 „Laughapalooza“ mit Tamara Ingram, Wayne Childs und Gästen (Comedy in Englisch)

     

    Tränenpalast

    30. April – 2. Mai 2004 Ganz schön Feist: „Gutes von Gestern“ (A-capella-Comedy)

    5.-9. Mai 2004 Heinrich Pachl: „Die Spur der Scheine“ (Politisches Kabarett)

    19. Mai – 6. Juni 2004 Fil und Sharkey: „Ich bin nicht Adolf Hitler gewesen“ (Comedy)

    2004-03-15 | Nr. 42 | Weitere Artikel von: Susann Sitzler





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