Jetzt hat sie ein weiteres Buch herausgebracht „Bewegung inszenieren“. Ich wollte mehr über den Menschen und die Künstlerin Anke Gerber erfahren und habe mich mit ihr zum Interview getroffen.
Anke Gerber: Im Jahr 2017 haben wir einen ziemlich lustigen Ausblick: Wir haben gerade ein Pantomimen-Festival, das MIME>Berlin 2017 gehabt. (Anm. d. Redaktion: wir haben darüber berichtet)"
Kassandra Knebel: Hallo Anke. Was genau ist eigentlich Dein Arbeitsbereich?Anke Gerber: Das ist eine schöne Frage. Ich habe einen Kollegen, der wurde im Alter von 70 von seinen Kindern gefragt: „Papa, was willst du eigentlich werden?" Das geht uns Freiberuflern allen ein bisschen so. Ich habe die letzten Jahre unterrichtet. Zum Beispiel unterrichte ich regelmäßig die Puppenspieler der Ernst Busch (Anm.d. Red. Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch, staatliche Universität in Berlin) oder am Mime Centrum Berlin und gebe viele Workshops.
Ich freue mich daran, Erfahrungen weiterzugeben und auch neue Erfahrungen zu machen. Unterrichten ist, wenn man selber etwas lernen will, dass A und O.
Im letzten Jahr habe ich mein altes Buch „Die Anatomie der Pantomime" neu herausgegeben und in diesem Jahr habe ich das Buch „Bewegung inszenieren" fertig gemacht. Für die beiden Bücher ist natürlich eine Menge Zeit drauf gegangen. Und jetzt will ich mich einen Moment erst mal ausruhen – und dann gucke ich mich wieder neu um, was ich alles machen werde.
Ansonsten inszeniere ich, gebe Bewegungs-Coaching für Schauspieler und für Bewegungs-Künstler. Hin und wieder trete ich auch auf, aber das nicht mit allzu großem Eifer.
Kassandra Knebel: Was ist dir bei Deiner Arbeit wichtig?
Anke Gerber: Zu forderst ist mir wichtig, dass ich nicht Leute langweile. Das war schon auf der Bühne so und das ist mit den Schülern genauso. Es ist mir ganz wichtig, dass es meinen Schülern, meinen Mitarbeitern gut geht und dass sie sich für das interessieren, was sie tun. Es ist mir sehr wichtig, nicht akademisch zu sein, d.h. Festgefahrenes zu perpetuieren. Ich mache alle Workshops und sämtlichen Unterricht immer wieder neu. D.h., ich probiere immer wieder andere Sachen aus. Weil ich ganz genau weiß: Wenn ich mich nicht für die Sache interessiere, dann interessiert sie die anderen auch nicht.
Ein wichtiger Aspekt ist, dass es Spaß macht - und zwar in dem Moment, in dem man zuschaut, arbeitet oder lernt - und nicht erst sehr viel später.
Kassandra Knebel: Was ist Dein Anliegen? Was willst Du erreichen?
Anke Gerber: Ich glaube, dass in der gesamten Kunstszene die beiden Punkte "Was zeigt der Künstler auf der Bühne?" oder auch "Was malt oder schreibt der Künstler?“ auf der einen und auf der anderen Seite "Was nimmt das Publikum tatsächlich auf?" oft wenig im Fokus stehen, oft wenig beachtet werden. Dabei ist es das A und O.
Die Leute sollten ungefähr verstehen, was ich als Künstler meine. Natürlich kann man nicht erreichen, dass man zu 100 % verstanden wird; das Verstehen geht nur bis zu einem gewissen Grad. Aber an das Verstehen wird oft kein Gedanke verschwendet. Die Künstler denken oft: „Ich spiele das. Und was ich meine, das ich spiele, das sieht das Publikum auch.“ In 50 % aller Fälle sehen die Leute aber etwas anderes. Aus den verschiedensten Gründen. Weil sie die Sprachwahl nicht verstehen zum Beispiel oder auch weil es zu finster ist auf der Bühne. Oder weil Bewegungsabläufe benutzt werden, die einen Ausdruckswert im privaten, im allgemeinen Sinne haben. Das ist im Tanztheater häufig der Fall.
Kassandra Knebel: Ausdruckswert im privaten Sinne – was genau meinst Du damit?
Anke Gerber: Ein Beispiel: es gibt im Tanz bestimmte Techniken, bei denen ein Partner den anderen am Kopf zu Boden führt. Das ist in fast allen Kulturen etwas Brutales: Wenn ich jemanden an den Kopf fasse, dann bin ich mit ihm entweder sehr intim oder ich bin dabei ihn gerade umzubringen oder etwas ähnliches. Es gibt ganz viele Kulturen, da darf man nicht mal in Richtung des Kopfes stehen, wenn jemand liegt. Das Wissen darum ist der Tanzwelt verloren gegangen. Und es interessiert sie auch nicht. Für Tänzer ist es etwas völlig Normales, aber für die zuschauenden Leute hat es instinktiv eine Bedeutung. Der Zuschauer macht sich das nicht bewusst, aber es ist einfach da. Und es ist ganz stark. Ich glaube, dass man sich in Zukunft sehr stark darum kümmern muss, wenn man den Kontakt zu seinem Publikum nicht verlieren will.
Es gibt oft keine Haltung dem Publikum gegenüber; es ist oft egal, was das Publikum denkt und das finde ich ganz übel. Das Publikum gibt A) Geld und B) Zeit. Und dann habe ich als Darsteller die Verpflichtung, dem gerecht zu werden und dafür auch etwas zu geben. Das kann natürlich schief gehen, keine Frage. Aber ich muss mir zumindest einen Kopf darüber machen, wie ich die Zeit und das Geld des Publikums in Anspruch nehme.
Kassandra Knebel: Was möchtest Du Performern mitgeben?
Anke Gerber: Das Wort Performer mag ich nicht so, weil das Wort Performance so oft missbraucht wird. Es wird eine Mode daraus gemacht und oftmals verdeckt das Wort, dass die Leute meinen, sie müssen sich keine Gedanken über das machen, was sie eigentlich auf der Bühne treiben.
Was möchte ich den Leuten mitgeben? Vor allen Dingen, dass sie selber nachdenken und sich selber trauen. Dass sie nicht versuchen, irgend etwas anderes nachzumachen. Dass sie jeden Moment schauen „ Ist es wirklich das, was ich wollte? Oder ist es vielleicht das, was ich meine, was jemand anders wollen würde?“
Kassandra Knebel: Was ist Dir in dem Zusammenhang besonders wichtig?
Anke Gerber: Es ist das allerwichtigste das Vertrauen zu wecken: es kommt nicht darauf an, dass du eine Technik 100 % nachvollziehst. Das ist für den Zuschauer später völlig uninteressant. Technik wird dann interessant, wenn man sie nicht mehr sieht. Und d.h. von der anderen Seite betrachtet: „Versuche deine Sachen neu zu erfinden und halte dich nicht unbedingt an die Dinge, die es schon gibt.“ Das widerspricht natürlich dem, dass ich unterrichte. Aber ich habe vom Unterrichten gelernt, dass es überhaupt nichts nutzt, wenn die Leute sich gegenseitig nachmachen. Das wird nichts. Es kann als methodisches, pädagogisches Mittel gut sein, sich einmal in etwas rein zu versetzen, was andere schon gemacht haben. – Aber dann wirklich bitte genau so, wie die anderen es gemacht haben und nicht irgendeine Variante. Man muss schauen, wie man selber Dinge umsetzt. Wenn man selber nichts zu sagen hat, dann wird es nichts.
Kassandra Knebel: Kannst Du uns etwas über Dein neues Buch "Bewegung inszenieren" erzählen? Worum geht es?
Anke Gerber: Ich habe das Buch gemeinsam mit meinem Schweizer Kollegen Christian Mattis geschrieben. Das Buch geht das Thema Choreografie von einer sehr bodenständigen Seite her an. Und zwar nicht mit dem Blick im Nachhinein darauf, wie eine gute Choreografie auszusehen hat, sondern mit dem Blick auf den Anfang: Was muss ich vorbereiten, was muss ich üben, bevor ich überhaupt anfange zu choreografieren?
Kassandra Knebel: An wen richtet sich das Buch?
Anke Gerber: Das Buch richtet sich vor allen Dingen an Leute, die mit Gruppen arbeiten. Die Tatsache, dass mehrere Leute auf der Bühne stehen spielt eine große Rolle. Es richtet sich an Leute, die meistens mit Musik arbeiten oder ohne Worte auskommen. Also Artisten, Tänzer, Showgruppen, die vielleicht ein bestimmtes Thema haben oder einen bestimmten Tanzstil oder etwas Bestimmtes, etwas Artistisches können, egal ob mit Einrädern fahren oder auf´s Seil gehen. Es geht darum, das Thema von der Basis her zu behandeln.
Wir haben das Buch so aufgebaut, dass es im ersten Teil ganz konkrete Aufgaben gibt, die aufeinander aufbauen. Dann gibt es einen zweiten Teil, in dem es lauter kleine Artikel zu bestimmten Themen gibt. Zum Beispiel: Was sind geeignete Übergänge zwischen verschiedenen Tanz- oder Akrobatik-Teilen? Was muss man sich da überlegen? Oder: Was bedeutet Licht für die Bühne? Es ist heutzutage so viel Technik da, dass ist üblich geworden ist, dass man ein choreografisches Geschehen einfach zuleuchtet. Technik wird heutzutage häufig im Übermaß benutzt, zum Beispiel auch durch zu laute Musik, so dass beim Publikum etwas ganz Verschobenes ankommt. Das muss man sich alles vorher überlegen.
Kassandra Knebel: Du hast Dein Buch „Die Anatomie der Pantomime" neu aufgelegt. Warum eigentlich?
Anke Gerber: Ja, ich weiß, ich habe eben gesagt, dass man sich nicht an Technik halten muss und dass man Neues erfinden soll - wieso dann eigentlich ein altes Buch neu auflegen? "Die Anatomie der Pantomime", die ich ursprünglich vor über 30 Jahren geschrieben habe, beinhaltet so etwas wie das Kleine Einmaleins. Das sind Grundlagen, die immer noch Gültigkeit haben. Die Sachen, die mir nicht mehr gefallen haben oder wozu sich meine Meinung geändert hat, die habe ich verändert.
Kassandra Knebel: Was war das zum Beispiel?
Anke Gerber: Zum Beispiel ein Artikel über Pantomime und Straßentheater. Straßentheater gab es damals in meinem Erfahrungskreis in der DDR relativ wenig. In Südamerika dagegen hat es schon immer Theater gegeben, dass sich damit befasst auf der Straße zu spielen. Das ist hier für uns relativ neu und es ist auch etwas anders zu bewerten. Man sollte nicht den Irrtum begehen zu denken "Wir machen es hier genauso wie die Argentinier. – Dann ist das stimmig." Das ist nicht so. Die Gegebenheiten sind völlig unterschiedlich. Das Publikum hier will nicht aufgehalten werden. Im Gegensatz dazu habe ich es in Istanbul erlebt, dass jemand abends um neun auf der Straße angefangen hat zu spielen und blitzartig gab es einen Riesen-Menschenauflauf. Die Leute blieben da, sie haben sich die Zeit genommen. Wir hier in Berlin haben nie Zeit. Wir können gar nicht stehen bleiben.
Ich habe noch ein paar andere Dinge im Buch geändert. Zum Beispiel zum Thema Rhythmus. Da bin ich noch etwas kleinteiliger geworden.
Kassandra Knebel: Wie kam es dazu, dass Du das Buch nochmal überarbeitet und rausgebracht hast?
Anke Gerber: Da hat mein Sohn viel angeschoben. Er hat mich motiviert, das Buch noch mal raus zu bringen. Eigentlich bin ich faul und hatte keine Lust, die viele Arbeit auf mich zu nehmen. Aber ich habe es ihm versprochen und auch vielen meiner Studenten. Ich bin immer wieder darauf angesprochen worden. Das Buch gab es ja schon lange nicht mehr. Es war unglaublich teuer es gebraucht zu kaufen, teilweise über 100€.
Kassandra Knebel: Ja - und es ist eines der wichtigsten Lehrbücher für Pantomime.
Anke Gerber: Eigentlich ist Pantomime gar nicht mein Hauptfach. Viele Menschen denken das, aber es ist nicht der Fall. Aber ich habe inzwischen das Gefühl, dass man über die Pantomime schützend die Hände halten sollte, weil sie an so vielen Stellen aussortiert wird, für tot erklärt wird und andere sagen dann wieder – das ist ganz toll.
Kassandra Knebel: Du wirst als Pantomimin wahrgenommen, sagst aber, Du bist das gar nicht unbedingt. Was bist Du dann?
Anke Gerber: Dass ich als solche wahrgenommen werde, liegt vor allen Dingen an dem Buch. Weil ich damit bekannt geworden bin. Deshalb nehmen die Leute an, dass das mein Hauptfach ist. Was meine Auftritte betrifft, bin ich hauptsächlich mit Clownerie unterwegs gewesen, dann mit Tanzabenden aller Art und auch mit Sprechtheater. Mit Pantomime zwar auch, aber von der Anzahl her weniger als in den anderen Sparten. Ich war von Anfang an nicht der Meinung, dass es nötig ist, die Pantomime zu isolieren - und zu sagen, ich nutze die Mittel im Sinne der klassischen Pantomime wie Marceau sie entwickelt und vorgegeben hat. Die gab es ja vorher so nicht. Es ist tatsächlich so, dass Marceau, also ein einzelner Künstler, dieses ganze Fach in der Art, wie wir es heute kennen vorgebracht hat.
Kassandra Knebel: Wo kann man denn die Bücher kaufen?
Anke Gerber: Auf unseren Webseiten: Choreobuch und Anke Greber
Kassandra Knebel: Was auf Deinem Lebensweg war entscheidend oder wichtig für dich?
Anke Gerber: (Lacht) Das Wichtigste war wahrscheinlich die Kindheit, was man immer erst sehr viel später merkt. Meine Mutter hat auf einem kleinen Dorf, wo sie in der Nachkriegszeit hin geraten war, gemeinsam mit meinem Vater quasi für mich eine Tanztruppe auf die Beine gestellt. Ich habe mit drei Jahren angefangen aufzutreten. Mit Folklore. Da habe ich ganz viele Formations-und Kreisgeschichten, ganz viel Geometrie und Rhythmik mitbekommen. Mein Vater hat adäquat dazu ein Dorforchester mit 20 Kindern installiert. Und ich stand mit sechs Jahren dort an den Pauken. D.h. ich habe den ganzen Kram rhythmisch stabilisieren müssen.
Das ist mir erst viel später aufgegangen, dass ich von daher Zugänge hatte zu Rhythmus und zu bestimmten Bewegungsformen. Das war ein großer Vorteil. Wenn du das einmal rhythmisch intus hast, das hilft.
Und dann ging es in meinem Leben hin und her. Ich habe drei Berufe gelernt. Das eine ist Maschinenbauer, dann habe ich Philosophie studiert und auch ein Diplom gemacht und dann habe ich eben eine Tanzausbildung gemacht. Ich bin Bühnentänzerin, ausgebildet an der staatlichen Ballettschule Berlin. Und wenn man das zusammen zählt, dann kommt Pantomime dabei raus. So in etwa. (Lacht)
Kassandra Knebel: Was waren wichtige Stationen in Deinem künstlerischen Werdegang?
Anke Gerber: Für mich war ganz entscheidend, dass ich Clownerie gemacht habe. Und für mich war sehr entscheidend, dass ich mit der Gruppe Bayon – alte DDR Bürger kennen die noch – Solotanzabende gemacht habe. Dabei habe ich sehr viel improvisiert und sehr viel über Musik gelernt. Meine Lieblingsproduktion war „Deutschland ein Wintermärchen" von Heinrich Heine. Das haben wir zu dritt gemacht. Der Cellist von Bayon, der aus Kambodscha stammt und in Weimar klassisches Cello studiert hat, Clement de Wroblewsky an der Stimme und ich an der Bewegung und auch an der Stimme. Wir haben zu dritt fast anderthalb Stunden lang das Stück gerockt. Das war großartig! Das ist die schönste Produktion.
Ich habe ganz viele verschiedene Produktionen mit tollen Leuten gemacht, aber das würde jetzt zu weit führen.
Und ansonsten habe ich in meinem Leben einfach wahnsinnig viel Schwein gehabt: Leute kennengelernt, Glück gehabt, dass an irgend einer Stelle gerade etwas ging und bin wirklich verwöhnt worden.
Kassandra Knebel: Wie siehst du die Pantomime jetzt?
Anke Gerber: Eigentlich sehe ich die Pantomime wie immer. Das sind die Leute, die keine Requisiten benutzen und auf der Bühne möglicherweise mehrere Rollen abwechselnd spielen, so wie es den meisten Leuten von Marceau her im Kopf ist. Das ist ein sehr kleines Gebiet und es kommt darauf an, ob sich Leute finden, die Spaß daran haben, das zu machen. Wenn es Leute gibt, die das gut spielen, dann finden sich immer auch Leute, die das sehen wollen. Das ist nicht das Problem. Wenn es allerdings Leute gibt, die immer noch das weiterspielen, was wir vor 30 Jahren auch schon gespielt haben und die als Darsteller nicht so ganz überzeugend und nicht super fit sind, dann kuckt es sich keiner an. Dann ist es nichts Neues, sondern es ist wie ein Witz, den man schon mal gehört hat: den möchte man nicht noch einmal hören. Insofern hängt das ganz doll von den Darstellern ab. Das hat sich meiner Meinung nach nicht verändert. Marceau war ein begnadeter Spieler. Ich glaube, der konnte gar nicht nicht spielen. Und immer da wo Leute auftauchen, die so sind, wird es Pantomime geben. Zwischendurch wird sie vielleicht auch mal wieder nicht da sein und dann wird sie wieder aufblühen, immer in etwas anderer Weise. Wenn man Pantomime etwas weiter betrachtet und sagt, das ist die Grundlage für Bewegungstheater - also: wie bewegt man sich auf der Bühne – dann ist Pantomime sowieso allgegenwärtig, immer da gewesen und bleibt immer da. Ich sehe das ganz entspannt.
Kassandra Knebel: Was hat sich verändert?
Anke Gerber: Was sich verändert haben sollte, sind unbedingt die Themen und das hat es nur zum Teil getan. Aber es gibt auch Veränderung. Zum Beispiel gibt es in Tschechien, wo es auch eine ziemlich intensive Ausbildung gibt, einen Haufen junge Leute, die tatsächlich Heutiges auf die Bühne bringen. Zum Beispiel gibt es eine Truppe von jungen Frauen, die das Stück "Push the Button"gespielt hat. Da geht es um Computerspiele. Das Stück ist super witzig. Sie spielen Computerfiguren nach: die ganzen abgehakten Bewegungen und so weiter, d.h. da sind Bewegungsformen drin, die es früher nicht gab.
Oder zum Beispiel Electric Boogie oder Breakdance – also zum Beispiel die Möglichkeit durch den Körper Wellen fließen zu lassen, was eine Grundlage der Pantomime ist – das ist in der Kulturszene und der Tanzszene in den letzten 30 Jahren sehr präsent geworden. Von daher hat die Pantomime auch neue formale Aspekte bekommen.
Insofern haben sich die Themen verändert und die Technik ist reicher geworden. Natürlich hat sich das Publikum auch verändert, d.h. die Leute sind frecher. Die Pantomime muss auch frecher sein! Wenn es einfach nur nett ist und man froh sein muss, dass man erkennt, was gespielt wird – das reicht nicht. Am Anfang der Pantomime war das zum Teil ausreichend. Damals war die Sache noch so neu und faszinierend. Das ist wie bei dem Witz, wenn er das erste Mal erzählt wird. Da ist er ja wirklich lustig.
Natürlich muss man auch schauen, welches Publikum interessiert sich für was? Welche Gewohnheiten haben die Leute? Es geht heute alles viel schneller. Die Leute sind es gewohnt in wahnsinnigem Tempo Bilder zu rezipieren, in schneller Abfolge. Da tut zwischendurch mal eine Zeitlupe richtig gut. Das ist ein Thema, das man nehmen könnte. Da habe ich schon eine ganze Menge Themen, die ich wüsste, die sich lohnen würden für die Pantomime und die noch nicht bearbeitet worden sind.
Kassandra Knebel: Was ist der Stand der Pantomime? Was passiert in der Szene?
Anke Gerber: Im Jahr 2017 haben wir einen ziemlich lustigen Ausblick: Wir haben gerade ein Pantomimen-Festival, das MIME>Berlin 2017 gehabt. (Anm. d. Redaktion: wir haben darüber berichtet) Ein Drittel der Sachen war richtig gut. Es ist auf jeden Fall eine super Initiative, die von Leuten stammt, die selber spielen. Das Festival ist aus der Szene entstanden und nicht über Lehrer oder Institutionen. Und es war eine Woche lang knackevoll. Das hätte ich nicht gedacht, wenn mir das vorher jemand erzählt hätte. Es gab dort etliche Leute und Namen, wo man sagt, da geh ich wieder hin, wenn die wieder auftreten. Übrigens war es auch sehr professionell organisiert.
Und, wie gesagt, in Prag gibt es auch eine sehr interessante Szene. In Tschechien gibt es sowieso mehr Pantomime, zum Beispiel eine Menge Festivals, verteilt übers ganze Land.
Kassandra Knebel: Wie siehst du die Zukunft der Pantomime?
Anke Gerber: (Lacht) Wenn es gute Leute gibt, die sie machen, dann hat sie eine Zukunft. Und wenn es weder Publikum noch Spieler interessiert, dann hat sie eben keine Zukunft. Ich glaube nicht, dass sie dadurch völlig verloren geht. Das hat Marceau so übrigens auch schon vor über 25 Jahren gesagt: die Pantomime ist so zukunftsträchtig wie die Spieler. Nichts anderes.
Und sonst irgendetwas prognostizieren zu wollen ist schwierig. Ich weiß ja auch nicht, wie das Wetter im nächsten Sommer wird. Wer hätte es vor Kurzem für möglich gehalten, dass es in Frankreich einen Macron und in den USA Trump geben würde? Niemand. Wir sind in der Kunst vielleicht ein bisschen stabiler als in der Politik, aber eben auch nicht wirklich viel. Wir können einfach nur die Daumen drücken, dass das kleine Festival MIME>Berlin, das dieses Jahr stattfand, sich spätestens im übernächsten Jahr wiederholt.
Kassandra Knebel: Wo trifft man Dich?
Anke Gerber: Momentan bin ich viel in Österreich. Diesen Sommer unterrichte ich in Wien und in Graz. Da bin ich auch sonst ziemlich oft. Hin und wieder bin ich in Berlin und gebe da Workshops. Ich bin ansonsten viel unterwegs und unterrichte überall. Das kann man auf meiner Homepage sehen.
Kassandra Knebel: Danke!
Redaktion: Kassandra Knebel
Bildnachweis:
Portrait Anke Greber Foto: Floris Greber
Buchcover "Bewegung inszenieren" Foto/Gestaltung: Christian Mattis
Training Foto: Christian Mattis
Bewegungsstudien aus "Anatomie der Pantomime" Foto: Clement de Wroblewsky
Buchcover "Anatomie der Pantomime" Foto: Clement de Wroblewsky Gestaltung Floris Gerber