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    Rückblicke

    Bevor der Sommer mit all seinen Festivals in die heiße Phase geht, hier das neueste aus der Frühjahrskollektion der regionalen Bühnen.

    Wie nun schon seit 1972 wurde auch in diesem Februar der Deutsche Kleinkunstpreis im Unterhaus in Mainz verliehen. Mit Lisa Pollit, die den Preis in der Kategorie Kabarett erhielt, hat die Jury scheinbar wieder auf die Berechtigung des politischen Kabaretts hingewiesen. In ihrem Programm findet sich denn auch die enttäuschte Linke im Kabarett wieder, das einstmals deren Wohnzimmer war; frei nach dem Motto: man weiß ja, wer der Feind ist. Der sitzt aber jetzt in den eigenen Reihen, so z. B. die Grünen. „Ich hätte nie gedacht, dass auch ich eines Tages sagen würde, ich wäre nie in der Partei gewesen.“ Hagen Rether erhielt den Förderpreis der Stadt Mainz. Mit seinem Programm, als Barpianist verkleidet, kredenzte er bitterböse Satire. Gleich mit zwei Preisträgern war die österreichische Szene vertreten. Der unter dem Namen Gunkl bekannt gewordene Wiener Günther Paal überzeugte die Jury mit seiner Wortakrobatik. Das Wiener Urgestein Gerhard Bronner, der bereits in den 50er-Jahren in der Nachkriegsszene aktiv war, erhielt den Ehrenpreis in der Sparte Chanson/Lied. Wenn er am Klavier sitzt, weiß man, wo der Wiener seinen Charme her hat.

    Aber auch der Rest der 79. Spielzeit hatte bisher schon einiges zu bieten. Matthias Deutschmann stellte sein 11. Solo-Programm „Staatstheater“ vor. Beim gleichnamigen „Staats-Theater“ zeigte er hinter den Kulissen, wie es im Staat zugeht, wenn sich 2006 ganz Deutschland im Fieberwahn des WM-Finales befinden wird. Wie mit dem Galgenhumor eines melancholisch-verschmitzten Hofnarren entlockte er seinem Cello auch zu diesem Thema schräge Töne.

    Die großen Namen waren in Mainz natürlich auch wieder am Start. Gerd Dudenhöffer stellte mit „Wiederspruch“ den ewig nörgelnden Heinz Becker in ausverkauften Vorstellungen in seinem neuen Programm zur Premiere vor.

    Dieter Hildebrandt hat mit „Vorsicht Klassik“ seine Liebe zur klassischen Musik entdeckt und zusammen mit den Philharmonischen Cellisten Köln ein Programm entwickelt, das zwischen Chopin und Johann Strauss Bissiges wie seit langem nicht mehr vom Scheibenwischer-Urgestein bietet. Da musste dann schon mal die Mainzer Phönixhalle gebucht werden. Ganz klar in die Comedy-Ecke ging natürlich das neue Programm von Mundstuhl; das Frankfurter Duo gastierte passend im Frankfurter Hof, der ebenso ausverkauft war. Gleichsam gern gesehen spielte Dieter Nuhr mit „Ich bin’s Nuhr“ im Unterhaus und in der Phönixhalle, was die Tatsache unterstreicht, dass er den Spagat zwischen Deutschem Kleinkunstpreis und Deutschem Comedy-Preis immer noch bravourös meistert.

    Lars Reichow, Mainzer Lokalmatador und Mann an den Tasten, stellte im Mainzer Staatstheater sein neues Programm „Glücklich in Deutschland“ vor. Er will die Depression besiegen und der empfindsamen deutschen Seele vorsichtig Optimismus einhauchen. Wie nötig das anscheinend ist, zeigte sich am ausverkauften ersten Haus am Platze. Einen Teil seiner „Rheinischen Trilogie“ stellte Konrad Beikircher im Frankfurter Hof vor. Mit „Himmel un Ääd“ porträtiert er den rheinischen Katholizismus mit alten und neuen Programmteilen.

    Zur absoluten Vorpremieren-Bühne in der Gegend hat sich die Kleine Kunstbühne in Saulheim emporgearbeitet. So hatte auch Lars Reichows neues Programm dort schon seine Vorpremiere, bevor es im Staatstheater zu sehen und zu hören war.

    In „Jubilee“, mit Pomade und Menjou-Bärtchen bewaffnet, wand sich der Filou Robert Kreis auch dieses Mal wieder durch amouröse Abenteuer und Verwicklungen in Liebesdingen. In Saulheim wandelte auch Aca & Pella Mitglied Tobias Mann auf eigenen Pfaden. In seinem ersten Solo-Programm „Man(n) sieht sich“. Ganz ohne Unterstützung suchte er die Entscheidung. Die Qualen und Unsäglichkeiten eines End-Zwanzigers, dargestellt nur mit Gitarre, Klavier und Mundwerk im Anschlag.

    In Wiesbaden sind wie immer das Thalhaus und das Pariser Hoftheater die ersten beiden Adressen, wenn es um Kleinkunst und Kabarett geht. Mit großem Erfolg lief auch in diesem Frühjahr die Subito Impro-Show in immer neuen Varianten. Nach Zurufen sollte es auch möglich sein, ein Familiendrama in einer Telefonzelle stattfinden zu lassen – was wieder einmal bewiesen wurde. Das ausgezeichnete Jazz-Programm im Thalhaus mit seinen vielen lokalen Künstlern (Thomas Bachmann Group – exzellent wie immer, Die Vier Linken Hände – Saxophonpower zu viert, Trillennium und viele mehr) zeigt, wie lebendig die Jazzszene im Rhein-Main-Gebiet ist.

    Die Maul & Clownseuche stellte ihr neues Programm unter das Motto „Ich bring mich jung“. Mit immer neuen Rollenwechseln wurde die Fitlife-Crisis gekonnt auf die Schippe genommen.

    Im Pariser Hoftheater lief mit unermüdlichem Erfolg „Neugier auf Napoli“. Das neapolitanische Theaterstück mit ebensolchen Speisen war bis auf weiteres immer schon ausverkauft, also hieß es, so früh wie möglich reservieren. Ebenso beliebt in der Zuschauergunst auch in diesem Frühjahr wieder Thomas Reis mit „Gibt es ein Leben über 40?“. In der Sparte naturwissenschaftliches Kabarett bat Eckart von Hirschhausen zur „Sprechstunde“. Frei nach dem Motto: Was wir schon immer von unserem Arzt wissen wollten, uns aber nie getraut haben zu fragen. Ins gleiche Horn blies Vince Ebert, der mit seinem Programm „Urknaller – Physik ist sexy“ erfolgreich durch ganz Deutschland unterwegs ist, so auch im Pariser Hoftheater.

     

    Vorblicke

    Das Wiesbadener Thalhaus richtet am 4. Juni ein Sommerfest mit Bühnenprogramm und Openend-Disco aus. Künstler, die dem Thalhaus verbunden sind, zaubern ein buntes Programm auf die Bühne. Vom 16. bis 28. August findet im Schlosspark Freudenberg auch in diesem Jahr wieder das Folklore im Garten Festival statt. Das Programm stand zu Redaktionsschluss noch nicht fest, es lohnt aber auf jeden Fall, sich zu informieren. Neben Musik sind auch immer Kleinkunst und Kabarett vertreten.

    Vom 4. bis 9. Juli findet in Mainz eine ganz neue Veranstaltung statt. Das 1. Mainzer Kirchen-Kabarett-Festival. An fünf Abenden plus Abschlussgala stellt Schirmherr Lars Reichow Kabarett-Programme vor, die mit Christentum und Kirche zu tun haben. Mit von der Partie: Hildegard Bachmann, Ulrike Böhmer, Erstes Allgemeines Babenhäuser Pfarrer (!) Kabarett. Wenn nun schon unser Kardinal den Orden wider den tierischen Ernst verliehen bekommt, war das ja nur noch eine Frage der Zeit.

    In Dexheim hat sich das Weingut Weyell zu einer Top-Adresse gemausert. Dort findet am 26. und 27. August ein großes Kabarett- und Varieté-Festival unter den beeindruckenden Kastanienbäumen des Hofes statt.

    Den ganzen Juni über kann man in den Mainzer Kammerspielen die Zeitgeist Revue mit unterschiedlichen Themen sehen, bevor auch diese Location zeitgeistmäßig in die Sommerpause geht.

    Das kulinarische Erlebnis bezieht auch die KleineKunstbühne in Saulheim ein, wenn sie am 2. Juli mit „La Dolce Vita“ eine Liebeserklärung an Italien präsentiert. Wie schon der alte Goethe lieben auch wir immer noch das „Dolce far niente“ – manche Dinge ändern sich nie.

    Redaktion: Andreas Höflich

    2005-06-15 | Nr. 47 | Weitere Artikel von: Andreas Höflich





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