Serien sind etwas Feines: Man kann sich ein Stammpublikum erspielen, das auch zu Abenden kommt, an denen es die Künstler kaum kennt. Man kann einen regelrechten Kult darum entfachen und sich ein „immer ausverkauft“ ans Revers heften. Und man kann schließlich gar das Fernsehen davon überzeugen, dass so eine erfolgreiche Reihe doch auch fernsehmäßige Konsequenzen haben müsste. So geschehen bei Desimo: Die von Hannovers Plauderzauberer organisierte Reihe „Lindener Spezial Club“ mit Comedy, Kabarett und Kleinkunst an jedem letzten Montag im Monat im nostalgisch-alternativen Apollo-Kino läuft weiterhin so erfolgreich, dass sich auch die große Konzernmama Interbrew entschloss, die Zusage der übernommenen Gilde-Brauerei mitzuübernehmen, und für Lindener-Spezial-Peanuts maximale Sympathiepunkte zu erspielen. Großartig der Saisonabschluss mit Knusper aus Gießen und ihrer schönen neuen Welt deutschen Liedgutes, mit dem „Feministen“ Lutz von Rosenberg-Lipinski und der „preußischen Tina Turner“ Barbara Kuster. So ließ sich auch der NDR überzeugen, es mit einer Humorserie aus Hannover zu versuchen: Mitte Juli wurden zweimal zwei Folgen mit je vier Künstlern aus Norddeutschland im GOP aufgezeichnet, unter anderem mit Deutschlands beliebtestem Postbeamten Hans-Hermann Thielke, Günther dem Treckerfahrer, Komödiant Pinguin, den Kneipen-Philosophen Siggi & Raner, Paradiesvogel Nessi Tausendschön und vielen anderen. Vier Sendungen werden erst einmal ausgestrahlt, ein Versuch. Offenbar gilt der Hannoveraner außerhalb der Stadtmauern als ausgemachter Stockfisch.
Weil das nicht stimmt, sondern in der Stadt an der Leine (so heißt unser Hauptfluss) ein sehr lachfreudiges Völkchen wohnt, starten im Herbst gleich zwei neue Comedy-Serien: In der hiesigen Landesbühne präsentiert Hannovers Kabarett-Senkrechtstarter Matthias Brodowy sein „Bed and Breakfast“: Ab 30. Oktober – der Eröffnung mit „Abend der Narren“ – lädt er immer Samstagabends und Sonntagmorgens jeweils einen Künstler zu Abendprogramm und Matinee. Motto: Wenn einer in der Stadt ist, muss man ihn ja morgens nicht einfach wegschicken. Die ersten Gäste stehen fest: Der Gelsenkirchener Schreibtischtäter Hans Gerzlich führt sein „Bürogeflüster“ vor (5./6.11.), Ludger K. aus Berlin lässt „Große Worte, kleine Gemeinheiten“ los (12./13.11.), Marius Junge präsentiert seine Melange aus Konzert und Spaß namens „Soulcomedy“ (19./20.11.) und die hannoversche Sängerin und Entertainerin Stefanie Seeländer spielt wieder witzig die Diva in „Ganz schön ich“ (26./27.11.).
Das ist das dritte Programm von Hannovers ironischer Diva Seeländer, und mit ihm hat sie sich hierzulande ein sehr gutes Standing erspielt. Sie flirtet und fabuliert, plaudert aus dem Nähkästchen der unfreiwilligen Komik, serviert Skurrilitäten aus Fitnessstudios, Probenräumen und Bäckerläden, demonstriert ostentativ Sexappeal, mit laxem Charme und frivolem Augenzwinkern. Uli Schmid am Klavier ist ein großartiges Pendant mit staubtrocken-stoischem Humor, der die Extravaganzen der Diva erträgt, weil in ihm selbst ein kleiner „Divus“ schlummert.
Seeländer wird deshalb auch in der zweiten Reihe vertreten sein, die im Herbst in Hannover startet: Das Duo mit dem geschmacksstarken Namen Fischbrötchen 1 Euro alias Wolfgang Grieger und Nico Walser lädt – konsequent – zum „Blub Blub Club“, abgekürzt BBC. Geblubt wird immer am zweiten Donnerstag im Monat an einem sich langsam mausernden Veranstaltungsort mit dem schönen Namen „Enercity expo Café“ (was dabei rauskommt, wenn schon Cafés gesponsert werden). Die Fischbrötchen präsentieren je vier Künstler am Abend und machen – ganz wie Desimo – ihre eigenen Späße zwischendurch, legen den Schwerpunkt auf Künstler aus der Region, laden aber auch andere ein – zum Beispiel zu Beginn den Tanzkomödianten Gernot Frischling aus Berlin. Sie suchen noch Comedians, die Metallica-Songs auf dem Alphorn spielen, Nietzsches Philosophie anhand eines Schnittmusterbogens erklären oder ähnlichen Humor versprühen (www.nicowalser.de).
Apropos sprühen: Um zu zeigen, wie eine echte Weltstadt-Rampensau Funken schlägt, fliegt Spaßpunk Kay Ray neuerdings auch regelmäßig in unser Städtchen ein und beehrt uns jeden ersten Donnerstag im Monat im Déjà-vu mit seiner Late Night, die er sonst auch in Schmidts Tivoli abzieht. Schrille, schwule Kindergeburtstage für Große.
Wenn einer eine Serie zum Erfolg führt, dann mag er nicht, wenn andere absahnen. So wurde Hannovers Kulturdezernent Harald Böhlmann mächtig sauer, als plötzlich ein „Kleines Fest im Schlosspark Celle“ auftauchte, das überdies noch Künstler ankündigte, die Böhlmann auch zur 20. Ausgabe des von ihm einst erfundenen, höchst erfolgreichen Events „Kleines Fest im Großen Garten“ gebucht hatte. Zwar gibt es außer in Herrenhausen auch in Ludwigslust und Bad Pyrmont Kleine Feste sowie gelegentliche Ableger anderswo, doch die haben alle denselben Organisator: Harald Böhlmann. Und der erstritt vor Gericht per Vergleich, dass sich der frevelnde Veranstalter aus Hannover verpflichtete, für alle Zukunft kein Kleines Fest mehr zu feiern. Die Celler Veranstaltung war ohnehin abgesagt worden: Die Kopie in der Kleinstadt zog nicht.
Beim Original gab’s zum Jubiläum das rasante Best-of-Programm, gewürzt mit einigen Newcomern. Das Temps-Fort-Maskentheater oder Familie Flöz nahm sich allerdings neben manch zeitgenössischen Comedians wie Oldtimer neben Neuwagen aus; es hat etwas Nostalgisches. Shirlee Sunflower bestieg wieder jede Menge Herren auf der Suche nach dem Vater ihres Babys, Schulze und Schröder ließen beim Ultimate Act stapelweise Keulen wirbeln, während sie mit korrekten Bügelfalten auf dem Hochrad strampelten, Captain Zucchini stemmte sich in Comic-Höschen zur Weltretter-Pose, Les Frites Foutues, die musikalischen Hühner, trompeteten und flöteten, die Gärtner-Puppe Harry Krause schwallte kichernde Gäste über ihren fiesen Alltag voll, Art Tremondo schickte das romantische „Blaurauschen“ durch den Park, Ali Genc verblüffte mit seiner Kunst, das Eis an der Waffel vorbei aufzutischen, Hinz und Kunz machten musikalisch das Parkhaus unsicher und auch Andrée Kupps drohte bei der Gemüse-Dressur wieder den vorwitzigen Würmern: „Ruhe, sonst gehen wir angeln“ – wohl das originellste Figurentheater derzeit. Für eine neue Farbe sorgte die „Anarcho-Comedy“-Gruppe Eure Mütter, die eine Unterhaltung per Schrifttafeln bestritt („Das ist falsch rum!“ – „Gar nicht wahr!“), Kinderfragen wie „Warum gab es noch nie einen Neger in der Formel-1?“ ebenso vertonte wie Klinsmann-Sätze („Das sind Gefühle, wo man nicht beschreiben kann“) und mit ihrer wahrlich spritzigen Darbietung im Synchron-Haarewaschen eindeutig bewies, dass sie würdiger Träger des „Spezialisten“ ist, des Preises des Lindener Spezial Clubs, der alljährlich streng demokratisch vom Publikum vergeben wird. Beim Kleinen Fest führte jedoch ein anderer relativer Neuling die heimliche Bestenliste für die schönst-dööfste Scherznummer an: Herr Fröhlich, die Stimmungskanone, der seinen verlängerten Rücken zum rotzig grummelnden Streichinstrument umfunktionierte: „Wat könnt’ die Welt schön sein, wenn’s nicht so viele Arschgeigen gäbe“, grinst er in schönstem Sauerländisch, geigt „A wonderful world“ und knüppelt noch gleich ein paar Verse hinterher. Musik-Comedy mit hohem Lachfaktor: Der Mann hat uns echt gefehlt. Auf andere Art abgedreht ein weiterer Fest-Neuling: Rigolos Tanzendes Theater, alias Mädir Eugster aus der Schweiz, ließ es ordentlich sprudeln. Wie Neptun in Gummihaut platscht er unter viel Eisnebel aus einem eigentümlichen Aufbau heraus und sprüht aus allen Fingern Fontänen, gurgelt und prustet Wasser – in einem Garten mit so vielen Teichen eine klasse Nummer, vor allem im Abendlicht; nur der Einstieg war langatmig. Doch insgesamt ein tolles Jubiläumsprogramm, das Kleine Fest im Großen Garten bleibt ein Highlight der Saison.
Und sonst? Warten wir, dass Hannovers Diavolo-Nachwuchs erwachsen wird: Bei der Langen Nacht der Theater in Hannover präsentierte sich ein 16-jähriger „Benny“ alias Benjamin Müller kurz vor der Profi-Schwelle; freuen wir uns auf die WM, weil uns Stimmimitator Christian Korten dann noch öfter den Beckenbauer macht: das kann der wirklich klasse; sind wir gespannt auf Langenhagens Comedy-Festival Mimuse vom 15. Oktober bis zum 15. Dezember, das diesmal mit einem Spitzenprogramm 25-Jahres-Jubiläum feiert, mit Gardi Hutter (19.10.), Richard Rogler (19.11.), Volker Pispers und Armin Tölpel an einem Abend (26.11.), der schon jetzt ausverkauft ist, und vielen anderen mehr. Und schließlich sind wir neugierig, wer am 2. bis 5. November mit dem diesjährigen „Fohlen von Niedersachsen“ davontraben darf: Alle zwei Jahre wird der mit 1.000 Euro und einem mehrtägigen Gastspiel dotierte Preis verliehen, diesmal treten sechs Solisten und drei Duos an. Auf den letzten Fohlen-Gewinner Hagen Rether sind wir alle immer noch ein kleines bisschen stolz: Sein Fohlen war wie ein Startbock, von dem sich Rether in die erste Reihe schwang und einen Preis nach dem anderen absahnte. Und wenn der Zopfträger jetzt, klimper-klimper, im TAK an den Tasten sitzt und, klimper-klimper, zwischen seinen eleganten Klavierläufen noch elegantere Bosheiten rausschiebt, klimper-klimper, all das, was die meisten anderen sich nicht zu sagen trauen, dann fühlen wir uns großartig in unserer Wahl bestätigt. Und versuchen uns diesen Herbst getrost wieder als Talentscouts. Vielleicht machen wir ’ne Serie draus. Bis denne,
Redaktion: Evelyn Beyer
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