Traurig stimmte die Nachricht, dass am 31. Januar im Varieté Wintergarten der letzte Vorhang fallen musste. Das Haus, das von Peter Schwenkow, André Heller und Bernhard Paul gegründet und am 25.9.1992 unter dem Traditionsnamen „Wintergarten“ eröffnet wurde, stellt nach 17 Jahren seinen Betrieb ein. Die 68 Mitarbeiter wurden entlassen. Leider gab es für einen solchen kulturellen Leuchtturm in Berlin auch keinen „Rettungsschirm“ von öffentlicher Seite, zum Beispiel in Form einer öffentlichen Beteiligung. Ein großer Verlust für Berlin, was einmal mehr zeigt, dass diese Stadt zwar gerne mit Kultur wirbt, aber in Notlagen ein Theaterhaus nach dem anderen einfach pleitegehen lässt. Kultur ist eine öffentliche Aufgabe und nicht allein in unternehmerischen Kategorien nach Gewinn und Verlust zu bewerten. Doch die Stadt Berlin hat offensichtlich kein Problem mit dem Verlust von Arbeitsplätzen, Unternehmern und Kreativen in diesem Segment.
Zum Hergang: Nachdem im Jahre 2007 die DEAG das Haus an eine Investorengruppe um den bisherigen Geschäftsführer Georg Strecker und den Entertainment-Unternehmer Frank Reinhard verkauft hatte, zeichnete sich schon im Sommer 2008 ein Besucherrückgang ab. Bei der zweiten Eigenproduktion der neuen Betreiber, „Dekolleté“, sanken die Besucherzahlen unter 50 %. Im Juni 2008 musste das Unternehmen einen Insolvenzantrag stellen. Über die letzten Wochen gab es unterschiedliche Meinungen. Die Insolvenzverwalterin sprach gegenüber der „Berliner Zeitung“ von einer negativen Entwicklung der wirtschaftlichen Zahlen in den letzten Monaten, Reinhard bezeichnete das Weihnachtsgeschäft als gut. Als Gründe für den Niedergang des Hauses nannte Reinhard die zu hohen Mieten für die Räume, zu viel fest angestelltes Personal, den Standort Potsdamer Straße, der sich nicht wie erwartet entwickelt habe, und eine fehlende Unterstützung des Senats. Mangelnde Investitionsbereitschaft und die Zurückhaltung der Banken haben dazu geführt, dass die Gläubigerversammlung überraschend schnell entschieden hat, das Unternehmen zu schließen und die Firma aufzulösen. Möglicherweise war die Neuorientierung hin zu einem jugendlicheren Publikum, die die neuen Macher anstrebten, eine Fehleinschätzung.
Die Mitarbeiter wollten mit dem Programm „Hurra, wir leben noch “ vorerst ehrenamtlich weiterarbeiten, das scheiterte an den juristischen Rahmenbedingungen. Ein Sprecher erklärte jedoch, man werde weiter die Gespräche mit allen Beteiligten suchen, um eine Wiedereröffnung zu erreichen.
Das Spitzenprogramm der Wintersaison war sicher „Swan Lake“, die Show aus China beendete mit dem Berlin-Gastspiel ihre Europa-Tournee. 100 Mitwirkende gestalteten die Adaption von Tschaikowskys „Schwanensee“, ein gelungenes Experiment der Verbindung von Ballett und Artistik, bei dem besonders bewundernswert die punktgenaue Arbeit der Artisten auf die Musik war. Höhepunkt war der Pas de deux von Wu Zhengdan als weißem Schwan und Wei Baohua als Prinz, mit dem einbeinigen Spitzenstand der Partnerin auf dem Kopf des Untermanns in Kombination mit akrobatischen Tricks auf Kopf und Armen. Die Darbietung erhielt im Jahre 2002 auf dem Zirkusfestival von Monte Carlo den „Goldenen Clown“. Es gab aber auch viele andere ausgezeichnete Darbietungen, so Schulterperche mit Sprüngen von Stange zu Stange, Rhönradakrobatik mit 20 verschiedenen Rädern, Pas de deux auf dem Einrad oder Salti auf der Wurfstange. Einer der hübschesten Einfälle war der Ersatz der Schwäne im bekannten Tanz der kleinen Schwäne durch vier Frösche mit Handstandsprüngen.
Wie immer in den letzten Jahren hatte Berlin auch seine Weihnachtszirkusse. Zum 5. Mal veranstaltete Zirkus Roncalli im Tempodrom ein Programm mit guten und sehr guten Darbietungen, eine der Spitzennummern waren die Wallendas mit ihrer legendären 7-Mann-Pyramide auf dem Hochseil. Eine Spitzenleistung auf dem Washingtontrapez bot Alain Alegria, ausgezeichnet ebenso die Diabolo-Arbeit von Wei-Liang Lin mit schwierigen Wurfkombinationen und die Arbeit der Gvozdetskys am Russischen Barren mit schwierigen Saltokombinationen. David Larible gehört sicher zu den gegenwärtig besten Clowns, von der ersten Reprise an wird er zum Liebling des Publikums, ob mit seiner Ballettparodie, dem Tellerfang oder der Opernparodie, die beiden letzteren immer unter Einbeziehung von Personen aus dem Publikum, die in der Regel begeistert mitmachen. Das Programm wirkte in sich geschlossen, auch wenn die Clownerie und das Ballett relativ häufig eingesetzt wurden. Einen wesentlichen Anteil daran hatte auch das Roncalli-Orchester unter Georg Pommer, das immer wieder zeigte, wie wichtig ein gutes Orchester für ein solches Programm ist.
Zirkus Berolina bot mit „Menschen, Tiere, Sensationen“ in diesem Jahr ein erfreuliches und sehenswertes Programm, bei den Tierdressuren waren das vor allem der gut laufende 16er-Zug Araber und Friesen von Patrick Spindler, die Elefantendressur aus sieben afrikanischen und indischen Tieren und die selten zu sehende ungarische Post von Giovanni Spindler. Im akrobatischen Teil war die Schleuderbrettarbeit der Cretzu der Höhepunkt. Vielversprechend ist die Jockeyreiterei der Kinder der Spindler-Familie.
Im Berliner Weihnachtszirkus des Zirkus Voyage gab es u. a. eine russische Flugtrapezdarbietung, die allerdings durch den Austausch des Fängers nach einem Unfall einige Schwierigkeiten hatte. Zirkus William stellte im Weihnachtsprogramm seine jungen weißen Tiger vor.
Der Friedrichstadtpalast bot im Dezember als weihnachtliche Variante der laufenden Revue „Qi zu Weihnachten“ und vier Vorstellungen von „Qi zu Silvester“ mit Desirée Nick und die traditionelle Kinderrevue, dieses Mal „Die Kinder der Bounty“, die in der ersten Märzhälfte noch einmal wiederholt wird. Zum Kinderensemble des Revuetheaters zählen übrigens knapp 300 Mitglieder aus über 15 Nationen, von denen bei jeder Vorstellung 110 Mitglieder auf der Bühne stehen.
Wodarz’ Palazzo hat bis 28. März verlängert, ebenso bis 3. Mai die Produktion „myLife“ im Chamäleon.
Mit der Schließung des Wintergartens fehlt nun in Berlin ein internationales Varieté, denn Chamäleon und Friedrichstadtpalast mit ihren anderen Konzepten und langfristig angelegten Produktionen können ein klassisches Nummern-Varieté nicht ersetzen.
Redaktion: Dietmar Winkler
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