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    Neue Wege gehen

    Das "Sich anpassen müssen" ist gerade im Bereich der Musik mehr als unbeliebt. Den Dingen den eigenen Stempel aufdrücken, kreativ sein, interpretatorisches Geschick zeigen, kurz - sich in der jeweiligen Szene gerade aufgrund seiner Individualität zu behaupten, ist das Ziel eines jeden Musikers, Musikschaffenden, Künstlers. Dennoch gibt es Bereiche, in denen man sich anpassen muß, um nicht hinter den Entwicklungen dieser wie auch immer schnellebigen Gegenwart zurückzubleiben. Konkret heißt das: Handgemachte Musik samt dem dazugehörigen Künstler wird vermehrt mit den  Mitteln vermarktet, die die moderne Kommunikations-Elektronik bietet. So wie die Zeit der Schellackplatten in die Zeit der Singles und Lp´s und dann die der CDs mündete, so führt der nächste Schritt auf die Datenautobahn. Konzertankündigungen, Hör- und Klangbeispiele (Demos) verbreiten, sich bild-, text- und tonmäßig vermarkten, Promotion mit allem was dazugehört, findet zunehmend im Internet statt. Und auch und gerade die Veranstalter nutzen schon jetzt dieses Medium, um sich auf dem Kulturmarkt umzusehen und umzuhören und auch zu buchen. Sich an diese Entwicklungen anzupassen, ist also unumgänglich. Gelegenheitssurfer sind mit Sicherheit schon auf Internetadressen wie etwa das "Internet-Magazin"  gestoßen, die auch über den Musikmarkt im world - wide - web informieren. Und die Profi - Surfer haben mittlerweile ihre sites, in die sie reinhören und -sehen können, längst gefunden. Der Aufwand, sich einen Internetzugang zuzulegen, lohnt auf alle Fälle. Internet-Inserate sind aber erst dann werbewirksam, wenn diese gleichzeitig in Printmedien oder Rundfunk oder Fernsehen oder auf den Flyern  bekanntgemacht werden. Und Künstler, die diese neuen Promotionweg gehen, haben dann auch ihre eigene "domain". Joe Wulf etwa, Posaunist der Weltelite, Bandleader, Arrangeur und Dozent an der Uni Köln, informiert seit geraumer Zeit über seine Aktivitäten (www.jazzmusik.de). Über das Internet  sind genauso Buchungen möglich wie über seinen neugegründeten Fanclub.  Interessant anzusehen - schon allein wegen der graphischen Gestaltung - ist die domain "Plattplanet" (www.plattplanet.de), die über die norddeutsche Musikszene vor allem im Folk-Bereich informiert.

    Dies sind nur zwei Beispiele von einer Reihe, die sich schon jetzt beliebig bis ins Unendliche fortsetzen ließe. Sie zeigen, wie notwendig es ist, die neuen Werbe- und Info-Wege zu gehen, und sie zeigen zugleich die großen Chancen und auch Erleichterungen - wie etwa die Reduzierung des Mailing-Aufwands , die sich daraus ergeben. Mag sein, daß ihr hier auf den Musikseiten von TROTTOIR  momentan diese Ausführungen nicht erwartet.  Ich bin aber der festen Überzeugung, diese Tendenzen hier einfach beschreiben zu müssen, weil die Zukunft schon begonnen hat, und nicht zuletzt weil es sich zukünftig immer wieder ergeben wird, auf Internet-Themen und Internet-Ereignisse hinzuweisen. Bei all den "bits and bites", bei aller Beschäftigung mit Begriffen wie "domain", "site", "server" und "links" wird sich aber zumindest in der näheren Zukunft  nichts daran ändern, daß die gebuchten Künstler bei den Veranstaltungen höchtspersönlich anwesend sein werden - daß "Livemusic" die Leibhaftigkeit des Künstlers impliziert. Das mag für viele von uns   - und auch für mich - tröstlich sein. Und meine Erfahrung lehrt mich halt auch, daß Konzerte um Vieles reizvoller sind als eine CD, sei sie auch noch so perfekt produziert.

    Großen Erlebnischarakter hatte eine als Kabarettabend angekündigte Veranstaltung mit Ernst Heimes. Bislang lag der Schwerpunkt dieses Mannes auf der Literatur. Heimes ist Autor von Romanen, Dokumentationen und Poesie. Auch als Kabarettist ist er bereits aufgetreten und nun zu dieser Kunstform zurückgekehrt. Derzeit tourt Ernst Heimes mit seinem Soloprogramm "Die Nacht geht Farben holen".  Was mich an Heimes fasziniert, ist seine Riesenbegabung, Sprache als Klang und als Musik zu präsentieren. Einzelne Wörter, Silben und Sätze werden in ihre rhythmischen und tonalen Bestandteile zerlegt. Und das Großartige daran ist, daß sie dadurch nicht als Sinnträger verlorengehen, sondern eine immense Dynamik entwickeln und ohne Probleme von jedermann verstanden. Man könnte das Ganze vielleicht als "Silben- oder Buchstaben-Rap" bezeichnen.   Im entferntesten Sinn hat es vielleicht auch mit Dadaismus zu tun. Heimes selbst bezeichnet es als "Didiastisches Autschklabautsch".  Aber das trifft es auch nicht. Man muß es einfach erleben. Man muß auch erleben, wie dieser Mann singt, wie feinfühlig Worte und Musik aufeinander abgestimmt sind.  Heimes ist für mich die Entdeckung dieses Jahres und mein absoluter (Geheim-)Tip. 

    Auf neuen Wegen befindet sich auch Paul Mc Cartney. My Cartney goes Classic. Jenseits der Beatles und seiner Formation "Wings" hat er mit seiner sinfonischen Komposition "Standing Stone" einen Ausflug in klassische Gefilde unternommen.  Mc Cartney verdichtet darin  lose aneinandergereiht seine Empfindungen und Eindrücke etwa so mystischer keltischer Orte wie "Stonehenge".  Es ist nichts Außergewöhnliches, wenn Musiker die Grenzen ihres Genres überschreiten und Neues probieren. Und befremdlich ist es schon gar nicht. Selbst die großen Symphonieorchester der Welt setzen sich mit Jazz und Pop auseinander und spielen dann auch die Beatles wohl mal symphonisch. Also sei auch der umgekehrte Weg legitim. Zudem gehört für mich dieser Ex-Beatle zu den größten Kompositionsgenies dieses Jahrhunderts, wenn ich auch zugeben muß, daß einige seiner Werke aus der "Wings-Aera" zu Zeiten der Beatles wohl nicht veröffentlicht worden wären und ihre letzte Ruhe eventuell sogar in irgendeinem Mülleimer gefunden hätten.

    Auf dem Weg, genauer gesagt, auf "World Tour" ist zur Zeit auch der Keyboarder, Pianist und Komponist Joe Zawinul. Er gehört spätestens seit seiner Mitarbeit in "Wheather Report" zu den ganz Großen im Jazzgeschäft, und ist wohl auch im Pop ebenso bekannt. Über ihn und seine derzeitigen Begleiter "The Zawinul Syndicate"  muß man eigentlich keine Worte verlieren. Zawinul ist ein Begriff, sein Name steht für Fusion, für  "Weltmusik" und seine Konzerte sind einfach grandios.

    Auch über Charly Mariano bräuchte man im Grunde nichts zu sagen. Dieser Saxophonist, der über jeden Zweifel erhaben ist und selbst die zärtlichsten Liebeserklärungen  durch sein Instrument flüstern kann, ist schon in fast allen denkbaren musikalischen Gruppierungen zu hören gewesen. Legendär sind unter anderem seine Tournee mit Konstantin Wecker oder auch seine Auftritte mit dem begnadeten Pianisten Jasper van´t Hoft. Jetzt hat er sich für eine Tour dem Berliner Klassik-Gitarren-Duo "Saitensprünge" angeschlossen. Ich freue mich schon darauf, diesen Ausnahmemusiker demnächst erleben zu dürfen.  Mariano ist durchaus in der Lage,  erhellend auf das Gemüt zu wirken. Das ist  in diesem verregneten Spätsommer bzw. Frühherbst manchmal notwendig.

    Wenn ihr diese Ausgabe von TROTTOIR in den Händen haltet, wird Weihnachten nicht mehr weit sein.  Laßt euch nicht von dem Geschenkestreß schlauchen. Verschenkt CDs oder Konzertkarten.  Beides bekommt ihr unter anderem in Musikgeschäften oder übers Internet.

    Ich finde das irgendwie inter-nett !

    Frohe Weihnachten,  guten Rutsch ins letzte Jahr dieses Jahrhunderts -

    und bis in  Bälde!

    Euer Bernhard Wibben

    1998-12-15 | Nr. 21 | Weitere Artikel von: Bernhard Wibben





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