Heute greifen Musiker kaum mehr in irgendwelche Trickkisten, um ihrem Publikum als Klassiker den Jazz oder als Rockgitarrist die Klassik „unterzujubeln“. Ganz offen und mit immer mehr Selbstverständnis werden Genres gleichberechtigt in einem Konzertprogramm nebeneinandergestellt. Das soll auch in diesem Textbeitrag so sein.
Es gibt sie noch – oder besser – seit 2000 wieder. Die Band The Animals gründete sich 1962 und begeisterte mit einer genialen Mischung von Rhythm & Blues, Soul und dem good old Rock’n’Roll. Markant war natürlich die Stimme von Eric Burdon, der die Animals 1966 verließ, nachdem die Formation zur größten Konkurrenz der Beatles und Stones avanciert war. 1969 brach die Band endgültig auseinander.
Mehrere Versuche, musikalisch als Ur-Animals noch einmal wieder zusammenzufinden, waren relativ erfolglos. 1992 arbeiteten die Animals erneut sehr erfolgreich zusammen und absolvierten eine vielbeachtete Welttournee. Danach wurde es wieder ruhig um die Bluesrocker.
2000 allerdings hatte Gitarrist Hilton Valentine die brillante Idee einer Reunion, die in wechselnden Besetzungen bis heute unter dem Namen THE ANIMALS & FRIENDS arbeitet. Ihre großen Hits spielten die Animals in neuen Versionen ein und waren damit auf Europatouren, bei denen sie große Begeisterung entfachten. In diesem Jahr setzt sich die Band zusammen aus John Steel, Drums, und Micky Gallagher, Keyboards, die beide zur Originalbesetzung gehören, sowie Peter Barton, Bass, ex-Swinging Blue Jeans, und dem Gitarristen John Williamson, der unter anderem schon mit Smokie auf der Bühne stand. Absolut Spitze ist ihre Musik immer noch, unvergessen und nach wie vor mitreißend kommen Titel wie „House of the rising sun, „It’s my life“, Don’t let me be misunderstood“ oder „When I was young“ rüber. Live sollten Sie diese Band nicht versäumen.
Eine weitere lebende Legende ist immer noch und immer wieder neu auf Tour. 1969 stand Miller Anderson bereits auf der Woodstock-Bühne, als Gitarrist und Leadsänger der Keef Hartley Band. Seither spielte er in Formationen wie Savoy Brown, Chicken Shack, T. Rex und der Spencer Davis Group, mit der er seit 15 Jahren regelmäßig unterwegs ist. Mit Chris Farlowe war er für dessen neues Album im Studio. Und seine mittlerweile fünf eigenen Tonträger, davon vor allem die vor kurzem erschienene neue CD „Chameleon“, zeigen die musikalische Bandbreite des Gitarrenmanns. Jetzt ist der Schotte zurückgekehrt zu seinen Wurzeln. Der Blues hat ihn wieder. Aber Blues ist live immer spannender, zumal mit Miller Anderson so bodenständige und erfahrene Musiker wie Bassist Kris Gray (ex-Edgar Broughton Band), Drummer Klaus Schenk sowie Frank Tischer am Keyboard auf der Bühne stehen. Da ist „Blues at its best“ garantiert.
Immerhin schon 28 Jahre gemeinsam auf der Bühne, mehr als ein Dutzend CDs, der Tonträger „Latin“ nominiert für den Grammy in der Rubrik „Best Classical Crossover Recording“ und 2005 dann der Grammy in genau dieser Sparte für „Guitar Heroes“ – das sind nur einige wenige Stationen auf dem musikalischen Erfolgsweg des Los Angeles Guitar Quartet. Es entstand 1980 auf Anregung keines Geringeren als Pepe Romero. Seither sind die vier Musiker John Dearman, William Kanengiser, Scott Tennant und der für den ausgestiegenen Andrew York seit 2006 mitspielende Matthew Greif aus der Gitarristik nicht mehr wegzudenken. Sie sind Garanten für hochqualifizierte Musikdarbietungen und leidenschaftliche Interpretationen, bei denen der Spaß am gemeinsamen Musizieren eine große Rolle spielt. Ihr Bühnenprogramm ist extravagant, ist Crossover-Klassik-Programm. Da ist Rossinis Overture zu „Il Barbiere di Siviglia“, ein mit vier Gitarren orchestral arrangiertes Feuerwerk von virtuosen Kapriolen und pulsierenden, mitreißenden Rhythmen. Grandios umgesetzt, erfrischend neu und irgendwie aufgepeppt klingt dann auch Bachs „Brandenburgisches Konzert Nr. 6“ so, wie Bach heute klingen muss: energisch, fließend, tiefgründig und einfach wunderschön. „Four American Classics“ sind echte Kleinode. John Phillip Sousas marschierendes schwarzes Pferd, Count Basies swingendes „Jumpin’ at the Woodside“ oder die Ode an den Shenandoah und dessen beschauliche Flusslandschaft und auch Aaron Coplands Rodeo- und Squaredance-Impressionen in „Hoe-Down“ – direkt landen die Stücke über die Ohren der Zuhörer in deren Herzen. Absolut genial und angefüllt mit musikalisch überraschenden Miniaturen gelingt den Musikern die Präsentation der Imagens de Brasil, in denen die Charakteristika brasilianischer Musik einem Reiseführer gleichen. Die Faszination dieses Landes etwa in Jobims „O Morrro Nao Tern Vez“ oder die atemberaubende Ausgelassenheit im „Furiosa“ von Bellinati waren echte Highlights der Gitarristik und machen es dem Musikfreund schwer, die Einflüsse von Weltmusik, Folklore und auch Jazz zuzuordnen. Dem Musikgenuss tut das keinen Abbruch.
Würde man diskutieren wollen, was Musik denn eigentlich ist, wäre die Antwort des Gitarristen Marcin Dylla: Das, was er spielt, das, was „rüberkommt“, das, was begeistert.
Nicht zuletzt aufgrund seiner großen Virtuosität gehört Marcin Dylla sicherlich zu den bemerkenswertesten Klassikgitarristen der Gegenwart. Der 1976 in Chorzow, Polen, geborene Künstler spielt Gitarre, seit er 8 Jahre alt ist. Seine brillante Technik und seine filigranen Interpretationen haben bei renommierten Festivals seither immer wieder die Jurymitglieder überzeugen können. Mittlerweile wurde Dylla mit 19 ersten Preisen ausgezeichnet und ist auf den großen Konzertbühnen der Welt zu Hause, wie Auditorio Nacional Madrid oder Philharmonie St. Petersburg.
Mit den ersten Tönen der Variationen über ein Scriabin-Thema von Tansman fühlt sich der Zuhörer bereits mitgenommen und geborgen in der Zauberwelt der Saitentöne, in der klanglichen Eleganz, mit der Dylla dieses Werk meditiert, in der der Rhythmus mit dem Puls mitgeht und der Harmonik verhaftet bleibt.
1929 schrieb der Mexikaner Ponce seine viersätzige „Sonata Romantica“ als Hommage an Schubert und wohl auch in der Hoffnung, Dylla würde dieses Werk einmal interpretieren. Der Gitarrist macht genau das, und muss den Vergleich mit Segovia nicht scheuen. Sorgsam und mit Esprit entwickelt Dylla das tänzerisch-fröhliche Element, lässt Tonreihen fließen, versieht Dynamik und Temperament des dritten Satzes mit unermesslicher Spannung und macht die ganze Kraft des Allegro non troppo körperlich spürbar.
Mit frenetischem Beifall bejubeln am Ende des Konzertes die Zuhörer nicht nur die Interpretation dieses Stückes. Bei der „Music of Memory“ des Briten Nicholas Maw ist Dylla der sichere Dramaturg einer Musik, die ein Mendelssohn-Thema synthetisiert. Am Ende klingt dieses Thema in der Umsetzung durch Dylla – mit Verlaub – noch schöner.
In ein und demselben Text Klassik und Rock, Blues oder Pop nebeneinanderstehen zu lassen, ist immer weniger Grund für Diskussionen. Selbst „gestandene“ Musiker geben mittlerweile zu, dass die Grenzen sehr fließend sind. Und sie lassen die Genres zusammenfließen zu guter Musik. Ganz vorn und grenzenlos musikalisch sind seit eh und je die bayrischen Biermösl Blosn. Seit Anfang der 80er-Jahre sind die drei Brüder Christoph, Michael und Hans Well als urbayrisch-urkomisch und ur-ernsthaftes Bayern-Terzett unterwegs. Schon im Schulalter standen sie zusammen mit der Familie bei Vereinsfeiern und Volksmusikabenden auf den Bühnen der umliegenden Dorfgasthäuser. Mittlerweile haben sie sogar die „großen Bühnen“ erobert, auch die in Frankreich, Skandinavien, Spanien, Island, Südkorea, Österreich, in der Schweiz, an der Elfenbeinküste, Japan und Kalifornien. Also ein bayrischer Exportschlager? Weit gefehlt. Biermösl Blosn ist eine Gruppe, die mit dem nötigen Ernst den Humor betreibt, den speziell bayrischen natürlich. Der allerdings steht wohl in enger Beziehung zum schwarzen Humor der Briten. Die Texte des Terzetts sind so frech wie hin und wieder ihre Musik. „Bayern war lange vor Christi Geburt schon katholisch“ fließt ein in die mitreißende Persiflage auf den traditionellen Schuhplattler, die auch bei den Zuschauern Muskeln trainiert – die Lachmuskeln. Da kommt dann nach der weihnachtlichen Bescherung die Bethlehemrally durchs Isarvalley. All das gespielt auf einer Unmenge von Instrumenten wie Akkordeon, Geige, Harfe, Gitarre, Trompete und, und, und … sogar auf Alphörnern! Soviel Musikkabarett, soviel Spaß auf der Bühne und soviel musikalisches Können, das auch Bach, Beethoven oder Mozart in verwegenen Arrangements zum tollen Klang entwickelt – das hat was Kongeniales. Das haben die drei von Biermösl Blosn anscheinend mit der Muttermilch aufgesogen. Also auf keinen Fall verpassen, frei nach dem Wahlspruch: „Steht zu Allerheiligen auf’m Feld noch’s Korn – isses wahrscheinlich vergessen wor’n“.
Bis demnäx.
Euer Bernhard Wibben
2008-06-15 | Nr. 59 | Weitere Artikel von: Bernhard Wibben