Über Magermilch und lange Strümpfe (Gustav Kiepenheuer Verlag; ISBN 3-37800621-8) berichtet der Leipziger Kabarettist Bernd-Lutz Lange. 1944 in der Lausitz geboren, schildert er in vielen Einzelepisoden seine Jugend im Zwickau der Nachkriegszeit. Da ihm so recht Bedeutendes nicht passiert ist, bemüht er sich liebevoll die Atmosphäre und Details für die Nachwelt festzuhalten, die heute kaum noch vorstellbar sind: früher DDR-Alltag, Kinderspiele, die kein Kind mehr kennt, etwas Zwickauer Heimatromantik, ein wenig Verklärung und ein wenig Kritik. Sein Schreibstil ist, für einen gestandenen Mann des Wortes, etwas enttäuschend, manchmal sogar ärgerlich und etwas pädagogisch. Kein großer Wurf also, aber manche dieser Miniaturen bereiten doch interessierende Freude.
Spot aus! Licht an! (Hoffmann & Campe; ISBN 3-455-11277-3) nennt Ilja Richter, in Umkehrung seines berühmten Eingangsspruchs bei "Disco", seine Story. Fluch und Segen ist ihm seine legendäre ZDF-Sendung der siebziger Jahre, die ihn populär machte, ihm aber auch ein Klischee verpaßte. Gegen dieses erzählt der Siebenundvierzigjährige nun seine Geschichte, und sein Ghostwriter Harald Martenstein (Reporter beim Berliner Tagesspiegel) hat ein höchst lesenswertes Buch daraus gemacht. Der kommunistische Vater, die alle überragende jüdische Mama, die Beziehung zu Marianne Rosenberg, RIAS, Disco, Friedensbewegung, Kabarett und Theater seien hier als Leseköder nur erwähnt. Die ironische, reflektierende Darstellung und die kleinen Geplänkel zwischen Künstler und Schreiber zeichnen das Bild eines in die Jahre gekommenen, engagierten und sympathischen Sonnyboys.
Ebenfalls in die Jahre gekommen ist Romy Haag, Zeit also auch für ihre Erinnerungen: Eine Frau und mehr (Quadriga; ISBN 3-88679-328-1). 1951 in Den Haag als Edouard Frans Verba geboren, hat sie einen verschlungenen und aufregenden Lebensweg hinter sich. Transsexualität wird bis heute kaum verstanden und akzeptiert, sie wird in die Unter- und Halbwelt und ins Showbiz abgedrängt. Diesen Weg ging auch, allerdings sehr erfolgreich, Edouard-Romy. Paris, New York, Berlin waren Lebensstationen, gefeiert, begehrt und betrogen von vielen, hat die Dame ein pralles Leben geführt. Zwischen Belanglosem, Oberflächlichem und Tratsch finden sich Ernsthaftes und Wissenswertes. Zur Transsexualität wird man indes auch nicht so recht schlauer; sind's Männer, sind's Frauen, sind Männer etwa doch die besseren Frauen? Über den Schah erfährt man Historisches, über Armanda Lear Endgültiges und vom Pariser Alcazar und dem Berliner Chez Romy Haag gibt's Interessantes zu erfahren. Ein Buch, das berichtet und doch verschweigt, von dem man manches gerne genauer wüßte, daß einen aber auch klüger macht.
Bücher-Texte
Balladen, Blues & Rock-Legenden (Verlag Buhmann & Haseler; ISBN 3-927638-04-8) aus der DDR sind in einem aufwendigen und liebevoll gestalteten Band gesammelt. Texte und Noten von über 100 Liedern, stimmungsvolle Schwarzweißfotos, ein Essay zum Thema Ostpop, eine Zeittafel und ein Anhang mit Biographien und Diskographien sind Bestandteil dieses schmucken Wälzers. Renft, Puhdys, City, Karat, Silly, Pankow sind ebenso vertreten wie Krug, Lakomy, Fischer, Thalheim, Schöne, Hagen, Gundermann oder Panach und Kunert. Von interessierten Westlern gemacht, aber werden es Westler auch lesen? Sollten sie ruhig. Ihnen werden weniger Erinnerungen aufsteigen als den gelernten DDR-Bürgern, aber sie können etwas vom Leben eines untergegangenen Landes verstehen und vielleicht manchen Text für sich entdecken.
Ob Wolf Biermann an dem obigen Buch, wiewohl selbst vertreten, auch seinen Spaß haben würde? Von ihm ist jetzt (passend zur CD) ein Buch mit Gedichten und Prosa über das Paradies uff Erden (Kiepenheuer & Witsch; ISBN 3-462-02831-6) herausgekommen. Ein Berliner Bilderbogen (mehr ein Ostberliner) ist während eines einjährigen Studienaufenthaltes dort entstanden. Sein Bilderbogen ist meist nicht mit feiner Feder gemalt, sondern mit dem Quast. Das geht ihm flott von der Hand, das beherrscht er. Stasi, Stasi, Stasi ist sein, inzwischen altes Thema, immer wieder neu gewendet. Aber auch liebevolle Miniaturen, z.B. von Berliner Originalen sind ihm gelungen. Wortgewaltig, gekonnt, Respekt, Respekt - aber man ist es auch ein wenig über mit der Zeit.
Gegen den Strich in ganz andere Richtung bürstet den Quast Dietrich Kittner. Anläßlich der Preisverleihung des Erich-Mühsam-Preises 1999 an ihn, ist eine Broschüre unter dem Titel: Kleine Morde - Große Morde - Deutsche Morde (Erich-Mühsam-Gesellschaft, Lübeck; ISBN 3-931079-22-8) erschienen. Sie enthält die Laudatio und Kittner-Texte über die Lübecker Brandstiftung, neue deutsche Kriegsgelüste und Zensurbestrebungen. Aktuelles Kabarett und eigene politische Aktion gehören bei Kittner seit jeher zusammen.
Oldies but Goldies, bei Georg Kreisler sind es Die bösen, alten Lieder (kip-Verlag; ISBN 3-932998-00-6), die seinen Erfolg begründeten. Noch heute werden sie von vielen gesungen oder imitiert und sind einfach unübertroffen. Das kleine Bändchen enthält über 40 Titel, mit erklärenden Kommentaren (z.B. zu den Pigeons von Tom Lehrer) und einigen Übersetzungen. Der Triangel spielende, Tango tanzende, Tauber vergiftende Musikkritiker mit den drei blauen Augen, bei Onkel Joschi mit seinem Bluntschli. Alles ist vertreten, was gut, schwarz und nichtarisch ist.
Von Hanns Dieter Hüsch gibt es zwei Neuerscheinungen: Es kommt immer was dazwischen (Karl Blessing Verlag; ISBN 3-89667-114-6) und Ich setze auf die Liebe (Brendow Verlag; ISBN 3-87067-752-X). Wenn bei Hüsch immer etwas dazwischen kommt, sind es diese skurrilen kleinen Alltäglichkeiten, denen er sich so aufmerksam widmet. Kleinigkeiten, die man gar nicht mehr bemerkt, werden bei ihm zu einem sprachlichen Knäuel, in dem man sich unweigerlich verheddert. Aber so ist das, alles hängt mit allem zusammen und die Katastrophen beginnen im Leben ganz klein. Wunderbar.
Indes seine Lieder, wenn er es gar zu gut meint, geraten oft etwas süßlich. Man ist häufig etwas peinlich berührt, so auch wenn er auf die Liebe setzt. Achtzehn Lieder wurden von einen christlichen Verlag am Niederrhein zusammen gefaßt und mit Fotos versehen. Die Sonnenblume vorne drauf, Kinder, Meer, Schnee, einsamer See - die Bilder sind einfach zu klischeehaft, zu direkt, zu schön. Alles zusammen ist des Guten zuviel - es ist Kitsch.
Nach soviel Harmonie noch etwas Gemeines zum Abschluß. Dietmar Wischmeyer beschreibt Das Zeitalter des Wasserhahns (Ullstein Fun Factory; ISBN 3-548-36215-X). Kleine betuliche Weisheitsworte, in getragener Diktion, die natürlich ziemlich kompletter Unsinn sind. Aber ihre parodistische Frechheit und ihr satirischer Hintersinn machen sie zu einer Lesefreude. Mit der Aufmachung des Buches hat sich der Verlag einige Mühe gemacht, was die Wirkung der Sinnsprüche sehr unterstützt. Hat man jetzt noch Wischmeyers unterkühlte Stimme im Ohr, wird der geneigte Frühstyxradiofreund viel Freude am Elaborat haben.
2000-03-15 | Nr. 26 |