Die pointenreiche, aus Rahmenhandlung und Einzelszenen bestehende sowie musikalisch angereicherte Bühnengeschichte, einmal mehr aus der Feder des Schriftstellers und Journalisten Koch, markiert zugleich das zwanzigjährige Bestehen des vor allem im Norden etablierten, anspruchsvollen Nebenerwerb-Kabarettensembles – Frau Koch und Biermann-Ratjen wirken sonst als Juristen. Man kennt einander bereits aus Schulzeiten am elitären Christianeum (Koch schrieb damals sogar für Otto Waalkes), tourt seit 1989/90 mehrmals im Jahr durch Hamburg und die umgebenden Bundesländer, zuletzt mit der Kabarett-Odyssee „Letzte Ausfahrt Schnelsen“ (2007). Ursprünglich, sagte Krischan Koch zu Trottoir, hätte man sich politische Inhalte auf die Fahnen geschrieben: „Deutsch-Deutsches, das lag kurz nach der Wende an.“ Inzwischen ginge es viel um Persönlich-Zwischenmenschliches: „Mit 50, da reflektiert man sich noch mal ganz anders.“
Im ausverkauften Stadtteil-Kulturzentrum goldbekHaus begeisterten sich denn auch etliche Altersgenossen samt Nachwuchs dafür – und entwickelten Wir-Gefühl.
Eine kleine Schwester des alteingesessenen goldbekHauses heißt ella und kam 2005 zur Welt: Das Kulturhaus Langenhorn, aufgebaut und geleitet von Susanne Jung, versteht sich als Anlauf- und Vernetzungsstätte für vielfältige Anbieter sowie Bürger eines sozial gemischten Viertels, in dem zahlreiche Menschen mit Migrationshintergrund leben. Und auch hier gedeiht die Kleinkunst: Denn abgesehen davon, dass ella gerade Mitveranstalter des Hamburger Comedy Pokals war, gastieren hier regelmäßig Stars wie Nagelritz, Alfonse, Emmi & Herr Willnowsky, Wolfgang Trepper, Michael Ehnert und Helga Siebert. „Im Norden der Stadt sind wir bei 80 bis 90 Plätzen mittlerweile eine kleine, aber feine Adresse“, erklärte Jung gegenüber Trottoir.
Treue zur ella beweist besonders die Hamburgerin Helga Siebert, seit 27 Jahren im Geschäft, die ihren zwölften Jahresrückblick „Ultimo“ nicht nur auf dem Feuerschiff oder im Kulturpalast Billstedt, auf Tourneen in Karlsruhe oder Berlin vorstellte, sondern eben auch wieder – vor ausverkauften Reihen – in Langenhorn. Die Jahresschauen destilliert die ausgebildete Schauspielerin übrigens aus ihren nicht minder beliebten Monatsrückblicken, die sie bundesweit wohl als einzige Frau im Angebot hat.
Gewitzt erscheint die Mittfünfzigerin im roten Angela-Merkel-Blazer, bekennt dazu im Gegensatz zu den (Alters-)Kollegen vom Spottverein, dass ihr Herz immer noch links schlage. „Das Wasser steht uns bis zum Hals und die Wirtschaft verkauft uns das als Kneipp-Kur“, ruft Siebert agitierend ihren Besuchern zu. Durch das 09er-Kalendarium arbeitet sie sich allerdings mehr mit launiger Ironie denn mit scharfem Sarkasmus, zieht gern das Publikum ins einverständige Gespräch. Teilweise schon wieder Vergessenes – aus aktuellem Anlass vor allem aus Ökonomie, jedoch auch aus Politik, Gesellschafts- und eigenem Privatleben – der vergangenen Monate, angereichert mit frechen Liedern und Gedichten, befördert die Versierte dabei noch einmal ans Tageslicht.
So stehen auf ihrem Programm Deutsch-Banker Ackermann („Meine Heimat ist das Mehr“) und Kollegen („My Boni Is Over The Ocean“) genauso wie Papst Benedettos Begnadigung eines Holocaust-Leugners und zeitlos vergeblicher Diät-Wahn („Du bist nicht allein vor dem Kühlschrank heut’ Abend“), eine rund zu erneuernde SPD und der Biene-Maja-Club Angie und Guido, Frauensolidarität und Schweinegrippenimpfung – allesamt mit Gusto durch den Kakao beziehungsweise den von der Interpretin in kleinen Schlucken genossenen Rotwein gezogen. Einer ihrer besten Sprüche war allerdings von Schiller: „Wer möchte sich an Schattenbildern weiden, Die mit erborgtem Schein das Wesen überkleiden ...?“ (Poesie des Lebens, 1795.) Am Ende wurd’s ein grundsolides, anregendes, mit Charme präsentiertes Kabarettstückchen, für das Siebert in der ella viel Beifall erhielt.
Und zum Schluss noch eine ganz frohe Botschaft aus den Häusern Schmidt Theater und Schmidts Tivoli: Mit 419.734 Zuschauern halten die beiden unsubventionierten Privatbühnen auch 2009 ihren Rekord als zahlenmäßig wohl erfolgreichste Theater der Hansestadt. Die Platzausnutzung von 82 beziehungsweise 92 Prozent plus 20.000 Besuchern bei Gastspielen wie etwa der Show „Lizt Alfonso Dance Cuba“ im Deutschen Schauspielhaus ließen die Kassen bei einem Kartenerlös von elf Millionen Euro klingeln. Chapeau, Corny Littmann und Norbert Aust!
Redaktion: Ulrike Cordes
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2010-03-15 | Nr. 66 | Weitere Artikel von: Ulrike Cordes