Das Jahr begann dramatisch und mit der Frage, was Humor auslösen kann. Beim Terroranschlag auf das Redaktionsbüro der französischen Satire-Zeitschrift Charlie Hebdo am 7. Januar wurden zwölf Menschen, ein Großteil der Redaktion, ermordet. Die Frage, inwieweit man über den Islam und Religionen überhaupt lachen darf, stand weltweit im Raum.
Religionsunterricht mit Humor
Kurz nach dem Attentat traten zwei Männer mit ihrem Programm „Brüder im Geiste Kabarett zwischen Koran und Kruzifix“ in den Wühlmäusen in Charlottenburg auf: Lutz von Rosenberg, protestantischer Kabarettist und Theologe mit ostwestfälischem Migrationshintergrund, und Kerim Pamuk (Bild), muslimischer Bühnenkünstler und Orientalist vom Schwarzen Meer. Kurz hatten sie überlegt, ob sie das Programm mit Blick auf die Sicherheitslage in Deutschland lieber doch nicht spielen sollten. Nein, entschieden sie dann. Mit ihrem Programm wollten sie die Schärfe aus der überhitzten Diskussion rausnehmen. In ihrem kurzweiligen Showkampf beantworten die beiden Pazifisten mit Aggressionspotential Fragen, wie beispielsweise „Warum nehmen Katholiken während der Fastenzeit zu? Gibt es einen Unterschied zwischen Kreuzzug und Kreuzfahrt? Gehört der Islam zu Deutschland oder ist es schon umgekehrt? Ihr Fazit: nur Bildung kann etwas ausrichten im „Kulturkampf zwischen Islam und Christentum“.
Eine Türkin redet Klartext
Die Wahlberlinerin Idil Baydar (Bild)¸ im Westen der Republik als Tochter türkischer Einwanderer geboren und aufgewachsen, will reden, und zwar mit Deutschland. Als durchgeknallte Jilet Ayse fraget sie sich durch das Zelt der Bar jeder Vernunft, wer von den deutschen Frauen denn nun Kinder habe und wie viele und wenn nicht, warum nicht. So könne es doch nicht weitergehen, Deutschland sterbe aus! Natürlich liege es auch an den deutschen Männern, ehe die mal was klargemacht hätte, könne so einige Zeit vergehen. In Baydars Programm gibt es viele Schenkelklopfer-Momente, aber immer genug Hintergründigkeit, damit das Ganze nie ins Triviale abrutscht. Im zweiten Teil dann tritt sie als deutsche Kittelschürzenomi Gerda Grischke auf, die die „Mulacken“ am liebsten alle in ihre Heimat zurück schicken würde. Schmaler Grat der political correctness, den Idil Baydar schwindelfrei begeht.
Der Herr am Klavier und sein „Rotes Tuch“
Aggressionspotential, eines, das sich in manchen Momenten aus den leisen Tönen hochschraubt, hat auch Manfred Maurenbrecher (Bild), der im Februar im Kreuzberger Mehringhoftheater seine neueste CD „Rotes Tuch“ vorstellte. Leise und eindringlich erzählt er dem Publikum vom Entstehen seiner Lieder und zieht es jetzt schon in einen ganz besonderen Maurenbrecher-Sog. Heftig haut er dann in die Tasten, singt stimmgewaltig einige eher narrative Stücke, die ihre Magie in Atmosphäre und Text stecken, und andere, klassischere. Rockige Töne, wie aus den Siebzigern herübergerettet, durchziehen das Konzert. Es geht um Themen wie die Ukraine-Krise, prekäre Arbeitsverhältnisse oder gewaltbereite Jungs aus gutem Elternhause, und immer um mehr als nur „Themen“. Maurenbrecher lässt kleine Welten vor seinem Publikum erwachsen, in denen die Geschichten seiner Lieder sich abspielen. Wie immer zeigt er sich als virtuoser Mann am Klavier, dem seine langjährigen Begleiter Andreas Albrecht (Percussion) und Marco Ponce Kärgel (Gitarre) auf Kopfnicken die richtigen Töne reichen. Maurenbrechers Welt ist voller Fragen und voller Wut, manchmal unbändig, manchmal sanft. Ist das Leben ein „rotes Tuch“? Nein, Maurenbrecher findet noch genug darin, was er lieben kann. Zu unserem Glück. Das Album „Rotes Tuch“ erscheint im April 2015.
Der neue Heiland ist da
Seine neueste Live-CD mit drei Bonustracks aus dem Tonstudio stellte C. Heiland (Bild) dann auch im Februar im Kreuzberger BKA-Theater vor. Bei der Record-Release-Party ist er „scheißglücklich“, sagt er, unter Anderem, weil er so eine tolle Band dabei habe. Seine Lieder schwanken zwischen Herzschmerz und bitterböser Satire. Er begleitet sich auf seinem Omnichord, ein japanisches Elektro-Instrument, das aussieht wie ein altmodisches Kinderspielzeug. C. Heiland erzählt ein paar Witze aus dem Internet, singt dann noch ein Lied über Melancholie und das passt gut zum grauen Himmel über Berlin, der das Publikum gleich wieder da draußen erwar- tet. War das jetzt Kabarett oder Comedy, fragt er dann das Publikum am Schluss, und als dieses ratlos bleibt, sagt C. Heiland, das werde immer je nach Schulabschluss entschieden.
Schlaflos in Neukölln
Grauer Himmel in Berlin, und das Geld ist knapp. Was tun, wenn das Jobcenter kein Geld mehr rausrückt, weil man ja ein Mietshaus in Neukölln besitzt? Im „Neuköllnical“ „Hostel Hermannstraße“ (Bild) zeigt Ades Zabel wie’s geht. Gemeinsam mit Begleiterinnen Biggy van Blond, Bob Schneider, Nicolai Tegeler & Stefan Kuschner will sie den Touristenstrom in Berlin nutzen und beschließt, aus ihrem gemütlichen Neuköllner Altbau ein lukratives Hostel zu machen. Und merkt schnell, dass sie sich damit übernommen hat. Es gibt Zwist im Schwestern-Clan, der aber nach ein paar hochprozentigen Getränken, wie üblich schrägen Songs und noch mehr enthusiastisch vertanzten Show-Nummern wieder beigelegt wird.
In den Ruinen von Berlin
Wenn nicht genug Geld da ist, kann man auch crowdfunden. Beim Projekt „Marlene 1945 – in den Ruinen von Berlin“ vom Regisseur Alexander Katt hat es geklappt. Für seinen neuen Theaterabend über eine völlig unbekannte, aber äußerst spannende Episode des Lebens von Marlene Dietrich rief Katt vor einigen Monaten zum Crowdfunding auf. Fünf Tage vor dem Countdown waren erst 4000 von erforderlichen 5000 Euro drin, aber dann hat es doch geklappt. Die Proben haben begonnen, Premiere ist am 8. Mai im O-Ton-Theater in Schöneberg, weitere Vorstellungen am 9. Mai sowie Pfingsten.
Fünf Männer ohne Frau
Nach fast zwanzig Jahren hat die Autorin Sarah Schmidt (Bild) Ende Februar die Lesebühne „Der Frühschoppen“ im Weddinger Schlot verlassen. Sie braucht mal eine Auszeit und möchte sich nun auf längere Texte konzentrieren. Ihr letzter Roman “Eine Tonne für Frau Scholz“, der im Berliner VerbrecherVerlag erschien, zählte zu den zehn besten Büchern aus unabhängigen Verlagen im Jahr 2014. Die zurückbleibenden Frühschoppen-Herren Hans Duschke, Jürgen Witte, Hinark Husen, Andreas Scheffler und Horst Evers waren beim Abschied in voller Besetzung da und taten alles dafür, dass Frau Schmidt sie gebührend vermissen wird. Um die Lücke zu füllen, werden sie sich jeweils für einen Monat Kolleginnen und Kollegen einladen. So wird an den ersten vier Sonntagen im März Paul Bokowski da sein, Mitglied der Weddinger Brauseboys, im April kommt dann Kirsten Fuchs, Schriftstellerin, die jüngst die Lesebühne "Fuchs und Söhne" gegründet hat. Ganz ohne Frauen wird es wohl doch nicht gehen.
Wenn Mutti shoppen geht
In seinem zweiten Solo-Programm als Kanzlerchauffeur packte der aus der TV-Satire „Kanzleramt Pforte D“ bekannte Michael Frowin (Bild) im Mehringhoftheater aus. Er hat ja den Logenplatz, wenn es um Informationen aus allererster Raute geht. Die NSA zapft Merkels Handy an – er hört einfach mit. Nun hat sich die Mutti der Nation von Frowin nachts ins Outlet-Center fahren lassen, um nach bunten Ketten und neuen Hosenanzügen zu stöbern. Frowin wartet. Und hat Zeit nachzudenken. Zum Beispiel über Sätze auf Kühlschrankmagneten: „Geld macht nicht glücklich“. Okay, das weiß jeder. Aber warum glaubt es dann keiner? Und steht das da bloß, weil man die, die arm bleiben müssen, ein bisschen trösten will? Aber Frowin erzählt nicht nur von der großen Politik, sondern auch den kleinen Leuten. Von besoffenen Rentnern, die das ganze Leben versucht haben, ihr Gehirn mit Alkohol auszuschalten und sich das Leben schöngetrunken haben. Und die das dann im Altersheim mit Gedächtnistraining wieder fit bekommen sollen. Wenn man die auf dem Mittelstreifen viel befahrener Straßen aufliest, sagt Frowin, dann sind die nicht gestört, sondern einfach nur auf der Flucht!
Die Frage des Genres
Scheinbar, Frühling. Der Stand-up-Comedian Masud Akbarzadeh führt an einem schon fast frühlingshaften Abend in der Variete-Scheinbar in Schöneberg lässig durch ein Programm, in dem sich Fremdschämen mit großer Begeisterung abwechselt. Und klärt uns auf über den Unterschied zwischen Comedy und Kabarett: Kabarett sei, wenn die Mundwinkel stecken blieben, weil man nicht wisse, könne man hier lachen oder nicht. Und das hier, sagt Masud, und wirft eine Handvoll Konfetti ins Publikum, das ist jetzt Variete. Endlich wissen wir Bescheid.
Redaktion: Katrin Schielke
Bildnachweis:
Hostel Hermannstr. Foto: Joern Hartmann
Sarah Schmidt Foto: Sabine Felber
Michael Frowin Foto: Bernd Brundert