St. Pauli hat jetzt sein Theaterzelt: Die Neueröffnung der Produktionsfirma „Fliegende Bauten" belebt den Hamburger Stadtteil jetzt mit Kleinkunst, Comedy und Varieté. Beim „Tiger Lillies Varieté" wurden exzellente Akrobatik und Jonglage geboten, dazu und dazwischen gab es Musik der Londoner Kultband „Tiger Lillies" – ein schaurig-schönes Vergnügen. „My life is a drama", verkündet Falsettsänger Martyn Jacques, und erklärt dann: „I want to have sex" – Pause – „sex with flies. But when I try, I´m just to big." Tanz- und Trinklieder, Tränen und Totschlag, Blasphemie, Sodomie und Pyromanie – solcherart sind die Kapricen der Tiger Lillies. Einfach fabelhaft, man möchte den Mond anheulen.
Pension Schmidt:
„Diva gut" - ein Programm mit vier exzellenten Künstlerinnen auf einer Bühne, deren Talente sich zu einer sensationellen Show addierten: Mouron, Popette Betancor, Cora Frost und Georgette Dee. Drei Stunden bester Unterhaltung wurde im Schmidts Tivoli geboten. Offenbar hatten die Mädels selbst Spaß daran und übertrafen sich gegenseitig im komödiantischen Gebaren. Das Ganze hatte Tempo, Irrsinn, Witz, Zärtlichkeit und Pathos. Es gab Slapstick und schaurig schöne Balladen, Madrigal und Rock. Sie picknickten auf der Bühne, umgurrten und umtanzten einander, trieben seltsame Spiele, redeten über Dichtung, Barkeeper und Bärenjagd, spekulierten über das Liebesleben der Lemminge und offenbarten ihre Lebensweisheiten: „So lange ich lache, tut es nicht weh", befand etwa die Popette und die wundervolle Frau neben mir lachte und lachte.
Einmal mehr hieß es im Tivoli „Party heut´ Nacht", dazu forderten die exzellenten Geschiwster Pfister ein. Besonders der exaltierte Ursli der mit seinen roten Ohren zunächst unschuldig wirkte, hatte es faustdick hinter den selben. Seine Mimik und seine Tanzeinlagen taugten zu kolossaler Komik. Schnulzen, Schlager und Platitüden wurden also in bewährter Weise ironisch aufgemischt, perfekt und doch zugleich wunderbar leicht dargeboten.
Lustspielhaus
„Die Vorstellung wird gleich abfahren", meldete eine Stimme aus dem Off. Und tatsächlich begann Alma Hoppes neues Programm „In vollen Zügen" im Lustspielhaus auch nur geringfügig verspätet. Der Zug stellt zweifelsohne eine phantastische Metapher für den gesellschaftlichen Verkehr dar. Alma Hoppe tat damit einen glücklichen Griff. Ihre im Abteilwagen angesiedelten Szenen warteten mit einer dezenten Ironie auf, kamen ohne berstende Albernheit aus. Das stand den beiden Komödianten gut, schließlich können sie auch mit kleinen Gesten für Heiterkeit sorgen. Glanzstücke waren Petersens Anmach-Monolog: „Viel reden tun Sie ja wenig" und der Streit zweier Reisender um eine Reservierung: „Sie Sitzparasit!" – „Und Sie sind ein Gentleman, aber es könnte auch sein, daß wir uns beide irren." Darüber können Bahnreisende lachen. Und noch ein toller Scherz aus dem Off: Die Anschlußzüge seien pünktlich abgefahren, aber es gebe noch interessante Züge nach Koblenz und Köln. Auch holten die beiden den Balkankrieg noch ein. Sicher ein ambitionierter Versuch, schließlich eine ehrenvolle Aufgabe des kritischen Kabaretts, aber doch auch ein hilfloses Unterfangen, das zu oberflächlich blieb. Auch wenn die beiden die politische Elite zausten, drangen sie kaum bis in essentielle Schichten vor. Das mag auch daran liegen, daß Loenicker und Petersen einfach nur nette Kerle sind, zum Sarkasmus nicht taugen.
„Es gibt Jahrhunderte, da bleibt man besser im Bett" heißt das neue Programm von Werner Koczwara. Darin stellt der schwäbische Kabarettist nichts geringeres vor als eine „Chronik des unfreiwilligen Humors" im 20. Jahrhundert. So sammelte Koczwara allerhand Skurrilitäten und verabreichte sie immerhin intelligenter als alle Rekordshows und versteckten Kameras der Fernsehindustrie. Dennoch dürfte Koczwara einiges an Form verschenkt haben. Statt wie ein Kartoffelverkäufer die Kuriosa zu deklamieren, hätte er mit mehr Form und Ironie größeres leisten können: nämlich eine Abrechnung, die endgültige Zertrümmerung des gänzlich ironielosen Jahrhunderts. Der ultimative Kassensturz steht also noch nach wie vor aus.
„Feuer unterm Arsch" heißt das aktuelle Programm von Achim Konejung. Stellt der Titel auch ein Versprechen dar, so konnte es der 42jährige Kabarettist nicht einlösen. Allzu brav berichtete Konejung vom sogenannten wirklichen Leben. Daß dies ein falsches ist, davon wollte Konejung nichts wissen. Also amüsierte er das Publikum im Lustspielhaus, allein er bewirkte keine Verwirrung oder ein großes Gelächter. Phrasen bemühend durchforschte Konejung unsere Dienstleistungs- und Informationsgesellschaft, er schröpfte dem Alltag einige Kuriositäten ab und blieb doch nur dessen Kasper.
Harmlos blieb auch Nessi Tausendschön, die „Königin von Deutschland"...
Sonstiges
Wenn die Bühne eine Bühne darstellt, dann werden Entertainment parodiert, Unterhaltung reproduziert und schlimmstenfalls der Müll der entsprechenden Industrie recycelt. All das unternahmen Bo Doerek in ihrem Programm „Bo Doerek ist Trumpf" im St. Pauli-Theater. Die Handlung dieser Musik-Comedy-Revue besteht schlicht darin, daß das Moderatorenpaar Renate und Roger (Alexandra Doerk und Hubertus Borck) eine Samstagabend-Fernsehshow probt. Dieser Durchlauf lieferte den Rahmen für viele Lieder, noch mehr Medleys und reichlich Andeutungen aufs Showgeschäft. „Eine tolle Sache, wie ich finde", jauchzte Roger und klatschte dabei in die Hände. Wenigstens das Publikum war offenbar seiner Meinung.
Kabarettfestival
Fünf junge Kabarettisten mit fünf verschiedenen Konzepten, das waren die „Gipfelstürmer", der Abschluß des 13. Kabarettfestivals in den Kammerspielen. Los ging´s mit Ilja Kamphues, der sich die Seichtheit des gemeinem Sprachgebrauchs vorknöpfte. Das geschah durchaus virtuos, kam aber über eine Anhäufung von Beispielen nicht hinaus und endete gar im Leerlauf, da dem Mainzer Kabarettisten eine entschiedene Haltung abging. Susi Brantl zeigte einen Ausschnitt aus ihrem Bühnenstück „Hilde Brandt ist Deine beste Freundin". Es ist das ein hübscher Monolog einer Schauspielerin über Einsamkeit und Freundschaft, über den alltäglichen Wahnsinn in Beziehungen. Gelingt es der Münchnerin, diesen Wahnsinn weiter zu forcieren, darf man von ihr noch spannende Sachen erwarten. Unspannend, aber nicht ungewitzt, präsentierte sich dagegen Johannes Köhnich. Er mimte – mit nervigen Allüren – das Weichei, laberte, las ein Gedicht und sang Lieder. Das alles war schon recht nett, aber noch nicht richtig gut, nicht gewagt genug. Nach der Pause sollte sich das ändern. Als Stand-up-Comedian trat der Frankfurter Kaya Yanar an und hatte das Publikum im Logensaal allzeit im Griff. Mit ebenso beachtlicher wie sympathischer Bühnenpräsenz mokierte er sich über die unterschiedlichen Mentalitäten in diesem unserem Land. Höhepunkt des Abends indes war der Auftritt des Berliner Musikkabarettisten Bodo Wartke. Was für Wartke gilt, trifft mehr oder weniger auch auf die anderen zu. Alle zehren sie noch von ihrem jugendlichen Charme. Wenn es mit dem einmal vorbei ist, wird sich zeigen, wie weit ihr Talent und Gestaltungswillen reichen, ob sie dazu taugen, in der ersten Liga der Kleinkunst mitzuspielen. Mindestens Brantl, Yanar und Wartke scheinen da gute Chancen zu haben...
Redaktion: Jörg Noll
1999-09-15 | Nr. 24 | Weitere Artikel von: Jörg Noll