Der Gedanke liegt nahe: Die Retrowelle boomt, die Lust an der Nostalgie sorgt allerorten für hohe Absatzzahlen und Einschaltquoten – schwimmen die vielen Kleinkunstprogramme, die sich mit Textern und Bühnengrößen längst vergangener Zeiten befassen, nicht auf derselben Welle? Die Überlegung ist vielleicht nicht ganz unangebracht, aber dennoch gilt es, hier sorgfältig auf die Unterschiede zu achten: Während sich die Revivalprogramme der Privatsender oft auf die bloße Addition von Erinnerungseffekten beschränken, findet gerade im Kleinkunstbereich häufig eine wirklich produktive Auseinandersetzung mit der Tradition statt, wird der Blick zurück zugleich zum kritischen Nachdenken über die Gegenwart. Das Frühjahrsprogramm der Kölner Kleinkunstbühnen liefert hierfür einige Beispiele.
Ein Klassiker der Moderne, der Großstadtlyriker Charles Bukowski, inspiriert die literarische Szene seit Jahrzehnten. Dass die Sogwirkung seiner Texte bis heute anhält, kann man sich im April und Mai gleich an zwei Programmen vor Augen und Ohren führen lassen. Da ist zunächst die Bar-Revue „Bukowski waits for you“ im Bürgerhaus Stollwerck. Hier werden Bukowskis düstere Sauf- und Liebesgeschichten und die sie umgebende Welt aus Alkoholdunst und Zigarettenrauch von Marie Gruber und Michael Kiessling mit Stücken von Tom Waits, Nick Cave und Leonard Cohen verbunden und auf diese Weise neu zum Leben erweckt. Eine andere Form der Anverwandlung Bukowskis bieten Arv Whistler, Michael Koslar und Albert Klein im Klüngelpütz. Sie versehen den Bukowski-Blues unter dem Titel „Leben und Sterben im Café Köln“ mit einer spezifisch kölschen Note.
Eine weitere gekonnte Rolle rückwärts ist im Theater am Sachsenring zu sehen, wo Heinz Monheim in „Himmel und Ääd – Kölle noh 1945“ die Nachkriegszeit in der Domstadt mit Verzällcher, Krätzcher und kölschem Swing wieder lebendig macht. Wer sich atmosphärisch noch weiter zurückbewegen will, dem sei das Senftöpfchen empfohlen, wo der aus dem Kölner Klimperkasten bekannte Joe Buschmann Lieder und Couplets des legendären Berliner Vortragskünstlers Otto Reutter vorträgt. Dabei legt er die verblüffende Frische und Aktualität der in den vermeintlich goldenen 20er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts geschriebenen Texte offen.
Wer nun glaubt, dass der Frühling bei so viel Tradition gar nichts Neues mehr zutage fördert, sieht sich jedoch getäuscht. Da ist zum Beispiel das erste Soloprogramm von Thomas Müller im Atelier-Theater. Müller, ein Comedian, der durch die Moderation der Immi Show in der 1/4 Bar in Nippes bekannt wurde, wartet nun unter dem Titel „Echt Müller! Ein Scheinriese packt aus!“ mit einer abendfüllenden Performance auf, die nach vereinzelten Auftritten an exotischen Orten wie Sonthofen und Mönchengladbach im April in Köln ihre eigentliche Premiere hat. Bereits ihr siebtes Bühnenprogramm präsentiert die spätestens seit „Blond am Freitag“ bundesweit bekannte Anka Zink; „Wild Zink“ ist ab April im Springmaus-Theater zu sehen. Im selben Monat am selben Ort leistet sich das offenbar auf den innovativen Impuls des Frühlings setzende Haus eine weitere Premiere. Das bekannte hausinterne Springmaus-Ensemble, dessen besondere Spezialität die auf hohem artistischem Niveau vollzogene Stegreifkomik ist, widmet sich in „Beziehungsweise Springmaus“ den besonderen Problemen, die seit Beginn der Schöpfung aus dem Aufeinanderprallen der beiden Geschlechter erwachsen. Neue, weithin unbekannte Gesichter der Kleinkunstszene gibt es Ende April im Pantheon zu sehen, wo einmal mehr um die begehrten Preise „Frühreif und verdorben“ sowie „Beklatscht und ausgebuht“ gekämpft wird.
Viel Neues und viel Altes also im April und Mai. Der Kleinkunstbegeisterte kann sich problemlos auf das Frühjahrsprogramm stürzen – in alter Frische, aber mit neuer Begeisterung.
Redaktion: Guido Bee
Bürgerhaus Stollwerck, Köln
20.4. Bukowski waits for you Marie Gruber, Michael Kiessling
Klüngelpütz, Köln
ab 12.5. „Leben und Sterben im Café Köln“ – Arv Whistler, Michael Koslar,
Albert Klein
Theater am Sachsenring, Köln
24.4. "Himmel und Ääd – Kölle noh 1945“ – Heinz Monheim
Senftöpfchen, Köln
12.4. "In 50 Jahren ist alles vorbei“ – Joe Buschmann und Söhne
Atelier-Theater, Köln
26.4. "Echt Müller – ein Scheinriese packt aus“ – Thomas Müller
Springmaus-Theater, Bonn
9.4. "Beziehungsweise Springmaus“ – Springmaus-Ensemble
21.4.Wild Zink“ – Anka Zink
Pantheon, Bonn
26.- 28.4. "Prix Pantheon“ – Pantheon
AdNr:1047h
2005-03-15 | Nr. 46 | Weitere Artikel von: Guido Bee