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    Fledermaus in Partylaune


    Willy Praml inszeniert Johann Strauss ,,Die Fledermaus“ in der ,,Alten Mühle“ Bad Vilbel

    Die wahren Irren der Frankfurter Theaterszene, die unter der Regie von Oberbürgermeisterin Petra Roth von einem Skandal in den anderen schliddert, sitzen in der lokalen freien Szene. Dort hat der Wahnsinn allerdings Methode und beglückt das Publikum immer wieder mit Ausnahmeproduktionen. Das ,,Ensemble 9.November“ von Helen Körte, das ,,Freie Schauspiel Frankfurt“ im Philantropin oder das jugendbewegte ,,Theaterhaus“ sind allemal für überraschende Produktionen gut. Ein Theaterberserker der besonderen Art ist Willy Praml. Der gebürtige Landshuter (Jahrgang 1941) startete in der Theaterbranche mit basisdemokratischen Workshop-Projekten umgesetzt mit Laien, Lehrlingen, Ausländern oder Dörflern. In Frankfurt gründete der hauptberufliche Theaterpädagoge 1990 das ,,Theater Willy Praml“. Was jeweils mit wechselnden Ensemblemitgliedern seither das Licht der Bretterwelt erblickte, lässt sich als Theater der großen Gefühle beschreiben: Kuss der Spinnenfrau, Torquato Tasso, Faust, Die Kameliendame, Lolita-Park oder Patriotismus von Mishima und Etliches mehr. Gewalt und Sexualität sind der Stoff, aus dem Pramls ästhetisch radikale Theater-Träume sind. Der Regisseur ist einer der letzten großen Polarisierer der Schauspielzunft Typ Einar Schleef oder Werner Schroeter.  Entweder ist man Fan oder Feind. Nachdem die Vorjahre des Ensembles sehr klassisch waren, startete man mit ,,Im Weißen Rössl“ 1998 eine Expedition ins Reich der Operette: Die Saison im Salzburgerland ereignete sich mit Lackleder-Lemuren. Nach einem Goethejahr mit ,,Egmont“ und den ,,Wahlverwandschaften“ wurde die Reihe nun mit ,,Die Fledermaus“ als Koproduktion mit dem KUZ ,,Alte Mühle“ in Bad Vilbel weitergeführt und soll möglicht als Pocket-Produktion an anderen Spielstätten gastieren. Überraschendes Resultat: Praml ist es tatsächlich gelungen das Opus eigenständig zu interpretieren. Agiert wird auf einer Simultanbühne mit einem zentralen Orchestergraben, in dem das Quintett ,,Nacht- und Nebel-Orchester“ musikalisch zu Gange ist. Rechter Hand ein Aquarium, vorne ein Laufsteg bis ins Publikum, links eine Wohnlandschaft aus Plastik und Flockati, rückseitig einen Stock höher schwebend ein fett getigertes Doppelbett. Die Optik des von Michael Weber gestalteten Ambiente und der Kostüme huldigt den schrillen Siebzigern. Die sieben singenden Schauspieler geben sich reichlich Mühe sich und uns zu Tode zu amüsieren. Mit Günther Henne hat man einen wirklich knackigen Eisenstein, von Schlage des Lebemannes und Prügelprinzen Albert. Birgit Heuser als Gattin Rosalinde gibt sich in ihren Kostümen vom Bademantel bis zur Latex-Gala-Robe erotisch offen und unverkrampft. Nie war proletarisches Girlie-Power so lebensecht wie mit Uta Köbernick als Dienstmädchen Adele. Ganz die rührige Puffmutter mit Federboa ist Cornelia Niemann eine ,,Gräfin Orlovskij“. Wenn Hartmut Volle wahlweise als Anwalt Blind über die Bühne stottert oder in seiner Sheriffsmontur mit Colt die Becker-Rolle hinlegt, bleibt kaum ein Auge trocken. Cabaret-Conferencier im Paletot und Travestie-Glammour im heissen Höschen sind die Pole, die Michael Weber als Dr.Falk und Tenor Alfred anbietet. Die Paraderolle des Gefängnisfaktotums ,,Frosch“ verwandelte Darsteller Praml in einen existenzialistischen weißen Endzeit-Clown. Beim Gesanglichen sollte der Zuschauer Tolleranz mitbringen, obwohl die Arrangements von Bernhard Glaßner für die Darsteller maßgeschneidert wurden. Im zweiten Teil kommt das Stück mit der Paradearie ,,Klänge der Heimat“ als schwülstige Mitternachtseinlage und einer Publikum-mitmach-Aktion bei ,,Brüderlein und Schwesterlein“ überzeugend in Fahrt. Praml holt die Zuschauer da ab, wo sie sind: Wenn nach der rauschenden Ballnacht die Fledermäuserianer massiv am Kater leiden, dann ist das so unappetitlich echt ausgespielt, dass wir vor Mitleid in unseren Taschen nach Aspirin suchen  und gleichzeitig schadenfroh lachen. Pramls Bühnenwirklichkeit ist so hyper wie unser mitteleuropäisches Leben selbst und schafft es aus dem Operetten-Evergreen das Zeitstück lucide heraus zu präparieren.

    Redaktion: Kathrin Schwedler

     

    Nächste Aufführungen: 11.5.-14.5. , 25.5.-28.5.
    (Wiederaufnahme im Herbst 2000)

    Ticket-Tel.: 06101 55 93 55, www.bad-vilbel.de

    2000-06-15 | Nr. 27 | Weitere Artikel von: Kathrin Schwedler





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