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    Europa ist voller Kultur: Wurst-Croissants und perfekte Mülltrennung

     

    Bei Frischluft und Feuerwerk, zwei Fässern Freibier und freiem Eintritt feierte das Schmidt-Theater 20. Geburtstag: Drei Tage lang genossen Zehntausende die große Sause auf dem Spielbudenplatz gleich neben der Reeperbahn, bei der Stamm-Künstler wie Lilo Wanders, Marlene Jaschke, Georgette Dee sowie Emmi & Herr Willnowsky Sketche, Songs und Erfolgsproduktionen des provokanten, plüschig-schrägen und ein bisschen schwulen Unterhaltungsetablissements vorführten – von der „Villa Sonnenschein“ bis zu „Peter Pan“, von „Die famose Schmidt-Schlagersause“ bis zu karibischen Sommerhits.

    Fool PoolAuf der Pressekonferenz hatten die Hausherrn Corny Littmann und Norbert Aust sowie Programm-Macher Mirko Bott an die Anfänge der einstigen „Familie Schmidt“ erinnert, die zuvor als alternative Truppe „Brühwarm“ durch die Lande gezogen war und auch auf Kampnagel Spuren hinterließ. Seit dem 8.8.1988 – mitsamt dem 1991 eröffneten Schmidt’s Tivoli – ist daraus ein künstlerischer Großbetrieb geworden, dessen Vorstellungen im vergangenen Jahr fast 400.000 Zuschauer erlebten. Mit der hauseigenen Gastronomie, dem „Sea Life Tivoli“, das die kulturelle Versorgung von Kreuzfahrtschiffen garantiert, sowie der Hamburg School Of Entertainment entstand eine auch ökonomisch beeindruckende Institution, die erst den Kiez neu belebte und heute – nicht zuletzt durch Gastspiele und von Stadttheatern nachgespielte Stücke – weit über Hamburg hinaus ausstrahlt.

    Da fügte es sich, dass kurz zuvor die 70er-Jahre-Revue „Karamba“ zum prallen, krachend komischen Spaß geraten war, der den alljährlich auf den Straßen der Umgebung stattfindenden „Schlagermove“ fast alt aussehen ließ: Mit einem Medley aus mehr als 50 Gassenhauern des potthässlichen Jahrzehnts („Ein Festival der Liebe“), „Dalli Dalli“-Reminiszenzen, Prilblumen und Schlaghosen boten die Macher Bott und Martin Lingnau sowie Corny Littmann (Regie), das bestens aufgelegte Original-Tivoli-Orchester und alle Darsteller einen gewitzten, politikfreien Mitklatsch-Reigen, der nicht nur das Premierenpublikum zu Standing Ovations hinriss. Die langjährigen Erfolgsshows „Fifty Fifty“ und „Sixty Sixty“ haben einen kongenialen Nachfolger gefunden.

    Bereits im Frühjahr hatte Sebastian Schnoy im Schmidt sein viertes Solo vorgestellt: Mit „Hauptsache Europa“ will der Comedian seine Landsleute auch politisch aufmischen – quasi ein Revoluzzer-Training mit ihnen absolvieren. Denn im Vergleich etwa mit den lockeren Italienern, bei denen nicht nur die Handwerker zu spät kommen, sondern im Zweifelsfall auch die Geheimpolizei, seien die Deutschen immer noch viel zu autoritätshörig, lustfeindlich und krampfhaft korrekt, urteilte Schnoy: „Perfekte Demokraten, perfekte Faschisten, perfekt bei der Mülltrennung“.

    Gut zwei Stunden lang argumentierte der umtriebige Kleinkünstler und Erfinder des Hamburger-Comedy-Pokals jedoch im Wesentlichen, dass auf dem Kontinent nicht alles schlecht sei: „Europa ist eine Liebe wert. Europa ist voller Kultur.“ Dafür stehe bereits das Wurst-Croissant – Ausdruck deutsch-französischer Annäherung. Präsent und pointensicher führte Schnoy seine Fans durch Befindlichkeiten von der Mars bis an die Memel und noch weiter.

    „Fühlt Euch wie zuhause“ hieß anno domini 1984 das allererste Opus des Hamburger Duos Herrchens Frauchen, und es handelte zeitgerecht von einer bürgerlichen Zweierbeziehung zwischen Friedens-Ini und Partyhäppchen mit Olive. Der inzwischen Kabarettpreis-gekrönten Lisa Politt und ihrem Partner Gunter Schmidt gelang damit seinerzeit ein fulminanter Einstieg. Seitdem greifen sie immer mal wieder in ihre theatralische Mottenkiste, ziehen die Original-Kostüme heraus und geben die anarchische Chose als Spezial-Event: So auch im Juni, als die Sterne im Ex-Kino Polittbüro – das im September übrigens fünf Jahre alt wurde – trotz warmen Samstagabends über mit Damen und Herren mehrerer Generationen gefüllten Reihen leuchteten.

    Die beiden gut erhaltenen Akteure malten zwar nur in Ansätzen das angekündigte „Sittengemälde der 80er-Jahre“, doch begeisterten sie in ihrem aggressionsgeladenen Pas de deux mit hintergründiger Typenzeichnung, Witz in Mimik und Gestik bis in die Fingerspitzen, schnodderigen Sprüchen und nicht zuletzt wunderbarer Musikalität. Dabei durfte vor allem Gunter, sonst bestenfalls der kluge Mann hinter einer starken Frau, als Werbekomponist Claus zeigen, was er von Harfe über Piano bis zum Akkordeon so alles beherrscht. Aber auch Lisas „Mondscheinsonate“, vorgetragen mit dem frustrierten Gattinnen-Gesicht der arbeitslosen Pädagogin Evelyn, forderte Szenenapplaus heraus. An dieses Coming-out möchte man gern noch öfter erinnert werden.

    Redaktion: Ulrike Cordes

    AdNr:1018

     

    2008-09-15 | Nr. 60 | Weitere Artikel von: Ulrike Cordes





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