Gut zwei Jahre ist es her, dass Trottoir als größtes Magazin für die kleine Form seine Seiten schloss und damit auch die Berliner Szene nicht mehr im Blick behalten konnte. Pünktlich zum Herbstbeginn ist der Winterschlaf nun vorbei und es geht einfach weiter. Was aber haben die Berliner Kleinkünstlerinnen und –künstler in der Zwischenzeit getrieben?
Hier ein paar Updates:
Drei Jahre lang war die Comedienne Annette Kruhl sehr erfolgreich mit ihrem monatlichen Bunten Abend namens „Comedy Cocktail“. Dann kam im Mai diesen Jahres die GEMA und wollte soviel Geld für benutzte Musik, dass die Lichter ausgingen. Geschützte Urheberrechte sind gut und Musiker brauchen ihre Tantiemen. Aber wenn dafür die Arbeits- und auch Lebensgrundlage anderer Künstler beschädigt wird, ist eindeutig noch nicht die optimale Umsetzung erreicht. Aber Frohnatur Kruhl lässt sich natürlich nicht unterkriegen. Mit ihrem aktuellen Soloprogramm „Single-Sex & SIMS-Blockaden“ tourt sie weiterhin durchs Land. Die frei gewordene Zeit hat sie der Literatur gewidmet. Wie zahlreiche ihrer Kolleginnen ist auch sie unter die Romancièren gegangen. Im Frühjahr 2013 soll ihr Debüt erscheinen, der Titel ist noch geheim.
Bereits bis zur Bestsellerautorin hat es hingegen die ehemalige Wahl-Neuköllnerin Martina Brandl mit Romanen wie „Halbnackte Bauarbeiter“ oder „Schwarze Orangen“ geschafft. Allerdings hat die strenge Komikerin mit der prachtvollen Singstimme Berlin inzwischen den Rücken gekehrt und ist, wie man hört, zurück auf die Schwäbische Alp gezogen, wo das Leben ein wenig lauschiger ist – und hat gerade ihr erstes Kinderbuch veröffentlicht. Zum Glück ist sie den hiesigen Bühnen aber nicht völlig abhanden gekommen. Nicht nur, dass sie regelmäßig im Quatsch Comedy Club moderiert. Ab November kommt sie mit ihrem aktuellen Programm „Jedes zehnte Getränk gratis“ sogar für einige Termine in die große, böse Stadt zurück, die sie selbst als „assig“ bezeichnet. Aua.
Auch Cora Frost hat in ferner Vergangenheit ein Buch geschrieben. Inzwischen hat die düstere Diva aber einen anderen künstlerischen Weg eingeschlagen. Nach einem New York-Gastspiel mit einer Tanzperformance namens „Nicht so hier wie mit blauen Bändern“ richtet sie sich nun erneut auf der großen und ernsten Bühne ein. Ende November hat in den renommierten „Sophiensaelen“ ein Theaterstück Premiere, das Frost nicht nur geschrieben hat, sondern bei dem sie auch Regie führt. Titel des Werks: „Die Bucht der dicken Kinder“.
Keine Chance auf eine Rolle darin hatte die deutsch-amerikanische Denglish-Entertainerin Gayle Tufts. Nicht nur, weil ihr aktuelles Programm von der Menopause handelt und damit an ganz anderer Stelle der Biographie angesiedelt ist. Sondern vor allem, weil das ehemalige Großformat im letzten Jahr 33 Kilo abgenommen hat und nun geradezu rehartig zierlich dahergeschwebt kommt. Ihr satter Humor und die füllige Stimme müssen sich nun wesentlich weniger Platz teilen. Reicht aber immer noch aus, wie ihr aktuelles Programm „Some like it heiß“, beweist. Dazu ist übrigens – ebenfalls ein Buch erschienen.
Ob Gayle Tufts bei ihrer Diät auf das Frühstück verzichten musste, ist nicht bekannt. Zu hoffen ist es nicht. Denn spätestens seit Gerd Normanns Dauerbrenner „Willi und Lisbeth zerreden ihr Frühstücksei“ wissen wir, dass nur dort die wirklich großen Probleme des Lebens angegangen werden können. Nachdem das Programm, das der Künstler selbst der Gattung „Ehekabarett“ zurechnet, mehrere Jahre in ganz Deutschland erfolgreich gespielt wurde, präsentiert Normann Mitte Dezember eine neue Show. Dafür gehen seine beiden knurrigen Protagonisten allmählich zum Mittagessen über: „Willi und Lisbeth – Butter bei die Fische“ .
Weiteres in Kürze: Soeben ging das 17. Berliner Cahnsonfest zuende. Tanja Ries, die Urmutter des neuen Berliner Chansons und viele Jahre künstlerische Leiterin des Festivals, hat diese Verantwortung inzwischen weitergegeben. Sie führte aber weiterhin und gewohnt poetisch durch die drei Abende im corbo Treptow. – Puppenkünstler, Musiker und Kultmaulwurferfinder René Marik, bis eben bundesweit unterwegs mit seinem Programm „KasperPop“, will nun ins Kino. Für „Maulwurf’n – der Film“ sammelt er über Crowdfunding Geld. Die Zuwendung der Internetcommunity hat bei Marik Tradition. Schließlich betrat er die Bildfläche über selbstproduzierte Internetfilmchen auf youtube. – Auch den Berliner Comedian und Comiczeichner Fil sieht man häufig mit Puppe auf der Bühne. Mit und ohne seinen cholerischen Sidekick „Sharky“ sind inzwischen 20 Jahre zusammengekommen. Fil feiert sie diesen Herbst mit einem Jubiläumsprogramm auf seiner Stammbühne Mehringhoftheater. Trottoir gratuliert.
| Ausgewählte Termine: Berlin
Redaktion: Susann Sitzler
2012-10-27 | Nr. 77 | Weitere Artikel von: Susann Sitzler